Die Interviews wurden mit den Telefonzentralen der
Firmen geführt, ohne Hinweis darauf, dass es sich bei
den Anrufern um Journalisten handelte. Die Firmen Unamite,
I2 und Spoerle Electronic verweisen in ihren Anzeigen ausdrücklich
auf diese Telefonnummern. Wir haben die Gespräche mitnotiert
und anschliessend den Pressestellen der Firmen vorgelegt;
sie hatten gegen den Abdruck nichts einzuwenden. Bei Spoerle
hiess es: «Also, Sie sind wirklich der Erste, der dazu
'ne Frage hatte. Die meisten haben so getan, als würden
sie alles verstehen.»
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Spoerle Elektronic Berlin, guten Tag.
Guten Tag. In Ihrer Firmenzentrale in Dreieich hiess es, ich sollte mich an Sie wenden. Können Sie mir einige Fragen zu Ihrer Anzeige in der «Süddeutschen Zeitung» beantworten?
Bleiben Sie mal 'nen Moment dran bitte? (Musik) Bitte warten Sie,
please hold the line. Ja, Sie sind bei Spoerle, guten Tag.
Tag. Es geht um Ihre Anzeige in der «Süddeutschen Zeitung». Ich wüsste gerne, was dieses «Facemail» ist, das Sie da anpreisen.
Facemail?
Ja.
Äh. Das hat nix mit Technik zu tun. Das ist einfach Werbung für Spoerle.
Und was verbirgt sich dahinter?
Na, Facemail heisst, man soll mit den Leuten sprechen. Es ist einfach ein neues Marketingkonzept, weil unsere Leute immer so einen relativ guten Kontakt zum Kunden haben. Facemail ist diese abgewandelte Form von E-Mail. Ist ja immer 'ne relativ anonyme Sache, wenn man jemanden nicht kennt, von dem man 'ne Antwort kriegt. Und bei uns ist es halt meistens so, dass die Kunden einem schon persönlich bekannt sind, oder man kennt sich schon vom Telefon.
Und dank «Facemail» bekomme ich E-Mails mit Foto?
Eher weniger.
Sondern?
Worum geht es denn bei Ihnen konkret?
Ich habe die Anzeige gelesen und frage mich einfach, was ich von Ihnen bekomme.
Gar nichts bekommen Sie da. Das ist so, als ob Sie bei Karstadt 'ne Werbung sehen: Wir haben die nettesten Verkäufer und die längsten Öffnungszeiten. Das ist sozusagen, wie nennt sich das... Public Relations.
Aber was bieten Sie nun eigentlich an? Da steht: «Vertrieb elektronischer Bauteile mit richtungsweisender Logistik».
Richtig, Sie kriegen bei uns elektronische Bauelemente. Zum
Beispiel ICs der grössten Halbleiterhersteller. Die können
Sie bei uns kaufen.
Mit «Supply-Chain-Management» werben Sie auch. Was ist das?
Das ist in der Regel bloss für Grosskunden interessant, wenn es um komplexere Logistiklösungen geht. Ich sag mal, der normale Kunde bei Spoerle, der schickt uns telefonisch oder per Fax eine Anfrage, und dann machen wir ein Angebot. Wir sind praktisch ein Grosshandel von elektronischen Bauelementen.
Aha. Und worum handelt es sich bei «Pro Series
und vernetzte Kommunikation via Internet, Extranet und Intranet»?
Das ist jetzt im Aufbau, das läuft noch im Teststadium.
Software, die noch nicht funktioniert?
Na ja, sie läuft, ist aber noch nicht frei geschaltet für die Kunden. Wir sind noch im Teststadium, um da ein paar Bugs rauszufinden.
Eine Erklärung noch, bitte: «Demand creation».
Wo haben Sie denn das gelesen?
Na, das steht auch in der Anzeige.
Also, sag ich mal, es geht darum, den Kundenbedarf zu fördern. Und das, was Sie haben, auch entsprechend an den Mann zu bringen.
