Als Dominik Dozza sich auf die Suche nach seinen Kumpels aus Junggesellentagen machte, war da – keiner mehr. Das heisst: Der zweifache Vater traf zwar lauter alte Kameraden, die immer noch Sprüche klopfend beisammensassen. Trotzdem war alles anders. Jahrelang hatte sich im Leben des 35-Jährigen alles um seine kleine Familie gedreht. Für Ausgang und Freunde blieb kaum Zeit. Nun, da er endlich wieder zurück in der Clique war, verstand er ihre Witze nicht mehr, und die Gespräche kamen ihm belanglos vor.

Es waren Freundschaften gewesen für die Ewigkeit. Doch dann kam irgendwie das Leben dazwischen.

Das Wichtigste in einer Freundschaft überhaupt ist das Gefühl, voneinander profitieren zu können. «Freunde müssen sich gegenseitig als belohnend empfinden», sagt der deutsche Psychologe und Freundschaftsforscher Horst Heidbrink. Manchmal reichen dafür schon geteilte Grundeinstellungen und -werte. Im Prinzip geht es darum, sich immer wieder gegenseitig zu bestätigen, dass man auf dem richtigen Dampfer sitzt und die gleichen Ansichten teilt.

Häufig sind aber auch eine ähnliche Lebenslage, gemeinsame Interessen und Themen zwingende Voraussetzungen, dass eine Freundschaft dauerhaft hält. Wenn Interessen und Lebensstil plötzlich auseinanderdriften – beispielsweise weil Kinder ins Spiel kommen –, drohen die Bande zu zerreissen.

Das Telefon klingelte immer seltener

«Als ich Vater wurde, war es mir einfach wichtiger, zu Hause zu sein», erinnert sich Dominik Dozza, während er seinem an ihm herumturnenden Dreikäsehoch, dem dreijährigen Saro, über den Rücken streichelt. Dozzas ältere Tochter, die fünfjährige Romy, kam als Baby kaum zur Ruhe. «Von sechs bis elf Uhr abends schrie sie mehr oder weniger pausenlos. Da konnte und wollte ich mich nicht einfach aus dem Staub machen.» Mit Saro war es danach auch nicht viel besser. «Er brauchte eineinhalb Jahre, bis er erstmals durchschlief.»

Klar hatten seine Freunde Verständnis, dass er oft zu müde war, sich auch noch mit ihnen die Nächte um die Ohren zu schlagen. Es leuchtete ihnen ein, dass er nicht mehr so spontan ein Wochenende mit ihnen wegfahren konnte. Doch mit der Zeit klingelte Dominik Dozzas Telefon immer seltener. Seine Freunde hörten auf, ihn zu fragen, ob er mit ins Kino komme, ans Konzert oder zum Schwimmen. «Immer öfter erfuhr ich erst im Nachhinein, was sie wieder alles unternommen hatten. Das Programm ging einfach ohne mich weiter», erzählt Dozza. In seiner Stimme schwingt Wehmut mit. Er, der früher oft selber Ausflüge und Partys initiierte, hatte den Anschluss verpasst. Als er ihn dann wieder suchte, war aus der Nähe zu seinen Jugendfreunden eine seltsame Distanz geworden. Statt der Gemeinsamkeiten traten plötzlich die Unterschiede zutage. Zu Themen, die ihn gerade beschäftigten, hatten seine kinderlosen Kollegen kaum Bezug. «Ich hatte auch grosse Hemmungen, über meine Kinder zu reden. Ich wollte niemanden nerven. Und ich konnte von ihnen ja auch keine Tipps erwarten. Es hätte mir also auch nichts gebracht.»

«Side by Side» oder «Face to Face»

Laut einer Studie des US-Psychologen Paul Wright pflegen Männer häufiger als Frauen sogenannte Side-by-Side-Freundschaften: Man trifft sich, um zusammen Squash zu spielen, um zu angeln oder sonst etwas zu unternehmen. «Solange sich gemeinsame Aktivitäten auch noch regelmässig pflegen lassen, wenn einer der beiden Kinder hat, steht der Freundschaft nichts im Wege», betont der Psychologe Horst Heidbrink.

Frauenbündnissen droht da viel eher die Zerreissprobe. Im Gegensatz zu Männern pflegen Frauen nämlich häufiger sogenannte Face-to-Face-Freundschaften: Sie konzentrieren sich aufeinander, stecken die Köpfe zusammen und quatschen, quatschen, quatschen. Auf Dauer bleibt das nur spannend, wenn es genügend Gesprächsstoff gibt. Passt plötzlich nichts mehr zusammen, interessiert sich die eine nur noch für Windeln und Gemüsebrei und redet die andere fortwährend von den Macken ihres Chefs, so langweilen sich über kurz oder lang beide zu Tode.

Mit den Kindern ihrer Freundinnen kamen neue Gesprächsthemen auf: «Ich konnte nicht mitreden und fühlte mich manchmal etwas ausgeschlossen», erzählt Mabel Eugster.

