Rajan Barua und seine Frau Ferdous Jannatul erinnern sich genau an das Inserat für die Dreieinhalbzimmer-Eigentumswohnung in Worblaufen BE: «999 Franken im Monat für die Hypothek und alle Nebenkosten – günstiger als eine vergleichbare Mietwohnung». Eine verführerische Option bei einem gemeinsamen Jahreseinkommen von gut 60'000 Franken.

Im kürzlich renovierten Block standen 2009 gleich mehrere Wohnungen leer. Neben Barua interessierten sich drei seiner Verwandten, alle gebürtig aus Bangladesch, für das Schnäppchenangebot des Maklers Marcel Zoss von der Aebischer & Egger AG. Alle vier Interessenten kauften schliesslich eine Wohnung.

Barua, damals 24 und in einer Bar beschäftigt, hatte allerdings ein Problem: Er und seine Frau verfügten über keinerlei Eigenkapital, um die 300'000 Franken teure Wohnung zu kaufen. Banken schreiben in der Regel 20 Prozent eigene Mittel vor, wenn sie eine Hypothek abschliessen. Doch das spielte hier offenbar keine Rolle. «Der Makler und sein Bekannter bei der Bank kümmerten sich um alles», sagt Barua. «Wir mussten nur die Verträge unterschreiben.» Die Bank Coop gewährte eine Hypothek über 260'000 Franken, die Firma des Maklers schoss 40'000 Franken als Darlehen mit zehnjähriger Laufzeit vor.

Belastung nur «999 Franken im Monat»

Zum Kaufpreis kamen 25'000 Franken für eine bessere Ausstattung hinzu, ebenfalls auf Kredit. Dass die Rechnung mit den angekündigten 999 Franken pro Monat für die eigenen vier Wände so längst nicht mehr aufgehen konnte, blendeten die jungen Leute damals aus – es war ja beim Kauf alles so leicht gegangen. «Wir waren zu gutgläubig.»

Das rächte sich: Hypothekar- und Darlehenszinsen, Amortisation und Nebenkosten summierten sich auf rund 2000 Franken pro Monat. So wurde die eigene Wohnung rasch zur Schuldenfalle. Das Paar bekam ein Kind, das Einkommen der Frau fiel weg. Dann wurde Rajan Barua auch noch arbeitslos. Bald türmten sich Rechnungen und Betreibungen: «Wir konnten nur einzelne Löcher stopfen.» Mittlerweile sind so viele Pfändungen auf die Wohnung eingetragen, dass es zur Zwangsverwertung kommen wird.

Rajan Barua hat inzwischen zwar wieder eine Stelle, aber sein Lohn ist bis aufs Existenzminimum gepfändet. Ihm bleiben mehrere zehntausend Franken an Schulden, sagt er – auch weil sich die Wohnung nur mit Verlust verkaufen lasse. Das Ganze sei ein Riesenfehler gewesen. «Ich wollte, es hätte mich jemand vor mir selber geschützt.» Weil dem nicht so war, fühlt er sich «auch irgendwie über den Tisch gezogen».

Das sehen Hypotheken- wie Darlehensgeber anders. «Wenn man den Leuten hilft, wird das nicht mehr geschätzt, sondern man wird als Übeltäter angeschaut», ärgert sich Marcel Zoss, der Makler. Er und der mittlerweile pensionierte Kreditverantwortliche der Bank Coop hätten «etliche Sitzungen mit dem Clan gehabt, um alle Details mehrfach zu erläutern». Seine Verkaufsinserate seien keine Lockvogelangebote gewesen, sondern «verkaufsfördernd». Und wenn er die Preise zu hoch angesetzt hätte, wären die insgesamt acht Wohnungen nicht zu verkaufen gewesen.

Neben Rajan Barua gewährte Zoss auch dessen Onkel ein Darlehen; dieses sei aber bereits zurückgezahlt.

Ist es üblich, dass Wohnungsmakler fehlende Eigenmittel von Käufern mit einem Darlehen finanzieren? Zoss sagt, er werde das in Zukunft nicht mehr tun. Der Schweizerische Verband der Immobilien-Treuhänder kennt keine Richtlinien zur Finanzierung von Wohneigentum. Das sei allein Sache der finanzierenden Institute. Und aus Maklersicht: «Wie ein Käufer seinen Erwerb finanzieren will, betrifft weder die Standesregeln, noch gibt es dazu ein Informationsbedürfnis.»

Bank ging von genügend Eigenmitteln aus

Klare Richtlinien gibt es hingegen bei den Banken. Diese wurden von der Schweizerischen Bankiervereinigung als Mindestanforderungen definiert und von der Finanzmarkt-Kontrollbehörde Finma 2012 als aufsichtsrechtlicher Mindeststandard vorgegeben. Weil laut Finma-Sprecher Tobias Lux «viele Banken die eigenen Kreditvergaberichtlinien hinsichtlich der Tragbarkeit für die Kreditnehmer wie auch die Höhe der Belehnung der Objekte ausreizen und zunehmend mit Ausnahmen aufweichen».

Als Barua vor fünf Jahren die Hypothek gewährt wurde, galt bereits die Vorgabe von mindestens 20 Prozent eigener Mittel. Zudem, erklärt die Bank Coop, werde die Kreditwürdigkeit und -fähigkeit ihrer Schuldner stets sorgfältig überprüft und dokumentiert.

Die Baruas erhielten von der Bank Coop nicht nur ihre Hypothek: Die Bank war auch Zahlstelle für das Darlehen des Maklers. Doch davon will die Bank nichts gewusst haben. «Das Verkäuferdarlehen wurde gegenüber unserer Bank in keiner Weise offengelegt.» Sonst hätte man die Kreditanfrage abgelehnt. Man sei von insgesamt 65'000 Franken Eigenmitteln ausgegangen, was einer Belehnung von 80 Prozent entspreche, schreibt die Bank. Und die Einkommen des Paars hätten eine Kreditgewährung im Rahmen der geltenden Vorgaben zugelassen.

Für die Verschuldung der jungen Familie fühlt sich die Bank Coop denn auch nicht mitverantwortlich. Es gebe «keinen konkreten Zusammenhang» mit der Hypothekarfinanzierung. Die finanziellen Probleme der Eheleute seien nur «aufgrund der Arbeitslosigkeit entstanden». So kann man es auch sehen.

Wehe, die Zinsen steigen

Vor allem wegen der rekordtiefen Zinsen lief der Immobilienmarkt jüngst heiss. Die Nationalbank warnt: Vier von zehn neu gesprochenen Hypotheken wären für Schuldner nicht mehr tragbar, wenn der Zinssatz auf 5,0 Prozent steigt. Als Anfang der neunziger Jahre die letzte Immobilienblase platzte, mussten über 40 Milliarden Franken an faulen Krediten abgeschrieben werden. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis sich der Markt erholte. Der Bundesrat will eine neue Krise verhindern. Banken müssen seit dem 30. Juni mehr Eigenmittel unterlegen, wenn sie Hypotheken vergeben. Zudem muss die zweite Hypothek innert 15 statt 20 Jahren amortisiert werden. Seit 2012 gilt: Man muss mindestens zehn Prozent des Belehnungswerts mit echten Eigenmitteln finanzieren, also ohne Vorbezug oder Verpfändung von PK-Geldern.