Munzer A.* könnte das Beispiel einer erfolgreichen Integration Arbeitsintegration Was ist aus den Flüchtlingen geworden? sein. Der Palästinenser spricht Schweizerdeutsch, arbeitet seit sieben Jahren bei derselben Firma, leistet Sozialabgaben und zahlt Steuern. Doch über sein Leben hat sich ein dunkler Schatten gelegt. Munzer A. ist in einen absurden Konflikt mit der Ausländerbehörde verstrickt.

Vor 15 Jahren schwärzte ihn seine damalige Frau bei der Migrationsbehörde Migration Herkunft von Asylbewerbern: Lüge oder Wahrheit? an – in der Hitze eines Streits. Die Folgen waren für Munzer A. verheerend. Seine Aufenthaltsbewilligung wurde nicht mehr erneuert. Weil er als Palästinenser de facto staatenlos ist, konnte er nicht ausgewiesen werden. Er blieb in der Schweiz, quasi illegal. Im Gegensatz zu klassischen Sans-Papiers aber mit Wissen der Behörden.

Die Beziehung war nie einfach

Ihren Anfang nimmt die Geschichte im Januar 2000. Rachel M.* geht auf eine Kulturreise nach Israel. Sie ist frisch geschieden, ihre drei Teenager lässt sie zu Hause. In Ostjerusalem lernt sie Munzer A. kennen, sie verlieben sich. Schnell ist klar, dass sie zusammenbleiben wollen.

Der 23-jährige Munzer träumt von einem gemeinsamen Leben in Israel. Doch Rachel drängt ihn, in die Schweiz zu kommen. So müssen ihre Kinder die Ausbildung nicht in einem fremden Land machen. Das Argument überzeugt ihn, die beiden heiraten. Munzer zieht in die Schweiz. «Ich hatte ihn dazu überredet, es doch in der Schweiz zu versuchen und hier seine neue Heimat zu sehen», notiert Rachel später.

So kommt Munzer A. in die Schweiz. Er arbeitet bei einer Baufirma. Als ausgebildeter Tontechniker engagiert er sich in der lokalen Theatergruppe. Munzer A. betreut auch die gehbehinderte Tante seiner Exfrau. Er zahlt dem Sozialdienst in monatlichen Raten Gelder zurück, die er bezog, als er krankheitsbedingt arbeitsunfähig war.

Die beiden erinnern sich an eine sehr leidenschaftliche Beziehung – die aber nie einfach war. Er: ruhig, besonnen, harmonieliebend. Sie: impulsiv, aufbrausend, hitzig. Immer öfter stritten sie sich – und versöhnten sich dann wieder. «Unsere Zeit war äusserst intensiv, es ging mal rauf, mal runter. Es war extrem anstrengend», erzählt Rachel A.
 

Seine Frau schlug auf ihn ein und stellte ihn dann – leicht bekleidet – vor die Tür. In ihrer Wut demolierte sie sein Auto – und jagte ihn davon.
 

Munzer war erst zwei Jahre in der Schweiz, als an einem Winterabend ein Streit eskalierte. Rachel schlug auf ihren Mann ein Häusliche Gewalt Prügelnde Frauen und stellte ihn dann – leicht bekleidet – vor die Tür. In ihrer Wut demolierte sie sein Auto – und jagte ihn davon. Den Vorfall haben sein Arzt und die Opferhilfestelle dokumentiert.

Nach dieser Eskapade zog Munzer A. in eine Einzimmerwohnung ganz in der Nähe. Die beiden fanden wieder zueinander. Sie kauften regelmässig zusammen ein, kochten miteinander, assen am gleichen Tisch, schliefen im gleichen Bett, reisten zusammen in die Ferien. Rachel: «Wir lebten unsere Ehe stets weiter.» Es gab auch immer mal wieder Streit, aber weniger oft.

Einige Jahre später rief die kantonale Migrationsbehörde an. Es ging um die Verlängerung von Munzer A.s Aufenthaltsbewilligung. Der Beamte habe sie gedrängt, doch endlich zuzugeben, dass sie nur eine Scheinehe Ausländer Werde ich für eine Scheinehe bestraft? geführt habe, erinnert sich Rachel A. Sie hätten wieder einmal Streit gehabt, und sie sei wütend auf Munzer gewesen. So gab sie zu Protokoll, was der Beamte hören wollte: «Ja, es war eine Scheinehe.»

Die Aussage bereute sie bald. Sie schrieb dem kantonalen Migrationsamt eine ausführliche Stellungnahme. Fazit: «Es handelte sich nie um eine Scheinehe, dazu lebten wir zu intensiv.»

