Beobachter: Der Mensch sucht mit der Informatik
eine einfachere Welt und findet neue Probleme. Einverstanden?
Hansjürg Mey: Ja, das trifft zweifellos zu
allerdings nicht nur auf die Informatik. Diese Erkenntnis
gilt für alle Errungenschaften der technisch unterstützten
Zivilisation.
Beobachter: Zum Beispiel?
Mey: Dank Johannes Gutenberg, dem Erfinder des Buchdrucks,
wurden Texte im 15. Jahrhundert massenhaft kopierbar. Allerdings
tauchte rasch das Problem auf, dass es zu wenig gute Schriften
und zu wenig Leserinnen und Leser gab. Das Lesen und Schreiben
wurde zur wirtschaftlichen Notwendigkeit, weil nur so der
Absatz des neuen Mediums gesichert werden konnte. Aber genau
das hat die Wirtschaft und die Kultur weitergebracht.
Beobachter: Und Sie meinen, auch die Informatik bringt
unsere Kultur und unsere Wirtschaft weiter?
Mey: Ja. Die technische Innovation schafft zwar Probleme,
von deren Lösung kann die Gesellschaft aber in aller
Regel profitieren. Zu Gutenbergs Zeiten konnten dank dem Buchdruck
Lehrbücher unter die Leute gebracht werden. Heute könnte
man scherzhaft sagen: Computer helfen, jene Probleme zu lösen,
die sie selber verursacht haben.
Beobachter: Computer haben aber etwas sehr viele Probleme verursacht
Mey: Die Informationstechnik steckt noch immer mitten in einer stürmischen Entwicklung
und hat ihr Reifestadium sicher noch nicht erreicht.
Der Prozess «neue Möglichkeiten neue Probleme
neue Lösungen wieder neue Probleme» ist
noch in vollem Gang. Erfahrungsgemäss stabilisiert sich
dieser Prozess mit der Zeit. Übrig bleiben Restprobleme,
mit denen wir uns abfinden werden.
Beobachter: Welches sind die häufigsten Gründe
für Computerpannen im Alltag?
Mey: Fehler an der Hardware, also an den Geräten,
sind heute sehr selten. Die Mikroelektronik ist zuverlässig
geworden. Am meisten Pannen entstehen nach wie vor durch Programmierfehler
bei hoch komplexen Funktionen. Dagegen ist die Fehlerquote
bei streng definierten Programmen praktisch null. Kleincomputer
im Auto, für TV-Empfänger oder CD-Geräte funktionieren
in aller Regel pannenfrei.
Beobachter: Und was passiert durch den falschen Umgang mit Computern?
Mey: Dadurch werden vor allem die Fehler und Unkorrektheiten
von hoch komplexen Softwareprogrammen verschlimmert.
Die meisten Pannen entstehen aus einer Kombination von Softwareproblemen
und falscher Handhabung.
Beobachter: Wie spielt sich das ab?
Mey: Ein kompliziertes Programm funktioniert im Normalfall
problemlos, denn es wurde aufwändig getestet. Der Benützer
ist zufrieden und lässt es laufen. Doch bei der Konstruktion
des Programms wurden vielleicht einige Ausnahmefälle
vergessen oder übersehen. Tritt eine solche Ausnahme
auf, reagieren Programm und Betreuer falsch. Und der Benützer
wird für seine Vertrauensseligkeit bestraft.
Beobachter: Und wie reagiert er richtig?
Mey: Viele Benützer gehen davon aus, sie könnten
sich in solchen Fällen auf den Computer verlassen
der werde es schon richten. Genau das ist völlig falsch.
Den Einzelfall wird er eben nicht regeln, weil offenbar eine
Ausnahmesituation eingetreten ist, die im Programm nicht vorgesehen
oder falsch vermerkt war. Vielmehr muss der Informatikdienst
der Firma informiert werden, der für eine Programmkorrektur zu sorgen hat. Und solange
dies nicht erfolgt ist, sind ähnliche Fälle von
Hand zu behandeln.
Beobachter: Zyniker sagen: Wenn Autos so schlecht funktionieren
würden wie Computer, müsste der Verkehr wegen vieler
schwerer Unfälle verboten werden. Was sagen Sie dazu?
Mey: Oberflächlich betrachtet, hat der Satz etwas für sich. Aber: Schwere Verkehrsunfälle
passieren selten wegen Fehlern am Auto. Genauso passieren Informatikpannen nicht nur wegen Fehlern
am Computer. Ausserdem könnte man auch eine ganz andere
Rechnung anstellen.
Beobachter: Nämlich?
Mey: Hätte sich das Auto in den letzten 30 Jahren
so entwickelt wie der Computer, würde es heute weniger
als 0,1 Liter Benzin verbrauchen, 1000 Kilometer pro Stunde schnell fahren, 100 Tonnen Last tragen können und etwa zehn Franken kosten.