Quelle: Ruth Erdt
Am Anfang war es ja noch lustig

Vor diesem Hintergrund wird auch klar, weshalb Mabel Eugster manchmal das Gefühl hat, sie komme zu kurz. Fast alle ihrer besten Freundinnen, mit denen sich die 35-jährige Dekorationsgestalterin seit zehn Jahren wöchentlich zum Frauenstamm trifft, haben in den letzten Jahren Nachwuchs gekriegt. Eine nach der anderen. In ihrem Kollegenkreis wuseln inzwischen 24 Kinder. «Irgendwann sass ich da und dachte: ‹Läck, jetzt hockst du nur noch mit Mamis am Tisch›», sagt sie, lacht kurz auf und zündet sich eine Zigarette an.

Am Anfang sei es ja noch lustig gewesen, auch interessant. «Sie sprachen über Sex nach der Schwangerschaft, über nach innen gestülpte Brustwarzen und solche Dinge. Das war eine ganz andere Welt.» Doch irgendwann ist auch mal gut, und Eugster ist nicht der Typ, der stundenlang bloss zuhört. «Ich konnte nicht mitreden und fühlte mich manchmal etwas ausgeschlossen. Dann erzählte ich halt von mir.»

Sie wurde zur Unterhalterin. Eine Rolle, die ihr nicht immer behagte. Und die zu einem etwas verzerrten Fremdbild beitrug. Sie spürte, wie man ihr ein wildes Singleleben frei von Einschränkungen und Zwängen andichtete – und nicht verstand, wenn sie den Frauenstamm manchmal ausfallen liess. Es müsse für sie doch möglich sein, sich einen Abend in der Woche freizuhalten, hiess es dann – und im Vorwurf glaubte Mabel Eugster auch einen Anflug von Neid herauszuhören. Doch was ihren Freundinnen entging: Auch Mabel war irgendwie Mutter geworden. Parallel zu ihrem 80-Prozent-Job studiert sie Innenarchitektur – eine Doppelbelastung, die wenig Freiraum lässt. Ihr Baby heisst Studium. Nur ist es halt unsichtbar. «Es schreit nicht und wird nicht krank, doch es bereitet mir bestimmt genauso viele schlaflose Nächte wie ein echtes», sagt sie. Und fügt verschmitzt hinzu: «Dummerweise kann ich es nicht abgeben, wenn ich in den Ausgang will. Ich habe keinen Mann daheim, der dann meine Projektarbeiten schreibt.»

Erschwerend kommt hinzu, dass der Frauenstamm als fixer Termin durch die Kinderschar an Bedeutung gewann. «Früher war es nicht so schlimm, wenn man mal nicht ging. Man traf sich am Wochenende sowieso irgendwo im Ausgang», erklärt Eugster. Doch seit fast alle Kinder haben, kommt das viel seltener vor. «Früher sah ich viele zwei- oder dreimal pro Woche. Jetzt treffe ich sie noch zweimal im Monat, wenn es dumm läuft, sogar noch seltener.»

Das hat nicht nur mit Zeitmangel und schlechtem Timing zu tun. Genau wie Dominik Dozza als Vater hat auch Mabel Eugster als Kinderlose erlebt, dass sie von manchen Unternehmungen ihrer Freundinnen erst im Nachhinein erfuhr. Die Kollegen mit Kindern gingen sonntags gemeinsam spazieren oder feierten Kindergeburtstage – ohne Mabel. Sie wurde gar nicht gefragt. Stillschweigend wurde offenbar angenommen, sie sei um diese Uhrzeit sowieso noch im Ausgang oder im Bett oder sie habe doch keine Lust auf Familienplausch. «Mag sein, dass dies das eine oder andere Mal sogar zutraf. Doch es tat schon ein bisschen weh. Ich hätte einfach gerne selber entschieden», sagt sie.

Für Eva Mäder (links) ist die Tochter ihrer Freundin Claudia Manser eine grosse Bereicherung, und die zweijährige Lili hat «Tante Eva» ins Herz geschlossen.

Quelle: Ruth Erdt
In der Lustprinzipkommode

Hinter dieser Art der Bevormundung steckt selten böse Absicht. Sie geschieht oft unbewusst. Der Vater kommt in die Familienschublade, die kinderlose Freundin landet in der Lustprinzipkommode. Dort sind dann beide gut verstaut, und man braucht sich keine weiteren Gedanken mehr zu machen. Für den Psychologen sind die Gründe für derartige Abläufe naheliegend: «Man schiebt die Ursache für das gestörte Gleichgewicht in der Freundesbeziehung jeweils dem anderen in die Schuhe. Das entlastet einen selber», erklärt Experte Horst Heidbrink.

Abgrenzung also als Mittel, sich mit einem leidigen Thema nicht länger beschäftigen zu müssen. Auch Eva Mäder, 45 und kinderlos, hat das schon zu spüren gekriegt. «Besonders schlimm ist es, wenn manche meinen, ich hätte ja keine Ahnung vom Leben, nur weil ich nicht Mutter bin», sagt die quirlige Sozialarbeiterin kopfschüttelnd. «Mich nervt, wenn das Muttertum so zelebriert wird.»

