Beobachter: Sie haben gerade ein Restaurant eröffnet...
Christine Bussat: Ja, schön, nicht wahr? Ein amerikanisches Breakfast-Restaurant, das war schon immer mein Traum. Das hier ist mein Leben!

Beobachter: Sie arbeiten mit Ihrem 17-jährigen Sohn zusammen. Wie ist es dazu gekommen?
Bussat: David wusste nicht, was tun. Jetzt hilft er hier mit. So arbeitet er etwas Rechtes und verdient sein eigenes Geld. Er schlägt sich gut, obwohl er zum Träumen neigt.

Beobachter: Mutter und Sohn so eng aufeinander – keine Angst vor zu viel Nähe?
Bussat: Nein, überhaupt nicht. Ich liebe ihn, er wohnt seit Jahren bei mir, meine Tochter abwechslungsweise bei ihrem Vater und mir. Wir wohnen Appartement an Appartement, sind aber schon lange getrennt, kommen dennoch nicht voneinander los Mein Sohn ist eher introvertiert, ein ruhiger Typ. Er trinkt nicht, raucht nicht. Ich bin sehr zufrieden.

Beobachter: Kommt Ihre Tochter nicht zu kurz in dieser Konstellation?
Bussat: Ja, vielleicht. Nikita ist das pure Gegenteil von David. Sie will immer im Zentrum stehen, braucht viel Aufmerksamkeit. Nach der Schule kommt sie manchmal vorbei und will mithelfen. Doch als Zwölfjährige darf sie noch keine Gäste bedienen. Das passt ihr überhaupt nicht. Ich brauche viel Geduld mit ihr, und sie braucht wohl auch noch viel Zeit für ihre Entwicklung.

Beobachter: Wenn die Kinder Probleme machen, behelfen sich viele Eltern mit Strafen. Sie auch?
Bussat: Nein, ich bin gegen Strafen. Ich bin eine coole Mutter. Mir ist nur wichtig, dass es meinen Kindern gut geht. Ich will, dass sie das tun können, was sie wollen.

Beobachter: Was wollen sie denn? Ist die Berufswahl ein grosses Thema bei Ihnen?
Bussat: Nein. Mein Sohn hat schon einiges versucht und alles wieder abgebrochen. Natürlich finde ich das nicht toll, aber ich will ihn zu nichts zwingen. Er will Bergführer werden, er liebt die Natur. Alors, soll er das machen. Ich mache mir keine grossen Zukunftssorgen um meine Kinder, die werden ihren Weg schon finden. Ich selber war auch keine gute Schülerin, bin mit 15 von der Schule weg – und sehen Sie: Es ist doch etwas aus mir geworden (lacht).

Beobachter: Haben Ihre Kinder einen Computer im Zimmer?
Bussat: Oh, ein Sorgenthema! Seit einem Jahr hat David einen Laptop. Er verbrachte Stunden in seinem Zimmer und spielte World of Warcraft. Das macht mir Angst. Ich bin sonst wirklich gelassen, aber in diesem Fall bin ich streng. Er darf einfach nicht so viel Zeit am PC verbringen, das ist schlecht für ihn.

Beobachter: Was haben Sie dagegen unternommen?
Bussat: Wir haben viel geredet, aber er hat es nicht eingesehen. Erst seit er hier arbeitet, spielt er viel weniger. Abends ist er viel zu müde, wir essen zusammen, schauen danach fern, dann geht er ins Bett. Ich hoffe, das Thema hat sich so erledigt. PC-Games machen mir wirklich Sorgen. Zum Glück ist das noch kein Thema bei meiner Tochter.

Beobachter: Machen Sie sich auch Sorgen wegen der Internetpornographie und -pädophilie?
Bussat: Ja, natürlich. Da passiert viel Schlimmes. Meine Tochter darf zum Beispiel keine Fotos von sich ins Netz stellen, das habe ich verboten. Sie darf sich auch nicht schminken, obwohl sie das will. Sexy Kleidung ist ebenfalls tabu. Sie ist doch erst zwölf und sehr klein, da muss ich sie doch schützen.

Beobachter: Wie regeln Sie den Medienkonsum der Kinder?
Bussat: Nikita darf mit ihren Freundinnen chatten, das ist aber auch alles. Ich überwache und kontrolliere das ab und zu. Sie darf nur im Wohnzimmer an den Computer, wo ich sie unter Aufsicht habe. Ihr Vater ist in dieser Frage ebenfalls sehr konsequent.

Beobachter: Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Sie sich derart stark mit dem Thema «Sexuelle Übergriffe an Kindern» befassen? Eine negative Erfahrung in Ihrem Umfeld?
Bussat: Non!

