Unbelehrbare Raser waren Hansruedi Meyer, dem Präsidenten des Quartiervereins IG Elsässli in Derendingen bei Solothurn, seit längerem ein Dorn im Auge. Immer wieder brausten Autos mit viel zu hohem Tempo durch die Strassen des Quartiers Elsässli. Ein Unfall mit einem Kind, der glücklicherweise glimpflich ausging, brachte das Fass vor drei Jahren zum Überlaufen. Die IG Elsässli beschloss, zwecks Errichtung einer Begegnungszone mit Tempo 20 bei der Gemeinde eine Petition einzureichen, und startete eine Unterschriftensammlung.

Wie sicher die Bewohner – und vor allem die Kinder – eines Quartiers sich auf ihren Strassen bewegen können, ist ein wichtiger Aspekt, der zur Wohn- und Lebensqualität beiträgt. Er ist mitentscheidend dafür, ob Kinder selbständig in die Schule gehen oder auch mal ohne Aufsicht draussen spielen können. Was nicht nur ein Vorteil für die Kinder ist, sondern auch zur Entlastung der Eltern beiträgt. Durch die tiefe Geschwindigkeit in einer Tempo-20- oder Tempo-30-Zone können erwiesenermassen Unfälle vermieden sowie schwere Verletzungen vermindert werden. Und Messungen in der Stadt Zürich zeigten zudem: Eine Verlangsamung des Verkehrs wirkt lärmdämpfend. Erstens läuft der Verkehr flüssiger, wodurch es weniger Beschleunigungsphasen gibt, zweitens sinken die Rollgeräusche der Fahrzeuge.

Im Versuch zeigte sich, dass im Vergleich mit Tempo 50 die Lärmbelastung bei Tempo 30 um 2,4 bis 4,5 Dezibel zurückging. Das entspricht in der Wahrnehmung des menschlichen Ohrs einer Reduktion des Verkehrsaufkommens um die Hälfte und trägt damit auch sehr zur Steigerung der Wohnqualität bei.

Möglichst alle Beteiligten informieren

Im solothurnischen Derendingen informierte die IG Elsässli die Quartierbewohner ausführlich mittels Handzetteln und persönlichen Gesprächen über die Veränderungen, die eine Begegnungszone mit sich bringen würde. «So erreichten wir eine grosse Akzeptanz», sagt Quartiervereinspräsident Hansruedi Meyer. Knapp 70 Prozent der Leute hätten die Petition schliesslich unterschrieben.

Zwei wichtige Dinge hat die IG Elsässli richtig gemacht: Erstens ist eine gute Information matchentscheidend. Dies bestätigt auch Christine Steinmann, Projektleiterin Verkehrssicherheit beim Verkehrs-Club der Schweiz (VCS): «Das Wichtigste bei solchen Vorhaben ist, dass man einen partizipativen Prozess lanciert und stets sehr gut informiert.» Will heissen: Sämtliche Anwohner, involvierte Organisationen, die Behörden, betroffene Gewerbetreibende – alle werden beteiligt, können bereits in der Anfangsphase des Prozesses ihre Bedürfnisse und Bedenken anmelden und sind stets über den Verlauf des Projekts informiert. «Das vermeidet Widerstand, Zeitverzögerungen und unnötigen Aufwand», sagt Christine Steinmann.

Petition oder sogar eine Initiative?

Der zweite wichtige Punkt: Nur gemeinsam kommt man zum Ziel. Sei es, weil einen der Gestank des nahegelegenen Schlachthofs oder der Lärm der Schreinerei im Quartier stört, weil ein Grossbauprojekt mit für das Quartier ungünstigem Schattenwurf geplant ist oder die Gemeinde gleich neben dem Kindergarten eine Drogenanlaufstelle plant. Wer gegen beziehungsweise für etwas kämpft, hat nur dann Chancen, wenn er in einer Gruppe oder Interessenvereinigung auftritt. Denn damit signalisiert man, dass es hier um allgemeine Interessen geht und nicht etwa nur um die Privatfehde einer Einzelperson.

Sind die ersten Schritte eines solchen Vorhabens getan (siehe Box «In neun Schritten zum Ziel», Seite 18), wird man meist einen politischen Prozess anstossen müssen. Dies kann, wie beispielsweise in Derendingen, mit einer Petition geschehen. Alle urteilsfähigen Personen haben das Recht, schriftlich Bitten, Anregungen und Beschwerden an die Behörden zu richten. Üblicherweise wird jede Petition behandelt und auch beantwortet. Je mehr Unterschriften einer Petition beigelegt werden, desto grösseres Gewicht kommt dem Anliegen zu.

Eine weitere, wenn auch aufwendigere Möglichkeit ist die Lancierung einer Initiative auf Gemeindeebene. Hierzu muss man ein Initiativkomitee gründen und einen Initiativtext verfassen. Um Formfehler zu vermeiden, lässt man diesen sicherheitshalber von der Behörde vorgängig prüfen. Daraufhin muss innerhalb einer bestimmten Frist eine vorgeschriebene Mindestzahl an Unterschriften von stimmberechtigten Bürgern gesammelt werden. Schliesslich kommt die Initiative zur Abstimmung. Mit einem anderen Rechtsmittel, dem Referendum, kann etwa gegen einen Beschluss des Parlaments vorgegangen werden. Auch hier müssen innerhalb einer Frist genügend Unterschriften gesammelt werden. Gegen störende Bauvorhaben können betroffene Anwohner schliesslich auch direkt mittels eines Rekurses vorgehen. Dafür muss man aber rechtzeitig den Baurechtsentscheid einfordern und eine Einsprache machen.

