13_00_bp_tower.jpgDas ungeübte Auge sieht kein Flugzeug: Industriebauten, Wohnhäuser, und dann fliesst auf der Bassersdorfer Anhöhe das Grün der Bäume in das Graublau der Abenddämmerung. Fluglotse Sigi Ladenbauer hingegen hat den Flieger sofort ausgemacht und kontrolliert die Anflugsituation kurz mit dem Feldstecher. «Jetzt kommt er», sagt er zu seiner Kollegin Natalie Kuhn, stellt das Fernglas aufs Pult zurück, setzt sich auf seinen Stuhl und nimmt das vor ihm liegende Mikrofon zur Hand vor sich die Weite des Flughafens Zürich-Kloten.

Der Flugverkehrsleiter so die offizielle Bezeichnung des Lotsen hat im Tower einen Logenplatz mit Rundsicht. Er muss seinen Kopf nur wenig von rechts nach links drehen, um den «take-off» eines Flugzeugs auf der Westpiste zu verfolgen. Der Profi benennt die «runways» allerdings nicht mit Namen, sondern mit zweistelligen Zahlen.

«Die Ziffern», erklärt Sigi Ladenbauer, «sind von der geografischen Ausrichtung der Piste auf der Windrose abgeleitet.» Die Westpiste beispielsweise heisst Piste 28, weil ihr nach Westen gerichtetes Ende aufgerundet nach 280 Grad zeigt. Piste 28 ist die Hauptstartbahn des in «Unique Zurich Airport» umbenannten privatisierten Flughafens, wird aber gelegentlich von kleineren Flugzeugen auch zum Landen benutzt. Das ist eben jetzt der Fall.

Landeanflug und Durchstart

«Flight checker 311, cleared low go-around, runway 28», sagt Ladenbauer deutlich, aber mit gedämpfter Stimme ins Mikrofon. Die Bestätigung kommt sogleich: «311, cleared low go-around, runway 28», tönt es aus dem Lautsprecher. Das von Osten näher kommende Flugzeug ist für die Journalistin nun ebenfalls sichtbar. In kontinuierlichem Sinkflug überfliegt die Maschine das erste Drittel der Piste, um dann Nein, er setzt nicht auf! Wie ein weisser Pfeil schiesst die «Turboprop» vom Typ Beech King Air zwei, drei Meter über der Piste am Tower vorbei und steigt elegant wieder in die Höhe.

Der Tower-Dienst-Leiter und die drei Fluglotsen haben diese fliegerische Sondereinlage, in der Fachsprache Durchstart genannt, höchst interessiert verfolgt. Doch es zeigt sich keine Uberraschung auf ihren Gesichtern. «Dieses Flugzeug ist mit Messgeräten ausgerüstet», erklärt Sigi Ladenbauer. «Die Crew kontrolliert damit die Navigationsanlagen.» Solche Messflüge müssen genaustens mit dem übrigen Verkehr koordiniert werden, damit es keine bösen Uberraschungen gibt.

Regeln für Sicht- und Blindflug

In den Anfangszeiten der Fliegerei flogen alle Flugzeuge nach Sicht. Man sah die andern Mitbenutzer des Himmels und wich ihnen aus. Das war natürlich nur bei gutem Wetter möglich. Heute heben die Maschinen egal, ob in der Nacht, bei Nebel oder Unwetter ab und landen sicher an ihrem Bestimmungsort. Möglich machen dies die modernen, teilweise satellitengestützten Navigationssysteme. Damit am Himmel nicht das Chaos herrscht, wurden Regeln aufgestellt: für jene Flugzeuge, die nach Sicht fliegen (visual flight rules), und für jene, die sich durch Instrumente leiten lassen (instrument flight rules).

Am Ostende der Westpiste wartet inzwischen an der Spitze der Schlange eine Crossair-Maschine auf die Starterlaubnis. Doch die Crew muss sich gedulden. Auf der gleichen Piste ist nämlich soeben ein Sichtflieger gelandet. Die Piper, ein Leichtgewicht, hat bereits in der Mitte der Piste abgebremst und rollt nun links abbiegend zum Standplatz. «Crossair 85 Alpha Zulu, wind 240 degrees 4 knots, cleared for take-off, runway 28», gibt Sigi Ladenbauer den Start frei; der Pilot quittiert umgehend.

Während der Crossair-Jet volle Schubkraft gibt, sind im Norden die Positionslichter herannahender Flugzeuge zu sehen. «Das sollte reichen», sagt Sigi Ladenbauer und fügt hinzu: «Die anfliegende Swissair-Maschine von London will einen "swing-over" auf Piste 16 machen.» «Swing-over»? Doch der Fluglotse hat keine Zeit für Erklärungen. «Swissair 807, swing-over runway 16 approved.» «Merci viilmaal», knistert es aus dem Lautsprecher.

Die Swissair-Maschine ist im Anflug auf die nach Osten verlaufende V-Piste. Der schwere Vogel schwenkt aber rechts von seiner Flugbahn ab und setzt eben auf der Blindlandepiste auf. Diese kreuzt die Startbahn der Crossair-Maschine. Doch letztere hat diese Kreuzung gerade passiert und verliert sich jetzt im Abendrot. «Das war der "swing-over"», sagt Sigi Ladenbauer.

