Beobachter: Zurzeit macht ein Facebook-Video die Runde, in dem ein Cannabiskonsument sagt, dass er den Führerausweis abgeben musste, weil er regelmässig kifft. Sind Ausweisentzüge auf Vorrat rechtlich sinnvoll?
Silvan Fahrni: Ja und nein. Wenn der Verdacht auf eine Suchtproblematik besteht und man annehmen muss, dass jemand unter Drogeneinfluss Auto fahren könnte, ist der vorsorgliche Führerscheinentzug durchaus sinnvoll. Es gibt aber auch viele, die das klar trennen können und nur dann konsumieren, wenn sie nicht fahren. Die bestraft man unnötigerweise.

Beobachter: Sind Cannabiskonsumenten benachteiligt?
Fahrni: Die Regelung betrifft nicht nur Cannabiskonsumenten. Auch wenn man bei jemandem ein Alkoholproblem vermutet, kann man ihm den Ausweis entziehen, ohne dass er betrunken gefahren ist.

Beobachter: Und wo ist das Problem?
Fahrni: Das Problem sind die Grenzwerte bei Alkohol und Cannabis. Der Grenzwert von 1,5 Mikrogramm beim Cannabis-Wirkstoff THC ist eine Fiktion.

Beobachter: Warum?
Fahrni: Der Alkohol-Grenzwert ist ein Wirkungsgrenzwert. Man hat in Studien die Wirkung von Alkohol auf die Fahrtüchtigkeit erhoben und eine entsprechende Grenze festgelegt. Bei 0,5 Promille ist Schluss mit Autofahren. Beim Cannabis fehlen solche Studien bis heute. Man weiss nicht, wie sich THC auf die Fahrtüchtigkeit auswirkt und ab wann es kritisch wird. Zudem lässt sich THC sehr lange im Urin nachweisen. Wer am Samstagabend einen Joint raucht, ist gemäss Cannabis-Grenzwert auch am Dienstagmorgen noch fahrunfähig. Das entspricht natürlich nicht der Realität, wurde aber politisch so festgelegt. Ich zweifle aber, ob das überhaupt rechtmässig ist.

«Ich warte auf einen Richter, der den Spielraum beim Cannabis-Grenzwert endlich einmal ausnutzt.»

Silvan Fahrni, Rechtsanwalt

Beobachter: Aber das steht doch so im Gesetz?
Fahrni: Nein, eben nicht. Im Gesetz steht, dass der Führerausweis bei Fahrunfähigkeit entzogen werden kann. Das ist bei einem Tage zurückliegenden Cannabiskonsum aber nicht nachgewiesen. Der THC-Grenzwert ist in einer verordnungsrechtlichen Ausführungsbestimmung geregelt. Dort hat der Richter anders als bei einem Gesetz einen Ermessensspielraum.

Beobachter: Und der wurde bisher nicht genutzt.
Fahrni: Genau. Ich warte auf einen Richter, der diesen Spielraum endlich einmal ausnutzt. Seltsam ist ja auch, dass keine automatische Fahreignungsprüfung angeordnet wird bei Patienten, die auf ärztliche Verordnung Cannabis konsumieren – wie etwa neuerdings Polo Hofer. Ich sehe diese Ungleichbehandlung auch als Beleg für die Willkür hinter diesem Grenzwert.

Beobachter: Muss man die Schraube beim Alkohol anziehen oder beim Cannabis lockern?
Fahrni: Weder noch. Man müsste sich beim THC endlich ernsthaft um Wirkungsanalysen bemühen. Doch da hat es bisher am politischen Willen gemangelt. Wenn der Cannabiskonsum legalisiert werden sollte, kommt man aber nicht mehr darum herum, sich darüber Gedanken zu machen.

Beobachter: Wie ist es, wenn ich Kokain oder andere harte Drogen im Auto mitführe?
Fahrni: Dann sind Sie den Führerschein los, wenn man Sie erwischt. Und das unabhängig davon, ob Sie diese Substanzen je konsumiert haben oder nicht. Das Mitführen reicht. Harte Drogen gelten als so stark abhängig machend, dass man automatisch von einer Suchtproblematik ausgeht.

Zur Person

Silvan Fahrni ist Rechtsanwalt und Experte für Strassenverkehrsrecht.

Quelle: Peter Ksinan/123RF
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