75 Stunden Arbeit, die sich gelohnt haben

Solche Vorhaben können schnell zeitintensiv werden. Doch die Faust im Sack zu machen, ist meist auch keine Alternative. Hansruedi Meyer schätzt, dass die IG Elsässli gut 75 Stunden für ihr Anliegen aufgewendet hat. Es hat sich gelohnt: Im Dezember 2013, nach rund drei Jahren, kam die definitive Zusage für die Einrichtung einer Begegnungszone im Quartier. Diesen Frühling sollen nun die Tafeln aufgestellt und die Markierungen auf die Strasse gemalt werden. Ab diesem Zeitpunkt werden dort die Fussgänger gegenüber den Fahrern mit Bleifüssen uneingeschränkten Vortritt haben. Und nach den Gemeindearbeitern sind es dann die Kinder des Quartiers, die die Strassen mit ihren Kreidestiften bunt bemalen werden.

Links und Infos

www.tempo30.ch
www.begegnungszonen.ch
www.fussverkehr.ch
www.laerm.ch

Der VCS bietet kostenlos eine Kurzberatung mit Ersteinschätzung zu Verkehrsberuhigungsbegehren an: Tel. 0848 611 611 oder E-Mail: christine.steinmann@verkehrsclub.ch

In neun Schritten zum Erfolg: So gehen Sie vor

Egal ob es um die Errichtung einer Tempo-30-Zone geht oder um die Verhinderung eines Bauprojekts: Das Vorgehen, um solche Ziele zu erreichen, sieht meist ähnlich aus:

Schritt 1: Verbündete suchen
Fragen Sie beim Quartierverein nach, ob dort Ihr Anliegen unterstützt und aufgenommen wird. Falls nicht bilden Sie mit Gleichgesinnten eine Eltern- oder Anwohnergruppe oder eine Interessenvereinigung. Wichtig ist schon jetzt: Pflegen Sie eine offene Informationspolitik – lassen Sie auch die nicht aktive Quartierbevölkerung stets wissen, was bezügliche Ihres Vorstosses gerade läuft.

Schritt 2: Probleme erfassen
Sammeln Sie die Anliegen aller Beteiligten und erfassen Sie daraus die wichtigsten Probleme, die es zu lösen gilt.

Schritt 3: Ziele formulieren
Konzentrieren Sie sich nur auf die grössten Probleme und formulieren Sie dazu die Ziele, die Sie erreichen möchten, und Ihre Forderungen an die verantwortlichen Behörden bzw. andere Stellen.

Schritt 4: Taktik festlegen
Diskutieren Sie mit Ihren Mitstreitern über die Strategie des Vorgehens, legen Sie eine Taktik fest, erstellen Sie einen Zeitplan und schätzen Sie den anfallenden Zeitaufwand ab. Legen Sie allfällige Verantwortungsbereiche innerhalb der Gruppe fest.

Schritt 5: Fühler ausstrecken
Spätestens jetzt gilt es ein erstes Mal über den eigenen Tellerrand zu blicken. Fragen Sie bei den Behörden nach, ob das Problem dort bereits bekannt ist, ob schon Pläne zur Behebung bestehen und wie die Chancen Ihres Anliegens eingeschätzt werden. Fragen Sie andere, die schon ähnliches versucht haben, nach ihren Erfahrungen und sprechen Sie bei Bedarf mit Experten und Beratern.

Schritt 6: Brief schreiben
Verfassen Sie einen Brief an die entsprechenden Personen der Gemeindebehörde. Schildern Sie im Brief ihre aktuelle Situation und warum Ihrer Meinung nach Handlungsbedarf besteht. Erläutern Sie Ihre Ziele und Forderungen. Setzen Sie einen Termin, bis wann Sie spätestens eine Reaktion der Behörde erwarten. Dieses Schreiben können Sie zudem an die Quartierbevölkerung, weitere Behörden und eventuell auch an die Medien senden.

Schritt 7: Persönliche Treffen
Oft macht es Sinn, sich mit den zuständigen Personen der Gemeinde zu treffen. So können Sie Ihr Anliegen persönlich erklären, und die Gemeinde kann ihre Sicht der Dinge darlegen.

Schritt 8: Politisch aktiv werden
Wenn sich bis jetzt keine Lösung abzeichnet, müssen Sie auf politischer Ebene aktiv werden. Sie können etwa Parlamentarier oder eine Partei suchen, die bereit sind, Ihr Anliegen im Parlament zu vertreten. Weitere Mittel sind das Einreichen einer Petition oder die Lancierung einer Initiative. Geht es etwa darum, gegen einen Entscheid des Parlaments vorzugehen, müssen sie fristgerecht das Referendum ergreifen. In dieser Phase kann es ausserdem sinnvoll sein, die Medien einzuschalten.

Schritt 9: Richtig Abschliessen
Egal, ob Sie Erfolg hatten oder nicht: Informieren Sie die Quartierbewohner über den Ausgang Ihres Vorstosses. Im Erfolgsfall kann eine kleine Feier Sinn machen. Wichtig ist dann auch, alle Betroffenen genau über die Änderungen in Kenntnis zu setzen.