Es könnte ebenso gut Chinesisch sein: «Deutlicher Gelenkserguss bei positivem Fettpolsterzeichen, kleine Stufe am Radiusköpfchen», heisst es auf dem Notfallbericht. Der deutliche Gelenkserguss ruft vage Bilder von bläulich-gefärbten Schwellungen hervor, nach dem – zumindest positiven? – Fettpolsterzeichen wird der Bericht aber kryptisch: «Die Befunde sind gut vereinbar mit einer nicht dislozierten Fraktur des Radiusköpfchens, Weichteilschwellung periartikulär». Anstelle zu Klarheit führt eine solche Diagnose zu noch grösserer Verwirrung.

Medizinische Befunde werden natürlich selten kommentarlos ausgehändigt. Ärzte sind gar rechtlich dazu verpflichtet, Patienten über die Diagnose, empfohlene Behandlungsmethoden, Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären. Trotzdem kommt es in Gesprächen zwischen Arzt und Patient schnell zu Unklarheiten: «Ärzte stehen oft unter hohem Zeitdruck und Patienten sind während eines Arztgesprächs häufig gestresst. Laut Studien vergessen sie bis zu 80 Prozent der Informationen, sobald sie das Arztzimmer verlassen haben. Viele trauen sich auch nicht nachzufragen oder Fragen tauchen erst im Nachhinein auf», erklärt Beatrice Brülke, Pressesprecherin des Internetportals «Was hab’ ich?». Doch nur wenn Informationen gut verständlich vermittelt werden, kann der Patient eine selbstbestimmte Entscheidung treffen.

Vom realen ins virtuelle Wartezimmer

Seit fünf Jahren verspricht das deutsche Internetportal «Was hab’ ich?» leicht verständliche Übersetzungen medizinischer Befunde – kostenlos. Wer seinen Befund über die Website einsenden will, wird in einem ersten Schritt um eine E-Mail-Adresse gebeten und setzt sich anschliessend ins virtuelle Wartezimmer. Dieses muss gigantisch sein, immerhin wurden bereits rund 29'000 Befunde von 165 ehrenamtlich tätigen Medizinstudenten und Ärzten übersetzt. «Aufgrund der grossen Nachfrage kann die Wartezeit momentan ein bis zwei Wochen betragen», warnen die Mediziner. Wenigstens wird zur Überbrückung Lektüre zu Sodbrennen und kalten Füssen geboten. Nach einer Woche wird der Patient dazu aufgefordert, seinen Befund per E-Mail oder Fax auf die Website zu laden. Dafür soll er sensible Daten wie Namen oder Adressen schwärzen – die einzigen Personalien, die das Übersetzer-Team benötigt, sind Geburtsjahr und Geschlecht. Danach geht es erneut ins Wartezimmer, zurück zu heissen Mägen und kalten Füssen. 

Komplizierte Befunde endlich verständlich

Wissen, das früher mühsam über Online-Suchmaschinen und aus teils unseriösen Quellen zusammengetragen wurde, wird von «Was hab’ ich?» personalisiert, fachlich korrekt und kostenlos zur Verfügung gestellt. «Wichtig ist uns, dass jeder den Service in Anspruch nehmen kann – unabhängig von der Höhe seines Einkommens und seiner Rente», heisst es auf der Website. Studenten ab dem achten Fachsemester gewinnen im Gegenzug an Routine.

Nach einer weiteren Woche Wartezeit ist die Übersetzung des Berichtes verfügbar. Zuerst erklärt der junge Arzt, der neben der Übersetzung abgebildet ist, dass die Temperatur, der Sauerstoffgehalt im Gewebe (periphere 02-Sättigung), Blutdruck und Puls im grünen Bereich liegen. 

Danach folgt die Übersetzung des eigentlichen Befundes: Ein «positives Fettpolsterzeichen» sei auf dem Röntgenbild normalerweise nicht ersichtlich. Es erscheine erst durch eine Flüssigkeitsansammlung im Gelenk und weise auf einen Bruch hin.

Um das Gelenk herum sei eine Schwellung des Gewebes erkennbar (Weichteilschwellung periartikulär). Das Köpfchen des Speichenknochens (Radiusköpfchen) zeige eine kleine Stufe, was zu einem gerade stehenden (nicht dislozierten) Bruch passe; die Knochenstücke hätten sich nicht gegeneinander verschoben.

Quelle: washabich.de /
Die FMH befürwortet das Modell für die Schweiz nicht

Die Swiss Medical Association (FMH) begrüsst zwar das Anliegen des Portals – die verständliche Vermittlung eines Befundes an den Patienten –, befürwortet ein ähnliches Angebot für die Schweiz jedoch nicht. Angesichts der Mehrsprachigkeit des Landes wäre die Sicherstellung qualitativ kompetenter Übersetzungen zu kompliziert. Ausserdem appelliert der Berufsverband an die Verantwortung der Ärzte und Patienten: «Der Arzt muss von sich aus dem Patienten diejenigen Informationen geben, die nach seiner Erfahrung wichtig sind. Am Patienten ist es, seinerseits die für ihn wichtigen Fragen an seinen behandelnden Arzt zu stellen», erklärt FMH-Vizepräsident Christoph Bosshard. Grundlage für eine erfolgreiche Behandlung sei deshalb ein Vertrauensverhältnis. «In diesem Sinne empfehle ich Patientinnen und Patienten nachzufragen, bis sie eine Diagnose verstehen.» Sogar für Patienten mit Migrationshintergrund gäbe es mittlerweile ein Angebot des Schweizerischen Roten Kreuzes.

Wer das virtuelle Wartezimmer verlässt, weiss Bescheid. Die Übersetzungen sind wie versprochen leicht verständlich und ausführlich. Ein Minuspunkt: Auch wenn das Wissen um die Beschwerden da ist, fehlt deren Einschätzung. Wie lange dauern sie an? Wie können Schmerzen gelindert werden? Was ist zu beachten? «Befunde beurteilen oder einschätzen muss der behandelnde Arzt», so Beatrice Brülke. «Er kennt die Krankheitsgeschichte des Patienten, er hat ihn untersucht und kann den Befund im Zusammenhang mit allen Informationen betrachten. Wir möchten das wichtige Arzt-Patienten-Verhältnis unterstützen und können und wollen es nicht ersetzen.»

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Quelle: Thinkstock Kollektion

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