Die Anweisung von oben war Reto Meyer von Anfang an nicht
geheuer. Der Geschäftsleiter der Schweizerischen Zentralstelle
für Baurationalisierung (CRB) sollte den Trägerverbänden
der CRB mehrere hunderttausend Franken für «immaterielle
Leistungen» auszahlen. Meyer konsultierte die Buchhaltung
und entdeckte, dass bereits in den zwei Jahren zuvor Rechnungen
für vage umschriebene Dienstleistungen wie «umfassendes
Engagement» und «Unterstützung» bezahlt
worden waren. Sowohl über Auftrag wie Zeitpunkt der geleisteten
Dienste fehlten jegliche Angaben. Meyer: «Mir war sofort
klar, dass die Rechnungen erfunden waren.»
Die Namen der Begünstigten mahnten Meyer allerdings
zur Vorsicht. Es handelte sich um den Schweizerischen Baumeisterverband,
den Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein und den
Bund Schweizer Architekten (BSA). Die drei Trägerverbände
nehmen unter den 5000 Mitgliedern des Vereins CRB eine Sonderstellung
ein, dominieren den Vorstand und den Vorstandsausschuss –
und sie wollten offensichtlich auch finanziell von der florierenden
CRB profitieren.
Im Sommer 1999 informierte Meyer den Rechnungsprüfer
von PricewaterhouseCoopers und formulierte seine Kritik an
der frisierten Buchhaltung gegenüber dem Vorstandsausschuss
schriftlich. «Deswegen wurde mir gekündigt»,
sagt er.
Im Dezember 2000, nach seiner Entlassung, reichte Meyer
bei der Bezirksanwaltschaft Zürich Strafanzeige wegen
Betrugs und Urkundenfälschung ein. Das Verfahren ist
hängig, kommt aber nur schleppend voran. Die Staatsanwaltschaft
entschuldigt dies mit anderen dringenden Untersuchungen.
Rund ein Drittel der Arbeitnehmer werden in ihrem Arbeitsleben
Zeugen von Missständen, schätzt die Schweizer Sektion
von Transparency International. Aufmerksame Angestellte stehen
dann vor dem schweren Entscheid, ob sie dem guten Gewissen
zuliebe die Missstände melden oder im Interesse der Karriere
schweigen sollen. «Gegenwärtig müssen wir
zur Vorsicht raten», sagt Zora Ledergerber, Geschäftsführerin
von Transparency Schweiz. «Wer Unregelmässigkeiten
in der Firma anprangert, riskiert oft den beruflichen Selbstmord.»
Die Anweisung des CRB-Schatzmeisters, jedem der Trägerverbände
satte 120'000 Franken auszuzahlen, habe ihn in ein Dilemma
gestürzt, sagt Meyer heute. «Ich wollte dies nicht
mittragen, konnte eine Anweisung des Ausschusses aber auch
nicht rundweg ablehnen.» Der Revisor stoppte die Manipulation
nicht, wie Meyer gehofft hatte. Ebenso wenig die Zürcher
Steuerbehörden, die sich auf einen Kuhhandel einliessen
und zwei Drittel der Zahlungen als echten Geschäftsaufwand
akzeptierten. Um sie zu überzeugen, waren im November
1999 nachträglich noch Verträge für 1997 bis
1999 fabriziert worden.
CRB-Vorstand gibt «groben Fehler» zu
Die CRB, die einen jährlichen Umsatz von über zehn
Millionen Franken erzielt, gehört nicht zu jenen Firmen,
denen man Finanzmanipulationen zutrauen würde. Sie stellt
Arbeitshilfsmittel für Architektinnen und Bauunternehmer
her. Der Renner im Sortiment ist der Normenpositionenkatalog,
die Grundlage für die Auftragsvergabe im Bauwesen.
Zwischen 1997 und 1999 kassierten die Verbände der
Architekten und Baumeister mehr als eine Million Franken aufgrund
erfundener Rechnungen, wie inzwischen auch CRB-Vorstand Max
Studer zugibt: «Die Art und Weise der Rechnungsstellung
war ein grober Fehler – in diesem Punkt gebe ich Reto
Meyer Recht.» Die Einsicht kommt zwar spät, ist
aber angesichts des hängigen Strafverfahrens brisant.
