«Bier?» Die 15-jährige Anita rümpft die Nase. «Das mag ich nicht. Das nehme ich nur im Notfall.» Im Notfall? Anita grinst verlegen: «Wenn es kein Smirnoff Ice gibt.» Anitas Lieblingsgetränk ist süffig, schmeckt nach Zitronenlimonade und löscht den grossen Durst. «An Partys und in der Disco, wo es oft stickig heiss ist, ist Smirnoff Ice etwas vom Besten», findet auch der 17-jährige Peter. «Es ist ja nicht wirklich Alk.» Ein gefährlicher Irrtum: Smirnoff Ice hat mit 5,6 Volumenprozent gleich viel Alkohol wie ein starkes Bier. Es enthält Zitronensaft und Wodka.

«Das Getränk ist tückisch», warnt Richard Müller von der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme. «Man merkt gar nicht, dass man Alkohol trinkt.» Grund: Zitronenaroma und Zucker übertünchen den Alkoholgeschmack. «Mit solchen Mixgetränken werden Jugendliche angefixt», ärgert sich Müller. Dabei dürften solche Drinks laut Gesetz gar nicht an Minderjährige verkauft werden. Reine Theorie: Testkäufe des Blauen Kreuzes im Kanton Bern zeigten, dass in 68 von 79 Geschäften die Jugendschutzbestimmungen nicht eingehalten wurden.

Das Neuste: Wassereis mit Alkohol
Die Händler reiben sich die Hände. Seit der weltweit tätige Getränkemulti Guinness UDV Ende Februar Smirnoff Ice auf den Schweizer Markt warf, hat das Getränk die Jugendszene im Sturm erobert: Jeden Monat wandern rund drei Millionen Flaschen über Ladentische und Tresen.

Einen ähnlichen Boom erlebte 1997 das Mischgetränk Hooch. Erst als solche Getränke dem Alkoholgesetz unterstellt wurden und die Preise stark stiegen, brach der Verkauf über Nacht zusammen. Hooch verschwand aus den Regalen. Doch seit die Steuern für ausländische Spirituosen 1999 massiv gesenkt wurden, nehmen Trendgetränke wie Laguna Bay, Twister, Oops oder XTC wieder mehr Platz ein.

«In der Branche redet man von jährlichen Wachstumsraten zwischen 40 und 50 Prozent bei diesen Trendgetränken», sagt Ruedi Käser, Schnapsbrenner aus Elfingen AG. Wer kann, mischt mit. So wirft Bacardi-Martini Schweiz nächstens den Bacardi-Breezer auf den Markt, ebenfalls ein Mixgetränk auf Wodkabasis. Und auch Firmen wie Diwisa und Fassbind haben Mixgetränke in der Pipeline.

«Wir hatten ein Gentlemen’s Agreement unter den Getränkeimporteuren, dass wir in der Schweiz keine solchen Drinks verkaufen. Aber UDV hat das Abkommen mit der Einführung von Smirnoff Ice gebrochen», sagt Heinz Sahli, Handelsdirektor von Bacardi-Martini Schweiz. «Jetzt fühlen wir uns nicht mehr gebunden und wollen ebenfalls mitverdienen.»

Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt: Ein Jungunternehmer aus Basel vermarktet seit kurzem eine alkoholhaltige Glace: Freaky Ice für coole Partys. Und der neuste Verkaufshit aus der Zürcher Firma Lateltin: «Kick 80» – ein Röhrchen mit 80-prozentigem Alkohol. Die Idee: Die Konsumenten schütten den Inhalt in ein x-beliebiges Süssgetränk.

Erhältlich ist dieser Schnaps ausgerechnet an Tankstellen. «Für Teenager ist das verlockend. Sie kaufen ein Röhrchen im Laden, schmuggeln es in die Disco, bestellen ein Cola und mixen sich den Drink selber», sagt Dieter Tosoni von der Eidgenössischen Alkoholverwaltung.

Den Suchtexperten ist der Boom solcher Alkoholika ein Dorn im Auge. Denn obwohl der Pro-Kopf-Verbrauch von alkoholischen Getränken seit Mitte der achtziger Jahre leicht zurückgeht, steigt der Konsum unter Jugendlichen weiter an. 12'000 Kinder im Alter von 11 bis 16 Jahren trinken in der Schweiz jeden Tag Alkoholisches. Vor allem die Mädchen holen auf: Seit 1978 hat sich die Zahl der Mädchen, die täglich trinken, mehr als verdreifacht.

Was die Fachleute besonders beunruhigt: die Zunahme des Rauschtrinkens. «Es wird zwar insgesamt nicht mehr getrunken als früher», sagt Ruedi Löffel vom Blauen Kreuz. «Doch das kollektive Besäufnis liegt klar im Trend.» Kein Wunder, landet jedes Wochenende irgendwo in der Schweiz ein Teenager sturzbetrunken im Spital.

Fachleute befürchten, dass die Mixgetränke diese Tendenz weiter verstärken. «Die Hersteller zielen mit solchen Drinks klar auf Jugendliche ab. Sie verführen Kinder zum Alkoholkonsum», ärgert sich Ruedi Löffel. Die Getränkefirmen sehen dies freilich anders. Marketingleiter Thomas Gromann von der Firma Lateltin, Vertreiberin des «Kick 80», sagt: «Unser Zielpublikum liegt bei 25 bis 30 Jahren.» Und Vanessa Panella von Smirnoff-Ice-Vertreiberin UDV schreibt: «Smirnoff Ice tritt klar als ein spirituosehaltiges Mischgetränk auf. Es richtet sich demzufolge ausschliesslich an erwachsene Konsumenten, die solche Produkte differenziert und mit Verstand geniessen können.»

Zu dumm, dass ausgerechnet Anita (15) und Peter (17) Smirnoff Ice zu ihrem Lieblingsgetränk erkoren haben.