Kein Besuch, keine Aktivierung, viel Zeit – die Corona-Krise macht im Altersheim Wohnenden zu schaffen. Aber Ruth Tschanz im Tertianum Brunnematt in Wangen SO hat etwas gefunden, das sie erfüllt.

Fast jeden Tag sitzt sie auf dem Sitzplatz und winkt den vorbeifahrenden Zügen zu. Bei sonnigem Wetter stundenlang, jetzt eingepackt in warme Wolldecken.

Mittlerweile weiss die 76-Jährige genau, wann welcher Zug wohin fährt. Sie kennt sich aus. Und die Lokführenden kennen sie, winken zurück, hupen ihr zu. «Am Anfang haben mich alle belächelt und es nicht verstanden.»

Dann die Überraschung: ein grosser Blumenstrauss von einem Lokführer mit einer Grusskarte. Es könne einsam sein im Führerhaus, und er freue sich immer, wenn sie ihm zuwinke. «Ich würde den Absender gern kennenlernen, aber leider hat er auf keinen meiner Briefe an die SBB geantwortet», erzählt sie.

Ruth Tschanz ist fasziniert von grossen Fahrzeugen aller Art, seit sie in der fünften Klasse eine Schulreise mit der Spanisch-Brötli-Bahn nach Basel gemacht hat.

«Als ich noch in Olten gelebt habe, wurde ich von manchen Busfahrern als ihr Maskottchen bezeichnet. Einmal wurde einem nämlich das Portemonnaie geklaut. Von da an sass ich immer ganz vorn im Bus und passte auf, wenn sie Pause machten», sagt sie lächelnd.

Es seien die kleinen Dinge im Leben, die zählen. Ein Zug rauscht draussen am Fenster vorbei, sie schaut auf. Und winkt.

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