Beobachter: Gar kein Auslöser?
Bussat: 2001 brachte die TSR-Sendung «Temps Présent» eine Reportage über Pädophilie und die Rolle, die das Internet dabei spielt. Es war schrecklich zu sehen, was mit Kindern gemacht wird. Der Film hat mich sensibilisiert, ich musste etwas tun. In jener Zeit war das Thema auch sehr aktuell, der Kinderschänder Marc Dutroux war in aller Munde. Da habe ich mich «Marche Blanche» angeschlossen, und schon bald haben wir die Volksinitiative zur Unverjährbarkeit sexueller Straftaten an Kindern vorbereitet.

Beobachter: ...und im letzten November gewonnen.
Bussat: Ein Riesenerfolg. Und sehr, sehr viel Arbeit. Jetzt sind wir aber enttäuscht, dass sich politisch nichts tut. Irgendwelche Juristen debattieren über Details, das Gesetz steht noch immer nicht. Opfer, die ihre Peiniger zur Rechenschaft ziehen wollen, fühlen sich übergangen und melden sich bei uns. Der Volkswille wird nicht umgesetzt.

Beobachter: Was sagen Ihre Kinder zu Ihrem Engagement?
Bussat: Es interessiert sie nicht besonders. David will damit nichts zu tun haben, die Tochter ist stolz, wenn ich am Fernsehen auftrete. Das ist aber alles. Mein Mann sagt nicht viel dazu, aber er liebt mein Engagement nicht, denn es frisst viel meiner Zeit, was sich natürlich auf die Familie auswirkt.

Beobachter: Das wird mit der Einreichung der neuen Volksinitiative, die verurteilten Pädophilen die Arbeit mit Kindern verbieten will, kaum besser, oder?
Bussat: Ich weiss heute, wie es geht. Deshalb denke ich, es wird einfacher. Aber wir haben nur eineinhalb Jahre Zeit für die gut 100'000 Unterschriften, das wird schon streng. Dennoch bin ich zuversichtlich, denn das Thema berührt die Menschen.

Beobachter: Wieso diese neue Initiative?
Bussat: 2004 wurde in Biel ein Lehrer eingestellt, der fünf Jahre zuvor wegen sexuellen Missbrauchs an Buben zu einer bedingten Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Nun arbeitet er seit Jahren wieder als Lehrer. Unbehelligt! So etwas darf doch nicht sein. Für mich ist dieser Aspekt noch viel wichtiger als jener der Unverjährbarkeit.

Beobachter: Sie wollen nicht, dass wir Sie für diesen Text zusammen mit Ihrer Familie fotografieren. Warum?
Bussat: Ich wurde schon öfter bedroht. Zum Beispiel hat mir ein kranker Typ eine Mail geschickt, in der er schreibt, dass Frauen wie ich erschossen gehören. Das macht mir schon Angst. Vermutlich gibt es noch mehr solche Leute. Da möchte ich meine Kinder raushalten. Das ist meine Sache, und ich möchte trotz allem ruhig schlafen können.

Beobachter: Kommen Sie überhaupt dazu? Sie sind Vollzeit-Wirtin, bereiten die neue Initiative vor und haben zwei Kinder. Ein Dauerstress.
Bussat: Aber nein! Das ist mein Leben, ich bin gern unter Leuten, ich brauche Abwechslung. Das geht bestens – ich bin doch cool (lacht).

Beobachter: Wurde Ihnen diese Gelassenheit von Ihren Eltern mitgegeben?
Bussat: Ich weiss nicht. Mein Vater war sehr gelassen, meine Mutter nicht. Ich schlage wohl eher meinem Vater nach.

Beobachter: Was wünschen Sie sich, dass Ihre Kinder über Sie sagen, wenn sie 25 sind?
Bussat: Hm, gute Frage. Mein Sohn soll sagen, dass ich ihm ermöglicht habe, das Leben zu führen, das er wollte. Dass ich ihm keine Steine in den Weg gelegt habe und nur wollte, dass er glücklich wird. Und meine Tochter? Schwierig. Wahrscheinlich dasselbe. Aber sie ist noch an so einem anderen Entwicklungspunkt. Zurzeit hoffe ich nur, dass sie keine Dummheiten macht.

Christine Bussat, 38, ist gebürtige Genferin und Präsidentin der Organisation «Marche Blanche» (www.marche-blanche.ch), die sich dem Schutz von Kindern vor Pädophilie verschrieben hat. 2008 gewann «Marche Blanche» die Volksinitiative zur Unverjährbarkeit sexueller und pornographischer Straftaten an Kindern. Die gelernte Schmuckverkäuferin und heutige Wirtin ist verheiratet, lebt aber getrennt von ihrem Mann. Sie ist Mutter von Nikita, 12, und David, 17.