Einen Backflip will er springen. Einen Rückwärtssalto über die Schanze. Er hat das schon oft gemacht. Der Bündner Dario Christen ist Vollblut-Freeskier. Jede freie Winterminute verbringt der Schreinerlehrling im Tiefschnee oder im Snowpark, übt Tricks und neue Sprünge. Helm, Rückenpanzer und Zahnschutz trägt er dabei immer. Wie beim Downhill-Biken auch, seinem Sommerhobby.

Freeskiing ist ein Extremsport. Die Skier sind vorn und hinten gebogen, um auch Rückwärtsfahrten zu ermöglichen. In den Schweizer Snowparks kommt es jährlich zu gut 6000 Unfällen (siehe Box).

Der 17-jährige Dario fährt über eine Schanze in der Jib Area auf der Lenzerheide. Samstag, 19. März 2016, 15.30 Uhr. «Ich habe schon beim Absprung gemerkt, dass ich zu viel Schwung hatte, dass ich zu weit fliege. Ich konnte es in der Luft nicht mehr korrigieren, es ging zu schnell.» Er landet auf den Schultern, überschlägt sich. Kann sich nicht bewegen, spürt seine Beine nicht mehr. Nach zehn Minuten wird er ohnmächtig, der Schock.

Die Rega fliegt ihn ins Kantonsspital in Chur, er wird sofort operiert. Vater Roger Christen, seit 24 Jahren Küchenchef im Hotel Schweizerhof auf der Lenzerheide, erinnert sich: «Der Pistenrettungsdienst rief an und sagte, dass Dario schwere Rückenverletzungen habe. Da haben meine Frau und ich schon befürchtet, dass Dario gelähmt sein könnte.»

«Ich bin ein C4»

Acht Monate später. Schmal und bleich ist Dario, er wirkt zerbrechlich. Er sitzt im Rollstuhl neben seinem Vater in der Lobby des Schweizerhofs. Hier verbringt er die Wochenenden, während der Woche ist er in der Reha im Paraplegikerzentrum Nottwil. Die dünnen Arme liegen im Schoss, die Hände stecken in schwarzen Manschetten, so kann er den Rollstuhl besser lenken. «Ich bin ein C4, vom vierten Halswirbel an gelähmt.»

Seine dunklen Augen funkeln unter der braunen Mütze, die Narbe am Hals ist gut sichtbar. «Die ist von der ersten Operation, da mussten sie die Halswirbel fixieren.» Sein Rücken habe ausgesehen wie eine Schlachtplatte, fügt sein Vater an. Die schweren Operationen haben Spuren hinterlassen. Doch Dario kämpft, er hadert nicht: «Das bringt doch nichts.»

Er sagt: «Ich habe immer gewusst, dass das Risiko mitfährt. Wenn es denn sein musste, dann bin ich froh, dass ich beim Freeskiing verunglückt bin. Bei meiner Leidenschaft und nicht beim Treppensteigen.» In den ersten Wochen habe er gedacht, es sei wie bei einem Beinbruch, irgendwann sei er geheilt, und dann werde alles wieder gut. «Es hat lange gedauert, bis ich mir eingestand, dass nicht alles wieder gut wird, dass ich nie mehr werde gehen können.»

6000 Unfälle pro Jahr

Unzählige Fun- oder Snowparks mit Halfpipes, Cross-Strecken, Kickern (Schanzen) und Rails (Geländern) sind in den vergangenen Jahren in der Schweiz entstanden. Heute betreiben insgesamt rund 45 Schweizer Skigebiete solche Parks. Die Anlagen sind besonders für junge Leute attraktiv.

Laut Hochrechnungen der Beratungsstelle für Unfallverhütung verunfallen jedes Jahr rund 6000 Menschen in solchen Parks. Über 50 Prozent der dort Verunglückten sind 10- bis 19-Jährige. Die Unfälle in Snow- und Funparks machen zwar nur 20 Prozent aller Unglücksfälle beim Schneesport aus. Doch sie haben grundsätzlich schwerwiegendere Folgen als Unfälle auf normalen Pisten.

Nur langsam kamen kleine Erfolge. «Als ich mein Handy wieder selber bedienen konnte, das war so ein Highlight. Vorher musste mir die Mutter die Mitteilungen meiner Freunde vorlesen – eine unmögliche Situation.»

Jetzt lernt der 18-Jährige Auto fahren, in einem speziell umgebauten Wagen. «Selbstständigkeit ist mein grösstes Ziel, ich will nicht herumkutschiert werden.» Deshalb sitzt er auch nicht in einem Elektrorollstuhl, er will selber fahren. «So wenig Hilfe wie möglich, das ist mein Motto.»

