Das Auge ist ein Vielfrass – es isst schon mit, bevor wir überhaupt ans Essen denken. Ob das saftige T-Bone-Steak direkt vor uns steht oder wir Jamie Oliver bei der Zubereitung zuschauen, spielt dabei keine grosse Rolle: Der optische Reiz wird zuverlässig ans limbische System im Gehirn weitergeleitet, das für die Produktion von Speichel und Magensaft sorgt. Wenn visuelle Signale stark genug sind, hat nicht einmal ein bereits vorhandenes Sättigungsgefühl viel zu sagen.

Dass unser Ess- und Kaufverhalten durch visuelle Reize gesteuert ist, macht sich die Werbebranche gezielt zunutze. Produkte müssen so aussehen, dass sie Appetit auf mehr machen – im wahrsten Sinne des Wortes. So zeigen Erfrischungsgetränke tropische Früchte und Joghurts laufen auf Plakaten in den schillerndsten Farben vom Löffel. Doch steckt auch tatsächlich in den Produkten, was die Verpackung verspricht? Wo beginnt der Etikettenschwindel?

Etikettenschwindel oder nicht?

Im vergangenen Sommer liess Rivella im Werbespot zum neuen Produkt «Rivella Peach» einen überdimensionalen Pfirsich zwischen Badigäste ins Wasser springen. Dieser ist auch auf der Flaschenetikette abgebildet – obwohl im Getränk weder Pfirsichsaft noch –konzentrat enthalten sind. Wer auf der Verpackung sucht, findet in der Auflistung lediglich «natürliche Aromen». Da die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) darin eine Täuschung der Konsumenten sah, reichte sie Beschwerde bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission ein – und wurde zurückgewiesen. Der im Werbespot und auf der Etikette gezeigte Pfirsich lasse «den Durchschnittsadressaten nicht erwarten, beim beworbenen Produkt handle es sich um ein Pfirsichgetränk bzw. ein Getränk aus Pfirsichen», wie es im Urteil heisst. Begriffe wie «Aroma» und «Geschmack» würden die abgebildete Frucht relativieren und keine falsche Vorstellung beim Konsumenten auslösen.

Die SKS nimmt dieses Urteil mit Kopfschütteln zur Kenntnis: «Es ist uns schlichtweg unverständlich. Der Pfirsich ist in dieser Werbung aussergewöhnlich dominant, es handelt sich also nicht nur um einen dezenten Hinweis oder ein kleines Bildchen, im Gegenteil», so Geschäftsleiterin Sara Stalder. «Trotzdem würden nach Meinung der Kommission die Konsumenten nicht auf eine falsche Fährte geführt. Wo bleibt da die Logik?»

Auch Coca-Cola wirbt auf dem Produkt «Fanta Mango» mit der Frucht, obwohl das Getränk neben Wasser und Zucker lediglich drei Prozent Orangensaft und «natürliches Mangoaroma» enthält. «Nestea Mango Pineapple» verfügt neben «natürlichen Aromen» gerade mal über je 0,1 Prozent Pfirsich- und Ananassaft.

Bei Esswaren sieht es indes nicht viel besser aus, wie einige Beispiele von SRF Konsum zeigen.

So interpretieren Sie Etiketten

Aromastoffe müssen auf der Zutatenliste der Lebensmittel zwar genannt werden, der Begriff «Aroma» reicht laut einer Lebensmittelverordnung des EDI jedoch aus und muss nicht genauer ausgeführt werden. Bei den Herstellern werden oft die folgenden Kategorien unterschieden:

  • Aroma
    Sowohl natürliche als auch künstliche Aromastoffe.
     
  • Aromastoff
    Künstliche Aromen, deren Aromaeigenschaften synthetisch hergestellt werden. Erdbeeraroma kann z.B. aus Buchweizenstelzen gewonnen werden.
     
  • Naturidentische Aromen
    Künstlich hergestellt, chemisch aber identisch mit natürlichen Stoffen. z.B. Vanillin.
     