Startbewilligungen aus Brüssel

Der «swing-over» ist bei jenen Pilotinnen und Piloten beliebt, deren Maschinen einen Standplatz im südlichen Flughafenbereich haben. «So verkürzt sich die Rollzeit nach der Landung.» Das freut auch die Kabinen-Crew, ist es doch nicht immer einfach, die Reisenden angeschnallt auf ihren Sitzen zu halten. Diese verspüren nach der Landung den Drang, null Komma plötzlich aufzustehen, nach dem Handgepäck zu fischen und zum Ausgang zu streben.

Damit dieses Anflugmanöver klappt, müssen die beteiligten Flugzeuge in einer ganz bestimmten Phase ihres Anflugs respektive Starts sein. «Priorität hat aber immer die startende Maschine.» Grund: Die «take-offs» erfolgen nach einer ausgeklügelten Reihenfolge. Neben der flugplanmässigen Abflugzeit spielen die «slots» eine tragende Rolle. Diese Flugfenster werden den Flugzeugen durch die in Brüssel domizilierte Eurocontrol zugeteilt. Sie sollen verhindern, dass zu viele Flugzeuge zur gleichen Zeit in der Luft sind oder dieselben Flughäfen ansteuern. «Warteschlaufen am Bestimmungsort sind trotzdem nicht ausgeschlossen», sagt Ladenbauer.

Jeder Lotse kämpft um den «slot»

Ein Flugzeug, egal auf welchem Flughafen, darf also nur während einer bestimmten Viertelstunde starten. Verpasst es diese Gelegenheit, muss es sich wieder ein neues Fenster zuweisen lassen; die Wartezeit beginnt erneut. Klar, dass es sowohl für die Pilotin als auch für den Lotsen erklärtes Ziel ist, den «slot» nicht verfallen zu lassen. «Die Airlines sind unsere Kundinnen», sagt Ladenbauer zur Zusammenarbeit von Swisscontrol und den Fluggesellschaften. «Doch gelegentlich müssen individuelle Wünsche zurückstehen, wenn es darum geht, das Gesamtinteresse zu wahren.»

«Er gibt mir keine Antwort», sagt Sigi Ladenbauer zur Fluglotsin neben ihm.

Sie weiss sofort, wovon ihr Kollege spricht. Beide beobachten konzentriert eine kurz vorher gelandete Maschine, die jetzt gemächlich von Piste 14 zur Westpiste rollt. Ein Anruf bei der Vorfeldkontrolle bestätigt die abgebrochene Kommunikation. Bis die Situation geklärt ist, wird Ladenbauer keine Starterlaubnis auf der Westpiste erteilen.

Doch dann passiert etwas Unerwartetes: Das «stumme» Flugzeug stoppt, dreht seine Spitze nach links ab und steht damit parallel zur Westpiste. «Der Pilot signalisiert uns, dass er die Gefahr erkannt hat und nicht mehr weiter rollen wird», kommentiert Ladenbauer.

Uberlastung im Sektor West Der Lotse kann nun den Startverkehr wieder aufnehmen. Eine Maschine der Lufthansa rast über die Westpiste, hebt ab, gewinnt schnell an Höhe. Letzte Sonnenstrahlen lassen das Metall des Flugzeugs aufgleissen. Das Flugzeug dreht ab und entschwindet.

Das Telefon surrt. «Verstanden, alle drei Minuten», sagt Sigi Ladenbauer und legt den Hörer auf. «Starts nur noch alle drei Minuten», gibt er die soeben erhaltene Information an Natalie Kuhn weiter. «Der Westsektor ist überlastet.» Nach einer kurzen Ruhepause sitzt der Fluglotse auf der Position «ground» neben der Kollegin, die jetzt die Starts und Landungen dirigiert. Ladenbauer ist für die Zusammenstellung der Startreihenfolge zuständig und koordiniert den Verkehr von und zu den Pisten. Zu seinem Kontrollbereich gehört beispielsweise auch das Feuerwehrfahrzeug, das eben auf dem Weg zum Depot Piste 28 kreuzt. «Das war die Bezirksleitstelle», nimmt Sigi Ladenbauer den Faden wieder auf. «Die Kolleginnen und Kollegen dort überwachen und leiten den Verkehr in den Luftstrassen. Dieser ist im Moment sehr dicht.»

Da unser Land mitten in Europa liegt, kreuzen sich über der Schweiz die Luftstrassen aus allen Himmelsrichtungen. Das Funkfeuer Trasadingen bei Schaffhausen ist der am häufigsten überflogene Punkt Europas. Seit man letztes Jahr die richtungsgetrennten Luftstrassen eingeführt hat, werden die Funkfeuer nicht mehr direkt angepeilt. Die Signale der Antennenanlagen markieren am Himmel, bildlich gesprochen, den mit Buschwerk bewachsenen Mittelstreifen einer Autobahn.

