Wer sich im Schweizerischen Nationalpark von Zernez aus auf die Socken macht, taucht ein in eine unberührte Natur und erreicht in drei Stunden schon die leicht zugängliche, familienfreundliche Chamanna Cluozza, die einzige Hütte im Park, in der man übernachten kann. 

Hier ist das Berner Oberländer Hüttenwartspaar Marlies und Jürg Martig mit Sohn Tim seit sechs Jahren für das Wohl der Gäste da. Gut 4500 Übernachtungen zählen sie während der vier Sommermonate, in denen das 1910 erbaute Blockhaus geöffnet ist. Errichtet wurde es einst zur Beobachtung der Natur im wilden Val Cluozza. Vier Jahre später, am 1. August 1914, wurde der erste Nationalpark der Alpen und Mitteleuropas gegründet. Und 1979 wurde der Park mit seiner Fläche von 170 Quadratkilometern zum ersten Schweizer Biosphärenreservat der Unesco ernannt. Nirgendwo sonst findet man in der Schweiz mehr Wildnis als hier, wo die Natur sich selbst überlassen wird und der Mensch nur Besucher ist. Er darf nicht jagen, nicht sammeln, keine Bäume fällen und muss strikte auf den Wegen bleiben.

Einmalige Flora und Fauna

Die Pflanzen- und Tierwelt profitiert. Steinwild, Rotwild, Gämsen, Murmeltiere, Rehe und Schneehasen haben hier ebenso ihre Nische gefunden wie Eidechsen, Schlangen, Insekten und Vögel wie der Adler, der Bartgeier oder der Tannenhäher – das Wappentier des Parks. Selbst der menschenscheue Braunbär und der Wolf streifen wieder durch das Gebiet. 

Ganz zur Freude von Hüttenwartssohn Tim, der das Privileg hat, im Sommer auf der Hütte zur Schule zu gehen – dank einer Privatlehrerin, die auch als Hüttengehilfin mit anpackt. Aber noch viel lieber als in der privaten Schulstube unterm Dachgiebel ist Tim vor der Hütte, wo er mit dem Fernrohr Wildtiere erspäht. Derweil stehen Gäste hinter ihm in Zweierkolonne, um auch mal einen Blick durchs Fernrohr zu werfen.

Jürg Martig, Bergführer und Schreiner, hatte schon lange vom Hüttenleben geträumt. Seine Frau Marlies bestand darauf, die Hütte müsse kindertauglich sein, sprich: weder über den Gletschern noch über einem Abgrund thronend. Sie sorgte sich, dass ihr Sohn sonst abstürzen könnte. Und die Hütte sollte leicht zugänglich, schön im Grünen gelegen sein. 

Als sie auf einer Wanderung an der Cluozza vorbeikamen, wusste Marlies sofort: Genau so müsste die Hütte sein. Bei einem Pächterwechsel packte das Berner Oberländer Paar die Gelegenheit dann beim Schopf. Seither halten sie die Hütte zusammen mit einigen Gehilfinnen und Gehilfen in Schuss.

Im Herbst röhren die Hirsche

Im Gegensatz zu Jürg musste sich Marlies erst in die neue Rolle finden. Und sich daran gewöhnen, tagein, tagaus mit ihrem Mann, der sonst oft mit Gästen auf Bergtouren unterwegs war, zusammen unter einem Dach zu leben und zu werken.

Doch längst hat sie das Hüttenfieber auch gepackt. «Denn es ist ein Privileg, dass wir vier Monate mitten im Nationalpark leben können», sagt sie. «Wie viele Orte in der Schweiz gibt es noch, wo einfach nur unberührte Natur ist? Wo der Mensch wirklich nichts verändern darf und er die Tiere in Ruhe lässt? Die Zeit hier im Herbst zum Beispiel, wenn die Hirsche anfangen zu röhren und alles golden wird, alles so klar, so schön, mit intensiven Farben. Dann denk ich oft: Genau das ist es! Oder am Abend bei Vollmond, wenn alle Leute schon im Bett sind, das Tagwerk ist getan, und wir sitzen noch einen Moment aufs Geländer vor die Hütte raus, alles ist hell erleuchtet, dann weiss ich: Ja, es lohnt sich.»
 

Die Chamanna Cluozza
  • Höhe: 1882 Meter über Meer
  • Unterkunft: 25 Schlafplätze in Zwei-, Vier- und Fünf-Bett-Zimmern mit Duvets, 37 Schlafplätze in Matratzenlagern. Seiden- oder Baumwollschlafsack obligatorisch. Hunde sind im Nationalpark nicht erlaubt, auch nicht an der Leine.
  • Saison: Die Chamanna Cluozza ist von Mitte Juni bis Mitte Oktober bewartet.
  • Weitere Informationen: www.nationalpark.ch
  • Wanderung: Während 2 Tagen von Zernez zur Chamanna Cluozza hin (rote Route) und über einen herrlichen Umweg zurück (orange Route). Für weitere Informationen zur Wanderung, bitte in die untenstehende Karte klicken.
Piz Quattervals: Der höchste Gipfel des Nationalparks

Drei- bis viermal pro Saison führt Bergführer und Hüttenwart Jürg Martig Gäste von der Chamanna Cluozza auf den Piz Quattervals (gelbe Route), den mit 3165 Metern höchsten Berg im Nationalpark. Der Aufstieg durch die ursprüngliche, wilde und äusserst einsame Landschaft und über den Blockgletscher wird belohnt mit einer überwältigenden Aussicht. Gämsen und Steinböcke bekommt man fast sicher zu Gesicht, mit etwas Glück auch den Adler oder sogar einen Bartgeier.

  • Weitere Informationen: Telefon 081 856 12 35 oder E-Mail cluozza@nationalpark.ch.