Mario Shlomo Kuntze wechselte die Kleider und ging in den Garten. Der Tag in der Klinik war anstrengend gewesen, beim Rasenmähen konnte er entspannen. Später würde er noch die Rosen schneiden. «Shlomi», wie ihn seine Ärztekollegen nennen, freute sich über das milde Aprilwetter: Die Blumen würden dieses Jahr besonders prächtig blühen.

Zur selben Zeit, es war der 22. April 2014, traf sich im Konferenzsaal des Lindenhofspitals das Führungsteam des Krankenhauses. Wichtigstes Traktandum: das Aufnahmegesuch von Kuntze und seinem Kollegen Roger Berdou. Wäre es nach dem Chef Marco Casagrande* gegangen, hätte nichts nach aussen dringen sollen. Das Protokoll der Medical-Board-Sitzung wurde als «vertraulich» eingestuft.

Die beiden Urologen Kuntze und Berdou hatten bisher als Belegärzte im Sonnenhofspital gearbeitet. Jetzt hatten die Berner Privatspitäler Lindenhof, Sonnenhof und die Klinik Engeried zur Lindenhofgruppe fusioniert, die Abteilung Urologie wurde am Standort Lindenhof zusammengezogen. Belegärzte praktizieren frei. Um operieren zu können, müssen sie sich einem Krankenhaus anschliessen. Je mehr akkreditierte Ärzte, umso härter der Kampf um die Operationssäle – und um die Verdienstmöglichkeiten.

Anzeige wegen übler Nachrede

Zwei Tage nach der Sitzung begegneten Mario Kuntze und Roger Berdou einem Mitglied des Medical Boards. Dieser nahm sie beiseite und steckte ihnen ein Papier zu. «Lindenhofgruppe» stand zuoberst, gleich danach «vertraulich». Die beiden begannen zu lesen. Erst nur beiläufig, dann mit zunehmender Aufmerksamkeit.

Was sie in dem vertraulichen Sitzungsprotokoll lasen, machte sie zunächst fassungslos, dann wütend. «Ich dachte erst, da erlaube sich jemand einen Scherz», erzählt Kuntze. Doch ihr Informant habe nicht gelacht, sondern nur gesagt: «Ich denke, das solltet ihr erfahren.»

Eingehend, so heisst es im Protokoll, habe sich die Fachgruppe Urologie mit dem Akkreditierungsgesuch befasst. Das Urteil der «Kollegen» war vernichtend: Weder Kuntze noch Berdou würden den menschlichen und fachlichen Anforderungen gerecht, so der Fachgruppenleiter Manuel Hofstetter*. Anhand von Fallbeispielen hätten er und Thomas Gartmann* Fehldiagnosen der beiden Urologen aufgezeigt. Zudem, so ein weiterer Vorwurf, habe Mario Kuntze versucht, das Ergebnis einer Gewebeprobe zu manipulieren.

«Ein gutes Beispiel für die Prüfung eines Akkreditierungsgesuchs von Fachkollegen.»

 

aus dem Protokoll der Medical-Board-Sitzung

Das Gremium lehnte das Akkreditierungsgesuch bei vier Enthaltungen «aus Qualitätsgründen» ab. Sitzungsleiter Casagrande lobte ausdrücklich die «gute und detaillierte Abklärung». Hofstetter und Gartmann hätten «ein gutes Beispiel für die Prüfung eines Akkreditierungsgesuchs von Fachkollegen» abgeliefert.

Das erwies sich als krasse Fehleinschätzung. Kuntze und Berdou zeigten Hofstetter und Gartmann wegen übler Nachrede an. Bei der Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft stürzte die «gute und detaillierte Abklärung» in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

Beschwerde bei der FMH ist hängig

Hofstetter und Gartmann konnten keine einzige ihrer Behauptungen belegen. Statt Fakten hatten sie an der Sitzung Gerüchte, Anekdoten vom Hörensagen und frei erfundene Aussagen eines Kollegen präsentiert. Als dieser erfuhr, was er angeblich über Berdou und den zweiten Sonnenhof-Arzt gesagt habe, drohte er Hofstetter und Gartmann mit rechtlichen Konsequenzen, sollten sie diese Behauptungen wiederholen.

Der Streit endete im Juni mit einem Vergleich. Hofstetter und Gartmann mussten ihr Bedauern über ihre Wortwahl an der Sitzung des Medical Boards ausdrücken. Zudem mussten sie Kuntze und Berdou – beide heute an anderen Spitälern tätig – eine Parteientschädigung von insgesamt 20'000 Franken bezahlen.

Gegen Marco Casagrande ist eine Beschwerde bei der Standeskommission der FMH hängig. Von den erwähnten Ärzten wollte sich gegenüber dem Beobachter niemand äussern. Auch die Lindenhofgruppe lehnte eine Stellungnahme ab.  Eigentlich hätte das Sitzungsprotokoll hinter verschlossener Spitaltür bleiben sollen.

* Name geändert

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