Anfang Jahr reiste ich in die Schweiz zurück, um die
Hüfte operieren zu lassen. Eigentlich wollte ich nach
dem Eingriff wieder nach Kanada, wo ich rund vier Jahre als
Botschafter tätig war.
Doch durch Micheline Calmy-Reys Wahl in den Bundesrat im
letzten Dezember änderten sich meine Pläne. Die
neue Leiterin des Eidgenössischen Departements des Äussern
(EDA) suchte nach einem diplomatischen Berater, der über
Erfahrung sowohl in Bundesbern als auch im Ausland verfügt.
Sie bot mir den Posten an. So ergab es sich, dass ich nach
meinem Spitalaufenthalt direkt in den Westflügel des
Bundeshauses zog.
In meinem bisherigen Berufsleben als ehemaliger IKRK-Delegierter
und als Diplomat hatte ich das Glück, alle paar Jahre
das Land oder die Stadt wechseln zu können. So gesehen
ist meine neue Stelle nichts Aussergewöhnliches für
mich. Wäre meine Karriere als Botschafter «normal»
weitergegangen, wäre ich wohl in ein anderes Land gezogen.
Als Botschafter wechselt man den Posten in der Regel nach
vier oder fünf Jahren.
Meine Frau und die beiden Töchter sind noch immer
in Ottawa. Es war eine meiner Bedingungen für die Annahme
des neuen Jobs, dass die Familie noch bis zum Sommer in Kanada
bleiben darf. Die Töchter sind mitten in der Ausbildung:
Die jüngere macht im Juni die Matura, die ältere
beendet gerade ihr Wirtschaftsstudium und möchte danach
in Peking Chinesisch studieren.
Probezeit von zwei Monaten
Seit Februar bin ich zurück in Bern. Erst lebte ich für
ein paar Tage im Hotel; mittlerweile bewohne ich ein möbliertes
Appartement. Eigentlich spielt es keine grosse Rolle, wo ich
residiere: Zurzeit arbeite ich täglich mindestens zwölf
Stunden, an den meisten Tagen sogar mehr.
Gewöhnlich beginnt mein Arbeitstag um 7.30 Uhr; einen
fixen Feierabend habe ich nicht. Selbst in meiner Freizeit
sofern es diese überhaupt noch gibt bin
ich erreichbar, falls etwas Dringendes besprochen werden muss.
Micheline Calmy-Rey und ich handelten vorerst eine Probezeit
von zwei Monaten aus. Wenn man so eng miteinander arbeitet,
ist es wichtig, dass die Chemie stimmt und man sich über
die Prioritäten im Klaren ist. Die Einarbeitungsphase
ist nun vorbei, und wir haben uns auf eine längere Zusammenarbeit
geeinigt. Ich betrachte meinen Posten als eine Art Scharnierstelle
zwischen der Chefin und dem Rest des Departements.
Ich bin mehrheitlich für die aussenpolitischen Aspekte
zuständig; nur am Rand befasse ich mich mit den Bundesratsgeschäften
der anderen Departemente. Viele Themen, über die im EDA
diskutiert wird, sind mir aus meiner bisherigen beruflichen
Laufbahn bekannt. Ich muss mich nicht jedes Mal neu in ein
Gebiet einarbeiten. Die Europapolitik beispielsweise kenne
ich gut, da ich acht Jahre im Integrationsbüro des EDA
arbeitete und mich intensiv mit den EWR-Verhandlungen befasste.
Auch Humanitäres wie Menschenrechte und Entwicklungsarbeiten
liegen mir am Herzen und die Nahostpolitik. Ich kenne
dieses Gebiet sehr gut, da ich sieben Jahre dort lebte und
arbeitete.
Diplomatie ist nichts geheimes
Als ehemaliger IKRK-Delegierter und als Botschafter habe ich
in 16 verschiedenen Ländern unter teilweise äusserst
schwierigen Bedingungen gearbeitet. Ich kann mit gutem Gewissen
sagen, dass ich widerstandsfähig und krisenerprobt bin.
Es kam vor, dass mir Arbeitseinsätze in Gaza, Teheran,
Tel Aviv, Uganda oder im Balkan zusetzten, weil ich in lebensbedrohliche
Situationen gekommen war.
Von solchen Erfahrungen kann ich jetzt profitieren. Ich
verfüge über eine gewisse Distanz und auch Gelassenheit,
wenn aus einer Mücke ein Elefant gemacht wird. Es geht
uns in der Schweiz so gut, dass wir die Tendenz haben, Probleme
zu schaffen, wenn es gar keinen Anlass dafür gibt. Wenn
man länger im Ausland gelebt hat, kann man manchmal nur
darüber staunen, welche Schwierigkeiten wir uns selbst
machen.
Immer wieder werde ich darauf angesprochen, was genau unter
«öffentlicher Diplomatie» zu verstehen ist,
wie sie Micheline Calmy-Rey vertritt. Es geht darum, die Bevölkerung
für aussenpolitische Themen zu sensibilisieren. Denn
Aussenpolitik gehört auch zur Innenpolitik. Es ist deshalb
wichtig, Transparenz zu schaffen und nicht so zu tun, als
ob alles, was in der Diplomatie geschieht, geheim sei. Selbstverständlich
gibt es aber auch immer wieder Situationen, die mit höchster
Diskretion behandelt werden müssen. Geht es um schwierige
Verhandlungen oder steht das Leben von Personen auf dem Spiel,
dürfen wir nichts bekannt geben.
Mit Micheline Calmy-Rey zusammenzuarbeiten ist spannend.
Sie hat Humor, kann zuhören und kennt das schwierige
Politgeschäft sehr gut. Als sie ihr Amt übernahm,
stand sie wegen der Irak-Krise mitten im Rampenlicht. Die
von ihr gewünschte Einarbeitungszeit fand nie statt,
sie wurde sofort ins kalte Wasser geworfen. Ausserdem befinden
wir uns mitten im Wahljahr im Oktober wird das eidgenössische
Parlament neu gewählt. Klar, dass momentan mit härteren
Bandagen gekämpft wird.
Fehler passieren überall
Bei der Ankündigung der Liste mit Irak-Kriegsopfern im
Internet lief etwas schief. Doch Frau Calmy-Rey hat gezeigt,
dass sie kritikfähig ist. Sofort stand sie hin und entschuldigte
sich für den Fehler. Welcher andere Politiker macht das
schon?
Wo gearbeitet wird und ich kann Ihnen sagen, bei
uns wird viel gearbeitet , passieren halt auch Fehler.
Dass auch ich mich als Berater immer wieder fragen muss, was
schief gelaufen ist und wie Missverständnisse in Zukunft
zu vermeiden sind, liegt auf der Hand.