Dass sich Freundschaft und Elternschaft durchaus nicht immer im Wege stehen, beweist Mäders Freundschaft zur 42-jährigen Claudia Manser, die vor zwei Jahren Mutter wurde. Auch sie ist Sozialarbeiterin, die beiden haben sich vor acht Jahren während der Ausbildung kennengelernt. Beim Klönen über die erste schriftliche Arbeit kamen sie sich näher und stiessen schnell auf weitere gemeinsame Interessen. Bald waren sie häufig zusammen unterwegs, zum Schwimmen, im Ausgang, und verreisten in die Ferien. Eva Mäder war gleich nach dem Lebenspartner die erste, die von Claudia Mansers Schwangerschaft erfuhr. «Wir waren gerade zusammen in der Badi, als sie vom Spital Bescheid erhielt», erinnert sie sich.

Weil Manser ab der elften Woche bettlägerig war, besuchte ihre Freundin sie mindestens einmal pro Woche. Jeden Freitag. Und das ist bis heute so. Meist verbringt sie den ganzen Nachmittag mit ihrer Freundin und deren Tochter, der kleinen Lili, manchmal bleibt sie auch noch am Abend auf ein Glas Wein zu dritt mit Lilis Vater. Die Zweijährige hat «Tante Eva» fest ins Herz geschlossen. An der Freundschaft zwischen den beiden Frauen hat sich mit ihrer Geburt kaum etwas verändert. Lili ist einfach als neues Element dazugekommen. Klar bespricht Claudia Manser auch mal Muttersorgen mit ihrer Freundin. Aber das «Lili-Thema», wie die beiden sich ausdrücken, ist nicht dominierend. «Ich habe mich früher selber genervt über Mütter, die nur noch über ihre Kinder sprachen. Mich interessieren noch so viele andere Dinge, mich würde das langweilen», sagt Manser.

Gute Freundschaften kann man «parken»

Eva Mäder hätte sich vorstellen können, auch selber eine Familie zu gründen. Sie empfindet Lili als grosse Bereicherung und geniesst den Kontakt mit der Kleinen sichtlich. Liebevoll schneidet sie Pralinés in mundgerechte Stücke, bindet ihr schnell einen Latz um, reicht ihr den Schnabelbecher mit Tee. Lili schwafelt derweil munter auf sie ein. Die zwei sind miteinander vertraut, das ist nicht zu übersehen.

Wie also schafft man es, Freunde zu bleiben? «Den Freund, die Freundin in das neue Leben integrieren», rät der St. Galler Psychotherapeut Theodor Itten. Das bedingt eine gewisse Offenheit, sich auf etwas Neues einzulassen. Vor allem brauche es aber von beiden Seiten Flexibilität und Verständnis. «Man muss Veränderungen zulassen und auch mal ein Auge zudrücken, wenn eine Verabredung platzt, weil ein Kind kränkelt oder die Babysitterin absagt», empfiehlt Itten.

Freundschaften brauchen gemeinsame Berührungspunkte, je mehr, desto besser. Doch sie zerbrechen nicht zwingend, wenn es weniger werden. Gefährlich wirds, wenn sich der eine nicht mehr in die Lage des anderen versetzen kann. Wenn Eltern vergessen, wie es ohne Nachwuchs war, und Kinderlose sich nicht vorstellen können, dass die Kleinen keine Stand-by-Funktion haben. Dass man sich seltener sieht, ist oft nicht zu vermeiden. Wichtig ist, dass man sich gefühlsmässig verbunden bleibt.

Gute Freundschaften lassen sich «parken»: Man verliert sich zeitweise etwas aus den Augen, bleibt aber stets verbunden. Irgendwann findet man wieder zueinander. Bei Dominik Dozza klappte das ganz gut. Zu dreien seiner Jugendfreunde hielt er stets Kontakt. Inzwischen sind sie selber Väter. Man trifft sich wieder öfter, die Freundschaft habe sich vertieft, sagt Dozza. «Wir führen heute ernstere Gespräche, und wir reden natürlich auch über unsere Kinder.» Vieles habe sich verändert. Man verabredet sich eher zum Essen als zum Discobesuch. Aber die alte Vertrautheit ist wieder da.

Einander nicht vergessen, lautet denn auch das wohl wichtigste Rezept, um Freundschaften zu erhalten. Was das konkret bedeutet, zeigt eine Geschichte, wie sie Mabel Eugster erlebte. Eines Tages habe sie zufällig gesehen, wie eine alte Freundin mit ihrer kleinen Tochter unter ihrem Fenster vorbeispazierte und stehen blieb, erzählt sie. «Es war ein Nachmittag unter der Woche, normalerweise wäre ich gar nicht da gewesen.» Es stellte sich heraus, dass die Freundin eigens einen Spaziergang gemacht hatte, um ihrer Tochter Mabels Katze zu zeigen. «Ich musste lachen und habe mich sehr gefreut. Man muss sich gar nicht dauernd sehen, um Freundschaften zu pflegen», sagt Eugster. Sie sehe ihre Freundinnen vom Frauenstamm zwar weniger häufig als früher, aber noch genauso gern wie eh und je. «Gefühlsmässig hat sich nichts verändert.»