Gegenüber dem Beobachter sagt sie jetzt: «Der Vorwurf der Scheinehe ist lachhaft. Wenn man so intensiv lebt, streitet und kämpft, kann das gar keine Scheinehe sein.» Sie habe sich zu der Aussage verleiten lassen, weil sie wegen der dauernden Konflikte verzweifelt gewesen sei.

Groteske Situation

Die unbedachte Äusserung war der Beginn einer Odyssee, die bis heute andauert. Das kantonale Migrationsamt teilte Munzer A. Jahre später mit, er habe sich grundlos getrennt und die Lebensgemeinschaft habe weniger als drei Jahre gedauert. Folglich müsse er ausreisen. Von wegen grundlose Trennung: Munzer A. wurde Opfer häuslicher Gewalt Opfer einer Straftat Den Täter anzeigen? – amtlich dokumentiert. Und zurück in seine Heimat konnte er nicht. Israel will ihn nicht mehr aufnehmen, und als Palästinenser hat er keine Reisepapiere.

Munzer A. stellte deshalb beim Kanton zweimal den Antrag, ihn als Härtefall anzuerkennen. Beide Gesuche wurden abgelehnt. Die Behörde forderte ihn auf, in Israel die benötigten Papiere zu beantragen. Das ist für Palästinenser nicht möglich – auch die Behörden hätten das wissen müssen. Denn Israel streicht Palästinensern aus Ostjerusalem das Aufenthaltsrecht, wenn sie ihrer Heimat zu lange fernbleiben.
 

Die Hälfte seines Lebens hat der Mann aus Palästina in der Schweiz verbracht, die letzten sieben Jahre illegal. 
 

Auch das andere Argument der Kantonsbehörden war zweifelhaft. Munzer A. besitze auch einen jordanischen Pass, mit dem er nach Israel reisen könne. Doch dieses Dokument sieht nur aus wie ein Pass, es fehlt die Passnummer und bezeugt auch keine Staatsbürgerschaft. Es ist nur ein provisorisches Reisedokument, für viele Palästinenser die einzige Möglichkeit, aus Israel auszureisen. Doch es ist wertlos geworden, seit Israel Munzer A. das Aufenthaltsrecht entzogen hat, weil er seinen Lebensmittelpunkt zu lange ausserhalb seiner Heimat hatte.

Munzer A. schreibt den Kantonsbehörden mehrmals, erklärt ihnen die Geschichte mit dem «Pass», fragt bei der israelischen Botschaft nach. «Es ist unglaublich, alle Behörden schauen zu, und niemand fühlt sich zuständig», sagt er.

Die Situation ist grotesk. Der Kanton weiss seit Jahren, dass die Ausweisung auf einer falschen Anschuldigung der Exfrau beruht. Ihm liegt seit zwei Jahren auch ein Schreiben vor, in dem Israel bestätigt, Munzer A.s Aufenthaltsrecht sei definitiv erloschen. Der Kanton selber beantragte 2016 bei der israelischen Botschaft ein «Not-Reisedokument». Munzer A. erfährt aber erst ein Jahr später, dass Israel dieses abgelehnt hat.

Bis 2019 darf er bleiben – als Härtefall

Die Hälfte seines Lebens hat der Palästinenser in der Schweiz verbracht, die letzten sieben Jahre illegal. Aber Munzer A. hat sich nie versteckt, er ist nicht untergetaucht. Er wohnte immer an der gleichen Adresse und war für die Behörden stets erreichbar. Zudem besitzt er ein Auto und einen Schweizer Führerausweis.

Eine definitive Aufenthaltsbewilligung hat er bis heute nicht erhalten. Immerhin hat seine Anwältin erreicht, dass Munzer A. bis Anfang 2019 in der Schweiz bleiben kann – als Härtefall. Doch dieser Status erlaubt ihm nicht, seine sterbenskranke Mutter zu besuchen, die seit Wochen in Ostjerusalem im Spital liegt.

Daher gelangt Munzer A. an den Kanton und das Staatssekretariat für Migration. Er beantragt dort einen sogenannten Reisepass für eine ausländische Person. Seine Bitte: «Ich möchte wenigstens meine Mutter noch einmal sehen.»

Doch vor wenigen Wochen antwortete das Staatssekretariat für Migration: «Sie haben sich nur ungenügend um die Ausstellung eines heimatlichen Reisedokuments bemüht. Es obliegt in Ihrem Interesse, sich zielführend um die Ausstellung eines Reisedokuments zu bemühen.» Deshalb erhalte Munzer A. kein Reisedokument, um seine kranke Mutter zu besuchen.

Munzer A. bleibt, was er war: heimat- und staatenlos in der Schweiz.

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Otto Hostettler, Redaktor
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