  • «Natürlich»
    Darf als Bezeichnung nur verwendet werden, wenn der Aromabestandteil mindestens zu 95 Gewichtsprozent aus dem Ausgangsstoff gewonnen wurde, auf den Bezug genommen wird.
     
  • Natürlicher Aromastoff
    Stoffe, die in der Natur vorkommen und aus pflanzlichen, tierischen oder mikrobiologischen Ausgangsstoffen gewonnen wurden. z.B. Apfelsaftkonzentrat
     
  • Natürliches Aroma
    Das Aroma wurde zwar aus einem Naturprodukt gewonnen, das müssen im Fall von Himbeerjoghurt aber nicht unbedingt Himbeeren sein. Auch Mikroorganismen wie beispielsweise Bakterien kommen infrage. Steht hingegen «natürliches Himbeeraroma» auf der Packung, stecken auch «echte» Himbeeren drin.
     
  • Aromaextrakt
    Ein Stoffgemisch, das wie ein natürlicher Aromastoff hergestellt wird. z.B. Fruchtsaftkonzentrat
«Etiketten sind nicht immer leicht zu entziffern»

Optische Reize können jedoch nicht nur durch kreative Etiketten ausgelöst werden – idealerweise lassen bereits die Produkte selber das Wasser im Mund zusammenlaufen. Wer schon einmal eine Erdbeercreme gemacht hat, weiss, welch saftige Farbe die pürierten Erdbeeren abgeben. Nur: Die gleiche Menge frischer Erdbeeren kann laut den Herstellern für die Vielzahl an Erdbeerprodukten weder aufgebracht noch finanziert werden. So werden Cremes, Desserts und Joghurts meist mit Farbstoffen angereichert.
 

Im Beispiel eines Erdbeerjoghurts lassen sich auf den Verpackungen unter anderem folgende Bezeichnungen finden:

  • Färbende Pflanzenextrakte (Erdbeerjoghurt AHA!)
  • Randenfärbesaft aus Konzentrat (LC1 Jogurt Erdbeere & Himbeere)
  • Randensaftkonzentrat (Prix Garantie Jogurt Erdbeer, Bifidus Erdbeere)
  • Konzentrate von Rande und Färberdistel (Skyr Quark Erdbeer)
  • Färbendes Karottensaftkonzentrat (M-Classic Joghurt Erdbeere)


«Zusatzstoffe müssen auf den Etiketten zwar deklariert werden, sind für den Konsument aber nicht immer leicht zu entziffern» erklärt Andrea Cramer, diplomierte Ernährungsberaterin FH beim Beobachter. So kann der natürliche Farbstoff Randensaft auch als «Betanin» oder «E 162» aufgeführt sein.

Es geht auch ohne Zusatzstoffe

Dass es auch anders geht, zeigt Emmi mit dem Produkt «Jogurtpur». Dieses verzichtet vollständig auf Zusatzstoffe (Aromen, Verdickungsmittel, Farb- und Konservierungsstoffe) und enthält nur die drei Zutaten Jogurt, Frucht, und Zucker. «Zur Lancierung des Produktes kam es, weil Konsumenten immer mehr daran interessiert sind, natürliche Produkte zu konsumieren», erklärt Esther Gerster, Leiterin Konzernkommunikation bei Emmi. Die Erdbeerjoghurts seien zwar weniger rot, kommen bei den Kunden aber sehr gut an. So verkauft der Hersteller mittlerweile sieben Sorten und hat jüngst «Jogurtpur to go» im Quetschbeutel lanciert.

Verteufelt werden sollten weder Aroma noch Farbstoffe: Sie werden erst zugelassen, wenn durch den Konsum nachweislich kein gesundheitlicher Schaden entsteht. Dennoch kann es nicht schaden, wenn der Konsument sich der Tricks der Hersteller bewusst ist und sich so vielleicht weniger schnell an der Nase herumführen lässt.