Sie schaffen also Bedarf bei mir?
Richtig, logisch.
Okay, jetzt bin ich einen Schritt weiter. Aber so richtig klar ist Ihre Anzeige nicht, oder?
Also, Sie sind der Erste, der da 'ne Frage zu hat.
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I2, guten Tag.
Hallo, ich habe eine Ihrer Anzeigen gesehen, und ich verstehe sie nicht ganz. Da steht ganz gross auf einer fast leeren Seite: «Value2» Was bedeutet das?
Das ist unsere Werbeanzeige für Unternehmen, nicht für Privatpersonen.
Aber sie steht in der «FAZ» , und die lese ich auch.
Das bedeutet, unsere Software bringt den Unternehmen Wert... Jetzt haben Sie mich erwischt. Also, dass die ihre Prozesse optimaler... Deswegen dieses Value hoch zwei.
Was macht Ihre Software genau?
Sie deckt alle Kernprozesse eines Unternehmens ab. Von der Planung bis zum Verkauf von Produkten. Diese Infrastruktur läuft übers Internet.
Sie verkaufen also ein Programm.
Nein, verschiedene Lösungen.
Und worum handelt es sich bei «Marketplace-to-Marketplace- Kollaboration»?
Das kann ich Ihnen jetzt nicht erklären. Am besten gehen
Sie auf unsere Homepage, www.i2.com.
Oje, ob ich dadurch schlauer werde?
Da steht alles, auf Englisch.
In der Anzeige beinahe auch: «Nur eine umfassende B2B-Lösung, die Marketplace-to-Marketplace-Kollaboration ermöglicht, die gesamte Supply Chain koordiniert und optimiert und reichhaltige Content-Management-Instrumente bietet, macht solche Ergebnisse möglich.» Was um Gottes willen bedeutet das?
Ich kann Sie nur auf nächste Woche vertrösten, bis unsere Mitarbeiter aus den Staaten wieder da sind.
Mit wem soll ich sprechen?
Da müssen wir mal schauen, wer im Büro ist. Am besten
wenden Sie sich an unsere BDR-Dame, unsere Business Development
Representative. Sie ist zuständig für solche Fragen
am Telefon.
Ist Ihre Firma keine deutsche?
Nein, eine amerikanische, sie wurde 1988 gegründet. Wir sind die deutsche Niederlassung.
Und Sie wissen nicht, was «Content-Management-Instrumente» sind?
So tief stecke ich in der Materie nicht drin.
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Schönen guten Tag, Sie sind bei Agilent Technologies.
Guten Tag, ich rufe an wegen Ihrer Anzeige in der «Süddeutschen Zeitung». Können Sie mir die erklären?
Um was geht's da?
Da steht: «Dreams made real.» Und dann: «Schön. Aber kann sie auch ein jpeg empfangen?» Weiter unten ist eine Uhr abgebildet. Verstehe ich nicht.
Dreams made real? Das ist das Logo von Agilent Technologies. Sonst steht da nix?
Doch. «Mit der innovativen F-Bar-Filter-Technologie hilft Agilent dabei, die kommende Generation drahtloser Kommunikationsgeräte zu miniaturisieren.»
Das ist dann elektronische Messtechnik, dafür machen die Werbung.
Aha. Weiter steht da: «Aus weniger wird mehr. Stellen Sie sich vor: Videokonferenzen, E-Mails, Familienfotos und das Internet - einfach zur Hand. Von der Uhrzeit ganz zu schweigen.»
Ja, da kam auch schon was in der Presse, dass die das über die Uhr machen möchten, kleiner wie ein Handy.
Hab ich dann ein Handy, in das eine Uhr eingebaut ist?
Nein, da geht es um die Vorstellung, dass man über die Uhr zum Computer kommt. So wie man jetzt schon mit den Handys Verbindung aufnehmen kann mit dem Computer.
Und was ist ein «jpeg»?
Da bin ich jetzt überfragt. Warten Sie mal kurz bitte.
