Nachsommer in Dänemark. Wohlige Sonne unter blauem
Himmel. Die leichte, kühle Brise, die an den nahen Herbst
erinnert und den Strandhafer auf den menschenleeren Dünen
in Wellen bewegt.
Ich hatte die ganze Woche gearbeitet; nun lag das Wochenende
vor mir. Mit dem Mietwagen fuhr ich aus Kopenhagen hinaus
gegen Helsingborn; ich begab mich quasi auf eine literarische
Pilgerreise.
Das Lebenswerk Cecil Beatons
Begonnen hatte das Ganze ein gutes Jahr zuvor. Ich hatte,
meiner Arbeit wegen, das fotografische Archiv von Sir Cecil
Beaton durchforstet. Der englische Hoffotograf hatte sein
Lebenswerk ans Auktionshaus Sothebys in London verkauft.
In einer ehemaligen Einstellhalle für militärische
Pferdefuhrwerke waren die fotografischen Schätze eingelagert.
Nun stand ich vor den Metallkästen, zog Schublade
um Schublade voller dicker Einstecktaschen heraus. Aus diesen
wiederum fielen, als buntes Durcheinander, Kontaktbögen,
Negative, Abzüge, Vorlagen zu Retouchen und sogar Glasplatten
heraus. Unglaublich, was da vertreten war: Politiker, Filmstars,
Models und High-Society-Damen, ja selbst Nobelpreisträger.
Unter den Fotos faszinierte mich insbesondere eines. Es
zeigte eine alte Frau, genauer eine Grossaufnahme ihres lächelnden
Gesichts, durchzogen von zahllosen Falten. Zwei dunkle, tief
liegende, fragende Augen blickten in die Kamera. Helles Seitenlicht
überstrahlte die kurzen, weissen Haare und verlieh dem
Bild eine fast impressionistische Struktur. Ich drehte das
Foto um und las, was Beaton auf der Rückseite notiert
hatte: Isak Dinesen, Baroness Blixen, Rungsted, August 1962.
So begegnete ich zum ersten Mal jener Frau, die
1885 als Karen Finecke geboren in Rom und in London
Kunstgeschichte studiert hatte und in Afrika zur Kaffeepflanzerin
und Grosswildjägerin geworden war. Dort hatte sie auch
den Baron von Blixen geheiratet. Der Film «Out of Africa»
erzählt diesen Teil ihres Lebens.
Voll lebendiger Erinnerungen
Ein Jahr später fuhr ich nun also zu ihrem ehemaligen
Wohnhaus. Dorthin, wo sie geboren wurde und wo sie, wenige
Wochen nach Beatons Aufnahme, verstorben war. Frau Svenson,
ihre langjährige Sekretärin, hatte mir die Erlaubnis
für einen Besuch gegeben. Nach Dinesens Ableben war aus
dem Haus ein Museum geworden.
Frau Svenson empfing mich und führte mich durch die
hellen Räume. Alles erweckte den Eindruck, als ob Tania
Blixen unter diesem Namen waren alle ihre Bücher
erschienen eben noch da gewesen wäre. Auf dem
kleinen Schreibtisch lagen, scharf gespitzt, die Bleistifte
und gleich daneben ein Stapel Briefpapier mit der geprägten
Baroninnenkrone und den Initialen «T. B.». Linkerhand
bemerkte ich ein kleines, ledergebundenes Buch; es enthielt
handschriftlich eingetragene Rezepte.
Glace zum Nachmittagskaffee
«Die Baronin liebte die Natur, Literatur, handgedrehte
Zigaretten und gutes Essen», erklärte Frau Svenson.
«Was sie sich hier im Lauf der Jahre notierte, das haben
wir später auch hier in Rungsted nachgekocht.»
Nach dem Besuch lud mich die Haushälterin zum Nachmittagskaffee
ein. Zum ersten Mal ass ich dazu Schokoladenglace nach Blixen
und genoss die letzten, noch sonnenwarmen Himbeeren des Jahres.
Frau Svenson hatte sie zuvor im kleinen Vorgarten des Hauses
gepflückt.