Mitten im Unterricht brach sie zusammen. Franziska Müller (Name geändert) begann so stark zu schlottern, dass sie die Lektion abbrechen und nach Hause gehen musste. Als es ihr dann nach einigen Tagen immer noch nicht besserging, kam sie ins Spital, wo eine schwere Gewebeentzündung diagnostiziert wurde; kurz darauf kam eine Lungenembolie dazu. Die Heilung verlief quälend langsam, wochenlang gab es keine sichtbaren Fortschritte.

Auch heute, ein halbes Jahr später, ist Müller noch eingeschränkt – aber die Mittelschullehrerin arbeitet wieder zu 50 Prozent in ihrem geliebtem Beruf. Noch geht die 58-Jährige an Krücken, während des Unterrichts muss sie sich häufig hinsetzen, und abends ist sie total erschöpft. Dennoch war ihr der Gedanke unerträglich, bis zur vollständigen Genesung zu Hause zu bleiben: «Ich hätte wenn nötig auch im Rollstuhl unterrichtet», sagt sie.

So wie Franziska Müller geht es vielen, die von einem Tag auf den anderen durch eine schwere Krankheit oder einen Unfall aus ihrem Alltag gerissen werden. Die grosse Mehrheit will so schnell wie möglich wieder arbeiten. Das liegt auch im Interesse der Arbeitgeber: Ein einzelner Krankheitstag kostet die Firma zwischen 600 und 1000 Franken, gesamtschweizerisch gehen die Kosten in die Milliarden.

Je länger weg, desto schwieriger

Hinzu kommt der menschliche Aspekt: Je länger ein Mitarbeiter krankgeschrieben ist, umso unwahrscheinlicher wird seine Rückkehr. Nach einem halben Jahr gelingt sie noch knapp jedem Zweiten, nach einem Jahr nicht einmal mehr jedem Fünften.

Sogenannte Case Manager haben die Aufgabe, diesem Phänomen entgegenzuwirken und Menschen bei ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz zu unterstützen. Im besten Fall beginnt ihr Einsatz schon am Krankenbett und führt sie danach zum Arbeitgeber, um diesen – natürlich mit dem Einverständnis des Klienten – über die voraussichtliche Heilungsdauer zu informieren.

Versicherungen zahlen für Übergangszeit

Case Manager machen sehr gute Erfahrungen mit den Arbeitgebern: Die meisten Arbeitgeber sind bereit, ihre Angestellten zu behalten – fühlen sich aber unsicher, weil sie oft zum ersten Mal mit der nicht einfachen Situation konfrontiert sind.

War ein Mitarbeiter lange abwesend, stellen sich tatsächlich Fragen. Bringt er wieder dieselbe Leistung wie früher? Ist er noch belastbar? Wie viel Stress hält er aus? Kann er sich wieder ins Team einfügen?

Oft findet man die Antworten nur, wenn man es ausprobiert. Das ist heute möglich: In einem Arbeitsversuch, der vollumfänglich von der Pensionskasse oder der Krankentaggeld- respektive Unfallversicherung bezahlt wird, können sich Mitarbeitende stufenweise wieder im Job einleben, ohne gleich von Beginn weg die volle Leistung erbringen zu müssen.

Doch der verlangsamte Wiedereinstieg birgt auch Konfliktstoff. Oft ist es nicht selbstverständlich, dass Teamkollegen ohne Ressentiments akzeptieren, wenn einer von ihnen schon nach zwei Stunden wieder nach Hause geht, während sie in Arbeit ertrinken. Dann liegt es am Vorgesetzten, allen verständlich zu machen, dass die zurückkehrende Person das leistet, was im Moment möglich ist. Es kann auch sein, dass sie arbeitsfähig ist, aber noch nicht am ursprünglichen Arbeitsplatz eingesetzt werden kann.