Guten Tag, hier ist Agilent Technologies Deutschland. Bitte warten Sie einen Moment... Please hold the line... (fünfmal).
Hier ist noch mal die Zentrale. Ich krieg jetzt niemand in der PR-Abteilung, die haben alle ihre Sprachboxen an. Freitagmittag ist immer ein bissl schwierig. Auf die Schnelle kann ich Ihnen da nicht weiterhelfen.
Was macht Agilent eigentlich?
Wir sind im Bereich Medizin, elektronischer Messtechnik, chemischer Analysentechnik und im Bereich Components, also Bauteile, tätig.
Also, Sie fertigen Bauteile, und ausserdem messen Sie irgendwas.
Ja.
«Innovating the HP way» steht hier noch. Was heisst das?
Das kann ich sagen, weil ich bei HP war. Wir haben die Lebensphilosophie der Firma übernommen, weil wir ja aus Hewlett-Packard hervorgegangen sind vor einem Jahr. Wir sind bemüht, den gleichen Weg zu gehen.
Also ganz modern, mit Computern und so.
Genau.
Aber das, was in der Anzeige versprochen wird, das gibt es noch nicht?
Nein, das kommt noch. Wir haben das Jahr 2001, da wird sich einiges bewegen in der Richtung.
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Unamite GmbH, guten Tag.
Guten Tag. Ich habe eine Anzeige Ihrer Firma vor mir liegen, aus dem «Spiegel». «Quit the ShIT» steht da ganz gross, also «Hör auf mit dem Scheiss». Welchen Scheiss soll man denn lassen?
(lacht) Wir treten mit frechen Sprüchen auf, das ist unsere Kampagne. Wichtig ist das grossgeschriebene IT. Das haben wir auch in unserem Firmenlogo, um zu zeigen, dass es um IT geht.
Um Informationstechnologie.
Genau. Um das Internet. Um E-Business-Lösungen. Es gibt
auch noch die Sprüche «Javatittengeil!» und
«Schlaff im Web». Sie sollen auffallen, und offenbar
tun sie das auch. «Quit the ShIT» heisst: Lass
den Scheiss sein, den du bisher machst, und komm zu uns.
Da steht auch: «Hier realisieren IT-Profis in High Speed E-Business- Lösungen auf Top-Level.» Was bedeutet das?
Wir realisieren E-Business-Projekte ganz schnell, weil unsere Kunden ordentlich Geschwindigkeit brauchen. Zeit ist Geld im Internet-Umfeld, wie Sie wahrscheinlich wissen. Da realisieren wir Projekte. Das ist es jetzt mal auf normalem deutschem Level.
Sie machen also Software für Leute, die etwas
verkaufen wollen im Netz.
Richtig. Für interaktive Web-Auftritte. Wir suchen
richtige Fachleute, die Programmiersprachen oder Produkte
kennen, beherrschen, lieben. Ich schmeiss Ihnen einfach mal
ein paar Schlagworte an den Kopf, okay? HTML - das ist noch
einfach -, XML, Java-Script, Java-Beans, C, Cplusplus, C Sharp...
Stopp, jetzt wird's schon schwierig. Muss ich
die alle kennen, wenn ich mich bewerben möchte?
Nicht alle, aber einen Teil sollten Sie kennen - oder
eigentlich beherrschen. Wir suchen Menschen, die fachlich
fit sind oder fit werden wollen. Wir sind eine Tochtergesellschaft
von Accenture, vormals Andersen Consulting. Deren
Kunden möchten nicht nur beraten werden, sondern
auch Dinge umgesetzt bekommen, deshalb haben sie uns
gegründet. Die schleppen uns die grossen, interessanten
und supergeilen Projekte ran.
Geben Sie mir ein Beispiel.
Moneyshelf.de von der Deutschen Bank. Auch bei E-Plus sind unsere Mitarbeiter mit im Boot.
Wie viele Leute arbeiten denn bei Ihnen?
Ständig mehr. Im Moment 44 Leute. Bis August wollen wir auf fast 400 wachsen.