Die Flugzeuge fliegen rechts und links davon und folgen dabei den «way-points». «Ein "way-point"», erklärt Ladenbauer, «ist ein geografischer Punkt, der durch Koordinaten beziehungsweise die Distanz zu zwei physisch am Boden vorhandenen Funkfeuern definiert wird.» Der Vorteil dieses Umbaus der Luftstrassen liegt in der Flexibilität und im geringeren Konfliktpotenzial. Die Kapazitäten konnten so um ein Vielfaches erhöht werden.

Inzwischen ist es dunkel geworden. Sigi Ladenbauer ist vor gut einer Stunde vom Glashaus des Towers in den «approach» einige Stockwerke tiefer gestiegen. Hier arbeitet der Flugleitdienst für den Bereich von rund 70 Kilometern um den Flughafen. Die abfliegenden Maschinen werden von den Flugverkehrsleitern des «approach» dem Team der Bezirksleitstelle übergeben; die ankommenden übernimmt die Crew im Tower für die Landung.

Radarschirm statt Weitblick

In diesem abgedunkelten Raum sind die Flugzeuge zu orangen, sich langsam bewegenden Punkten auf den runden Radarschirmen geschmolzen. Rechts daneben auf einem separaten Bildschirm sind die Flugdaten aufgelistet. Die Zeit etwa, zu der ein bestimmtes Flugzeug den «way-point» «SAFFA» passiert. Am späteren Abend genügen zwei Personen, um den Flugverkehr zu kanalisieren: Sigi Ladenbauer ist für die anfliegenden Flugzeuge zuständig, seine Kollegin nebenan kontrolliert die Starts.

Ladenbauer weist die anfliegende Lufthansa-Maschine an, auf eine Höhe von 5000 Fuss zu sinken, der Pilot bestätigt 4000 Fuss, was der Lotse sofort korrigiert: «Five thousand feet.» Der Pilot fragt anschliessend, ob er schneller werden dürfe. Dieser Wunsch wird ihm jedoch nicht gewährt: «Es kommt eine andere Maschine von Westen», erklärt er. Wenn die Lufthansa schneller würde, gäbe das eine Konfliktsituation. «Maintain two three zero knots, please. I have one aircraft from the west coming in ahead of you.»

Anflieger müssen warten

Den Radarschirm im Auge behaltend, lehnt er sich im Stuhl zurück. Er muss nun die laufende Serie Starts abwarten, bis er dann die Landungen auf der die Startbahn kreuzenden Blindlandepiste einleiten kann. Die anfliegenden Maschinen hat er bereits wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht. Das Staffeln, wie dieser Vorgang in der Fachsprache heisst, ist die eigentliche Hauptarbeit der Flugverkehrsleiter: Sie schauen, dass die Flugzeuge sich nicht in die Quere kommen. «Zudem», fügt Ladenbauer an, «sorgen wir für einen effizienten und flüssigen Verkehrsablauf. Das ist jedoch im Interesse der Sicherheit nicht immer erreichbar.»

Hinter der dicken Fensterscheibe am Ende des grossen, abgedunkelten Raums flitzen die startenden Maschinen im Einminutentakt vorbei. Lärm dringt dabei kaum nach innen; die lautlose Szenerie hinter dem hell erleuchteten Fenster bringt man eher mit einem Film auf der Leinwand als mit der wirklichen Gegenwart in Verbindung.

Wie ist der heute 27-jährige Sigi Ladenbauer zu seinem Beruf gekommen? «Wir hatten einen Nachbarn», beginnt er, «der lieh mir einen Radioempfänger, mit dem man den Flugfunk abhören konnte. Ich hörte als Junge fasziniert mit und lernte die Fliegersprache zu verstehen.» Er habe sich viele Bücher beschafft über die Fliegerei. Es sei für ihn damals bereits klar gewesen, dass er Flugverkehrsleiter werden wollte. Sigi Ladenbauer hat seine drei Jahre dauernde Ausbildung im November 1998 abgeschlossen.

«So, jetzt können wir vorwärts machen», meint er nach einem kurzen Blick auf den Informationsbildschirm und dreht sich zum Mikrofon. «Swissair 407, turn left heading 190, cleared ILS runway one six approach.» Die Anweisung wird prompt bestätigt. «Diese Maschine habe ich nun freigegeben zum Instrumentenanflug auf Piste 16.»

Feierabend gegen 23 Uhr

«Sobald er an diesen Punkt kommt» er zeigt mit einem Kugelschreiber auf eine bestimmte Stelle «fängt das Navigationssystem des Flugzeugs den Strahl auf und führt es auf die Piste 16.» Die Serie der Landungen ist eingeleitet.

Gegen 23 Uhr ist Sigi Ladenbauers Dienst zu Ende. Die Halle des Terminals A wirkt riesig ohne den Lärmpegel, der sie tagsüber füllt. Ein Angestellter dreht einsame Runden auf seinem kleinen Reinigungsfahrzeug. Und kein Fluglotse gibt ihm dabei Anweisungen.

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