Der Krankheitsverlauf ist Privatsache

Im Idealfall verläuft die Rückkehr in den Job so wie bei Franziska Müller. Sie hat sich auf ihren ersten Arbeitstag «danach» so gefreut, dass Unsicherheiten total in den Hintergrund rutschten. Vom Vorgesetzten, den Kolleginnen und Kollegen wurde sie auf eine Art begrüsst, die sie spüren liess: Die freuen sich über meine Rückkehr. Selbst die Schüler scheinen zufrieden, ihre Lehrerin wiederzuhaben. «Wir haben es genauso gut wie vor meiner Krankheit, und sie zeigen sich mir gegenüber sehr hilfsbereit.»

Häufig wissen aber die Beteiligten nicht so recht, wie sie einen Rückkehrer behandeln sollen. Welche Fragen dürfen sie stellen? Sollen sie das Thema Krankheit ansprechen oder so tun, als wäre nichts passiert?

Leider: Eine pauschale Antwort gibt es darauf nicht. Die Empfehlungen von Case Managern hängt vor allem von der Beziehung ab, die man vor dem Ausfall zu den Mitarbeitenden hatte. Grundsätzlich aber gilt, Privates und Arbeit zu trennen – und ein Krankheitsverlauf ist Privatsache. Zu viel Offenheit kann zu einer Aussenseiterposition führen und dazu, dass man dauernd beobachtet wird.

Klar mitteilen muss der Zurückgekehrte hingegen seine ganz praktischen Bedürfnisse. Braucht er einen speziellen Stuhl, bessere Lichtverhältnisse? Auch über Einschränkungen müssen alle informiert sein. So sieht man einem nach einer Schulterverletzung diese nicht unbedingt an und weiss nicht, dass er im Moment nicht mehr als fünf Kilo heben darf. Wissen das alle Beteiligten, wird darauf erfahrungsgemäss auch Rücksicht genommen.

Wenn nicht, müssen sich die Zurückgekehrten fragen, ob sie auf Dauer in diesem Klima arbeiten wollen. War das Arbeitsverhältnis schon vor der Krankheit schwierig, ist es in den Augen von Case Managern manchmal besser, einen Schlussstrich zu ziehen – allerdings nicht, ohne den Konflikt vorher noch aufzulösen.

Für Franziska Müller ist das kein Thema. Sie fühlt sich rundum wohl an ihrer Schule und sagt: «Die Arbeit ist für mich die beste Therapie.» Die gesundheitlichen Fortschritte, die sie seit ihrem ersten Arbeitstag gemacht hat, geben ihr recht.

Was die Kollegen tun können

Das wünschen sich Verunfallte und Erkrankte von ihren Arbeitskolleginnen und -kollegen:

Während der Abwesenheit

  • regelmässigen Kontakt, eine Karte mit Besserungswünschen, einen Blumenstrauss
  • die Aussage, dass er oder sie am Arbeitsplatz vermisst wird und man sich auf die Rückkehr freut


Nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz

  • einen normalen Umgangston
  • das Wissen, dass man am Anfang ausprobieren darf, was (noch) möglich ist
  • dass über allfällige Einschränkungen sowie besondere Abmachungen mit Vorgesetzten informiert wurde und sich alle daran halten
  • das Gefühl, dass man gefehlt hat und die Kollegen froh sind über die Rückkehr
  • das Gefühl, auch dann als vollwertiger Mensch behandelt zu werden, wenn die Arbeitsleistung noch nicht 100 Prozent beträgt
  • das Vertrauen, dass man ohne schlechtes Gefühl sagen darf, wenn eine Aufgabe noch nicht zu bewältigen ist
  • Unterstützung, wo sie notwendig ist, aber keine Schonhaltung
  • Solidarität: Niemand ist vor einer schweren Krankheit oder einem Unfall gefeit
  • die Zuversicht, dass man – selbst nach einem Rückschritt oder Misserfolg – wieder zur alten Leistungsfähigkeit zurückkehrt
  • wirkliche Anteilnahme statt einer Menge neugieriger Fragen
  • die Anerkennung, dass man eine schwere Zeit hinter sich hat, und das Akzeptieren eventueller Veränderungen, die dadurch stattgefunden haben