Was ist nun die absolute Mindestvoraussetzung?
Also, wenn Sie sagen, Sie sehen in diesem Umfeld Ihre Zukunft,
dann sollten Sie ein paar von den erwähnten Programmiersprachen
beherrschen, ein oder zwei wenigstens. Auf meinem Zettel stehen
noch ein paar Sachen, von denen ich aber vermute, dass das
noch nicht so ganz Ihre Stärke ist: Datenbanken, Content-Management-Systeme,
Knowledge-Management, CRM, Portale, E-Procurement, Marketplaces,
Web-Server von Apache oder Netscape oder Microsoft, Security-Programme,
dergleichen.
Klingt nach Geheimwissenschaft. Verstehen Sie das denn? Mal ehrlich!
(lacht) Ein paar Sachen verstehe ich, weil ich aus der Datenverarbeitung komme. Jede Woche kommen neue Begriffe dazu, und ich frage dann die Kollegen. Das ist eine Sprache für sich.
Auf die Weise schreiben Sie «jeden Tag Zukunft» , wie in Ihrer Anzeige steht.
Ja, genau.
DIE SPRACHE DER NEW ECONOMY
B2B-Lösung: Programm, das die Geschäftsabläufe
zwischen Unternehmen steuert ( «Business to
Business» )
Bugs: Fehler in Programmen, die häufig zum Absturz der Software führen
Business Development Representative: Kundenbetreuer, oft mit vagen kommunikativen Aufgaben (der Frühstücksdirektor des E-Business, sagen Spötter)
C, C++, C# ( «C sharp» ): Programmiersprachen
Content-Management-Instrumente: Software zur Verwaltung und Auswertung von Inhalten im Internet (besonders wichtig bei Einkauf, Design und Produktentwicklung)
CRM (Customer-Relationship-Management): Organisation
der Kommunikation von Firmen und Kunden
Demand Creation: «Bedarfsweckung» durch Kundenberatung
E-Business: Internet-Geschäft
E-Procurement: Abwicklung des internen Einkaufs von z. B. Büromaterial übers Internet
Extranet: Teil interner Netzwerke, der auch Aussenstehenden zugänglich ist
Facemail: ironischer Begriff von Computerfreaks für «persönliches Gespräch»
F-Bar-Filter: von der Firma Agilent entwickelter Miniatursignalfilter, ein Handybauteil
Homepage: Internet-Seite einer Firma, Organisation oder Person
ICs: Computerchips ( «Integrated Circuits» )
Interaktive Web-Auftritte: Internet-Seiten, auf denen man Daten hinterlassen kann, etwa zur Bestellung von Produkten
Intranet: Firmeneigenes Computernetz zur internen Kommunikation
Java, JavaScript: Programmiersprachen
JavaBeans: Software, die die Arbeit mit Java erleichtert
JPEG (sprich: Dschäjpeg): technischer Standard für die Komprimierung digitaler Bilder
Knowledge Management: Versuch, über das Internet Firmenwissen zu bündeln
Lösungen: Massgeschneiderte Programme, die Geschäftsabläufe steuern
Marketplace: meist auf bestimmte Produkte spezialisierte Verkaufsplattform im Internet, die Händler und Verkäufer zusammenbringt
Marketplace-to-Marketplace-Kollaboration: Zusammenarbeit
von Marketplace-Betreibern
Portale: Internet-Seiten, die Eintrittspforten ins Internet sein wollen
Pro Series: ein Programm der Firma Spoerle Electronic zur Auftragsabwicklung und -verfolgung
Security-Programme: Software zur Datenverschlüsselung und zum Schutz vor dem Eindringen Fremder in Computersysteme
Supply Chain: die Versorgungskette einer Firma
Supply Chain Management: Programme, mit deren Hilfe dafür gesorgt wird, dass die Lagerbestände klein bleiben und die Kunden schnell ihre Ware bekommen
Webserver: Computer, von dem Internet-Seiten abgerufen werden können
XML: Programmiersprache