«Die Solidarität im Dorf war gross»

Mitte Dezember soll Dario aus der Reha heimkommen, auf die Lenzerheide, wo seine Familie und seine Freunde leben. Weil die Wohnung der Eltern nicht rollstuhlgängig ist, haben sie eine im Dorfzentrum gekauft. Das war nur dank dem Crowdfunding-Projekt «Ein Neustart für Dario» möglich. Initiiert hat es die Hotelchefin des Schweizerhofs, über 180 000 Franken sind bisher zusammengekommen. «Die Solidarität hier im Dorf ist gross – wir sind sehr dankbar», sagt Vater Christen. Auch viele Hotelgäste hätten gespendet.

Der 51-Jährige ist bald nicht mehr Küchenchef. Er wird sein Pensum auf 80 Prozent reduzieren und im Hintergrund wirken, sich um Büro und Einkauf kümmern. «Mehr Zeit für Dario zu haben, ist das Wichtigste.» Zu lange musste seine Familie hintanstehen.

Ein Downhill-Bike für Tetraplegiker

Mit zwölf Jahren hat Dario mit dem Freeskiing angefangen. «Im Winter bin ich auf den Skiern, im Sommer mit dem Velo unterwegs», sagt er. Er spricht, als sei das alles noch so. Das soll es auch, wenn es nach ihm geht. Er träumt von einem dreirädrigen Downhill-Bike, das er auch als Tetraplegiker fahren kann. 

Sein Vater war erst geschockt von der Idee, merkte dann aber, wie wichtig dies Dario ist. «Sport war mein Leben und soll es auch bleiben», sagt Dario. Er brauche Ziele, sei immer ehrgeizig gewesen. «Vielleicht bin ich schon nächsten Winter mit einem Skibob unterwegs.» Zuerst muss er aber noch weitere Operationen überstehen und sich auf eine neue Ausbildung konzentrieren. Seine Schreinerlehre musste er abbrechen, jetzt will er Konstrukteur werden, Praktika sind für das nächste Jahr geplant.

Roger Christen sagt, er habe seinem Sohn das Freeskiing nie verboten. «Ich hätte ein Verbot eh nicht befolgt», unterbricht Dario. «Eben», meint der Vater. Er selber fahre Töff, da könne er sich nicht anmassen, seinem Sohn etwas Gefährliches zu verbieten. «Wir haben dafür gesorgt, dass er immer gut ausgerüstet ist und gut gecoacht wird.» Ein Unfall könne jederzeit überall jedem passieren – dessen müsse man sich einfach bewusst sein, sagt der Vater. Auch heute würde er nichts anders machen.

Dario nickt. Morgen muss er wieder ins Paraplegikerzentrum, aber bald wird er heimkommen. Und dann muss sein neues Leben funktionieren, irgendwie.

Was man in Snowparks wissen muss

Tipps für Sportler …

  • Trainieren Sie schon vor der Wintersaison Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit.
  • Tragen Sie Helm, Rückenprotektor und Handgelenkschoner.
  • Besuchen Sie einen Snowpark-Kurs.
  • Wärmen Sie sich auf der Piste auf und fahren Sie sich ein.
  • Besichtigen Sie die Elemente, bevor Sie sie benutzen.
  • Schätzen Sie die Anforderungen ein, indem Sie andere beobachten und fragen.
  • Wählen Sie die Elemente und Tricks gemäss Ihrem Können aus.
  • Konzentrieren Sie sich auf die Fahrt.
  • Passen Sie Ihre Geschwindigkeit, den Absprung und die Flugweite stets an die Landezone des Elements an.
  • Geben Sie die Landezone schnell frei. Legen Sie regelmässig Pausen ein. 


... und für Eltern

Grundsätzlich gilt: Verbieten bringt nichts. Unterstützen Sie Ihre Kinder aber in einem gesunden Risikoverhalten. Und sprechen Sie mit ihnen über Training, sportliches Verhalten und Ausrüstung.

  • Schenken Sie dem Kind einen Snowpark-Kurs oder trainieren Sie mit ihm zusammen.
  • Finanzieren Sie die Schutzausrüstung, neben dem Helm auf jeden Fall einen Rückenprotektor. Lassen Sie aber die Kinder auswählen, welche sie haben wollen.
  • Reden Sie mit den Kindern über Unfallrisiken. Vor allem wenn sie schwierige Tricks nachahmen oder sich mit ihren Kollegen messen wollen.
  • Sprechen Sie mit den Kindern über die Gefahren, die Angeberei mit sich bringt.

Alle Tipps stammen von Samuli Aegerter, Leiter der Kampagne Schneesport bei der Suva und Schneesportlehrer.