CRB-Präsident Herbert Oberholzer gibt sich gelassen:
«Ob wir unrecht gehandelt haben, wird das Gericht entscheiden.»
Die Zahlungen an sich sind für die CRB-Führungsriege
nach wie vor kein Problem. Präsident Oberholzer: «Die
Rechnungen waren fiktiv, aber sie stellten etwa die Summe
der Leistungen der Verbände dar.» Ex-Geschäftsleiter
Meyer bestreitet dies: «Es handelte sich um reine Geschenke,
echte Arbeiten der Verbände für die CRB wurden separat
und korrekt abgerechnet.» Dass auch Begünstigte
die Zahlungen als Geschenk empfanden, zeigt ein Brief des
Obmanns des Bundes Schweizer Architekten an CRB-Präsident
Oberholzer, verfasst kurz vor Weihnachten 1999: Artig wird
die «grosse Summe Geldes» verdankt, die der BSA
«dieses Jahr zum dritten Mal in Empfang nehmen durfte».
Derselbe Obmann hatte sich bereits vorher «für
die grosszügige Vereinbarung mit den Trägerverbänden»
bedankt – pikanterweise auf einer der fingierten Rechnungen.
Nachdem seine Warnrufe wirkungslos geblieben waren, unterzeichnete
Meyer im Herbst 1999 «wider besseres Wissen» die
Rechnungen und budgetierte für das kommende Jahr neue
Zahlungen. «Ich betonte jedoch, dass ich in Zukunft
Abrechnungen für echte Leistungen erwarte», sagt
Meyer. Doch so weit sollte es nicht mehr kommen: Am 1. März
2000 erklärte ihm CRB-Präsident Herbert Oberholzer,
er werde entlassen.
«Ich stand den Zahlungen an die Verbände im
Weg», ist Meyer überzeugt – was von der CRB-Führung
bestritten wird. Die Kündigung sei nicht überraschend
ausgesprochen worden, sagt CRB-Vorstand Max Studer: «Der
Ausschuss kritisierte Meyer bereits mehr als ein Jahr zuvor,
weil er die Restrukturierung nicht rechtzeitig anpackte.»
Trotzdem gewährte der Ausschuss dem unliebsamen Geschäftsführer
zweimal eine Gratifikation von 15'000 Franken – zuletzt
zwei Monate vor der Kündigung. «So unzufrieden
waren sie mit mir als Geschäftsführer kaum»,
betont Meyer. Die damalige Kritik sei verstummt, nachdem er
die Umwandlung in kurzer Zeit erfolgreich durchgeführt
habe.
Nach Meyers Entlassung gingen die jährlichen Zahlungen
von einer Viertelmillion Franken drei weitere Jahre problemlos
über die Bühne. Erst diesen Frühling änderte
die CRB ihre Vereinsstatuten: Honorare für Vorstandsmitglieder
und «Förderbeiträge» an die Trägerverbände
sind nun erlaubt. Man habe festgestellt, dass die «praktische
Anwendung» nicht mehr zu den Statuten passe, so der
CRB-Ausschuss: «Dies hat uns bewogen, die Statuten so
zu überarbeiten, dass sie der Anwendung in der Praxis
wieder entsprechen.»
Parlamentarier fordern Rechtsschutz
Zora Ledergerber von der Transparency Schweiz mag sich zur
Geschäftspolitik der CRB nicht äussern, solange
ein Verfahren gegen die Firma hängig sei. Für die
Korruptionsspezialistin ist aber klar: «Bezüglich
Transparenz müssten die Wirtschaftsverbände ein
Vorbild für ihre Mitgliedsfirmen sein.»
Eine Ständeratsdebatte in dieser Herbstsession wird
Reto Meyer besonders genau verfolgen: In einem gemeinsamen
Vorstoss fordern Ständerat Dick Marty (FDP) und Nationalrat
Remo Gysin (SP) für Angestellte mit Zivilcourage «Schutz
vor Entlassung und anderen Diskriminierungen». Denn
im Gegensatz zu anderen Staaten wie etwa Grossbritannien oder
den USA sind Firmeninsider, die hierzulande Unregelmässigkeiten
aufdecken, noch immer schutzlos der Rache der Arbeitgeber
ausgesetzt.