Claudia Kündig (Name geändert) unterschrieb einen Anstellungsvertrag, der ihr Arbeitspensum als «Teilzeit ohne Anspruch auf regelmässige Beschäftigung» definierte. Massgebend sei der Einsatzplan, hiess es schwarz auf weiss. In der Folge arbeitete Kündig jedoch rund vier Jahre mit einem Pensum von 100 Prozent für die Firma. Als sie schwer erkrankte, begannen die Auseinandersetzungen: Der Chef wollte ihr lediglich während 90 Tagen den Lohn bezahlen. Er stützte sich auf spezielle «Bestimmungen für Teilzeitbeschäftigte», auf die im Arbeitsvertrag hingewiesen wurde. Kündig ihrerseits berief sich auf die Betriebsordnung, die einen Krankenlohn während sechs Monaten vorsah; die Betriebsordnung war ihr als integrierender Bestandteil des Arbeitsvertrags ausgehändigt worden.

Alles unklar also. Dabei sollten Arbeitsverträge genau das Gegenteil sein: Dokumente, die die entscheidenden Aspekte der Zusammenarbeit regeln, Klarheit über Rechte und Pflichten schaffen und helfen, Missverständnisse zu vermeiden. Die Realität sieht aber häufig anders aus: Viele Arbeitsverträge sind unklar oder sogar widersprüchlich abgefasst. Da ist etwa vom «Anspruch auf eine freiwillige Gratifikation» die Rede oder von Überstunden, die «in der Regel nicht bezahlt» werden. «Was heisst das genau?» oder «Was gilt nun?» sind denn auch häufig gestellte Fragen an der Beratungs-Hotline des Beobachters.

Es braucht detektivisches Gespür

Nicht selten müssen sich auch Gerichte mit der Auslegung unstimmiger Arbeitsverträge beschäftigen und in mühsamer Kleinarbeit herausfinden, was die Vertragsparteien seinerzeit wohl gemeint haben.

So auch im Fall von Claudia Kündig. Wie viel detektivisches Gespür es mitunter braucht, ist im Urteil nachzulesen: Als Vertragswillen sei anzusehen, heisst es in schönstem Juristenjargon, «was vernünftig und korrekt handelnde Parteien unter den gegebenen Umständen unter Verwendung der auszulegenden Worte (…) gewollt haben würden». Zudem seien «die Begleitumstände und die Entstehungsgeschichte des Vertragsschlusses einschliesslich der Vertragsverhandlungen sowie das Verhalten der Vertragsparteien vor und nach Vertragsschluss» in Betracht zu ziehen. Noch Fragen? Da lohnt es sich wahrhaftig, Arbeitsverträge schon vor der Unterzeichnung unter die Lupe zu nehmen, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden (siehe unten «Arbeitsvertrag: Bevor Sie unterschreiben…»).

Immerhin haben Angestellte bei Auseinandersetzungen um widersprüchliche Verträge keine schlechten Karten. Im Zweifelsfall halten sich die Gerichte nämlich an den Grundsatz, dass unklare Abmachungen zum Nachteil jener Partei auszulegen sind, die den Vertrag verfasst hat - in der Regel also der Arbeitgeber. Dies war einer der Gründe, weshalb Kündig vor Gericht gewann. Für die Richter war zudem entscheidend, dass die Arbeitnehmerin faktisch stets mit einem vollen Pensum gearbeitet hatte. Die Spezialbestimmungen für Teilzeitbeschäftigte seien für sie daher nicht anwendbar gewesen.

Dass Arbeitgeber vertragliche Ungereimtheiten auf ihre Kappe nehmen müssen, stellte ein Gericht auch im Fall von Steve Derwey fest. Der 21-jährige Jungkoch hatte sich vertraglich verpflichten müssen, mindestens ein Jahr im Betrieb zu bleiben und den Vertrag «nicht vor dem 30. September 2005 zu kündigen». Kurz nach Stellenantritt kam es zu Unstimmigkeiten - Derwey erhielt den blauen Brief noch während der Probezeit, die ebenfalls im Vertrag verankert war. Zu Unrecht, wie das Arbeitsgericht feststellte. Aus dem Vertrag gehe klar hervor, dass das Arbeitsverhältnis vor Ende September 2005 nicht gekündigt werden dürfe, und das gelte auch für die Firma. Die vereinbarte Probezeit sei daher ungültig und die Kündigung nicht zulässig.

Arbeitsvertrag: Bevor Sie unterschreiben…

  • Unterschreiben Sie keinen Arbeitsvertrag, den Sie nicht von vorn bis hinten gelesen und auch verstanden haben. Dies gilt ebenso für Reglemente und andere Vertragsbeilagen.

  • Klären Sie Ungereimtheiten und offene Fragen unbedingt vor der Vertragsunterzeichnung.

  • Holen Sie fachlichen Rat, wenn Sie unsicher sind, welche Konsequenzen ein Vertragspunkt für Sie haben könnte.

  • Lassen Sie sich nicht durch den Hinweis beschwichtigen, eine Vertragsklausel sei nur Formsache und werde in der Praxis nicht so streng gehandhabt. Wenn das zutrifft, ist der Vertrag entsprechend anzupassen.

  • Verlassen Sie sich nicht auf mündliche Zusagen. Nur was Sie schriftlich haben, lässt sich im Streitfall beweisen.