Im Dezember wurden in Deutschland mehrere zehntausend Abmahnungen verschickt. Von jedem Empfänger forderte die Anwaltskanzlei Urmann + Collegen rund 250 Euro für das angebliche Ansehen eines Pornos auf der Internetseite Redtube.

Der Auftraggeber der Anwaltskanzlei ist The Archive AG im zürcherischen Bassersdorf. Sie behauptet, im Besitz der Urheberrechte von sechs Pornofilmen zu sein. Dass sie die Rechte tatsächlich besitzt, ist allerdings zu bezweifeln, wie «Die Welt» schreibt.

Verdacht auf «besonders schweren Betrug»

Weil ebenso unklar ist, wie The Archive AG an die IP-Adressen der Abgemahnten gelangt ist, hat die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen eingeleitet, die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt wegen dem Verdacht auf «besonders schweren Betrug».

Nur drei Wochen nach der Abmahnwelle trat der Direktor Philipp Wiik von The Archive AG zurück und die Firma wurde eiligst einige Kilometer weiter ins ebenfalls zürcherische Weisslingen verschoben.

Dabei scheint Philipp Wiik die Sache ursprünglich entspannt angegangen zu sein. Nur zwei Tage bevor die ersten Abmahnungen in deutschen Briefkästen gelandet sind,  hat er der «Berner Zeitung» noch ein Interview gegeben. Darin erzählt Wiik von seiner eigentlichen Arbeit: Demnach ist er bei einem Paketversender der Projektleiter für die Zusammenarbeit mit Onlinehändlern.

Auf Anrufe bei The Archive AG meldet sich vor Weihnachten nur jemand, der sich als «einfacher Angestellter» namens Herr Müller ausgibt. Er besteht darauf, dass er sich am Domizil in Bassersdorf in geschäftlichen Räumlichkeiten von The Archive AG befinde. Nur: Die Adresse von The Archive AG ist eine normale Wohnung: In ihr lebt Wiik mit seiner Ehefrau. Laut der Verwaltung gibt es dort weder Büros noch Gewerberäume.

Der Firmenboss ist Call Agent von Beruf

Das Amt des Direktors hat nun ein Benine namens Crespin Djengue übernommen. Wie die «Handelszeitung» schreibt, sei der 35-jährige Westafrikaner in Finanzkreisen ein Unbekannter. Kein Wunder: Gegenüber dem Beobachter sagt der Mitbewohner von Djengue, dieser sei von Beruf Call Agent. Eine weitere Quelle bestätigt das.

Die beiden wohnen in einer kleinen Siedlung aus mehreren Reihen Mehrfamilienhäusern mit weissem Anstrich und gelben Fensterläden. Auf den Briefkästen dominieren spanische, osteuropäische, russische, italienische und afrikanische Namen.

Briefkasten mit weisser Farbe beschriftet

Am Tag der amtlichen Bekanntgabe von Djengues neuem Amt als Direktor leert er den vollen Briefkasten und pinselt neben seinen Namen mit weisser Farbe die Buchstaben «Archive AG».

Er selber will gegenüber dem Beobachter keine Stellung nehmen. Er verweist auf Verwaltungsrat Ralf Reichert.

Reichert hat die Firma 2011 mit Philipp Wiik gegründet. Zwischenzeitlich war ausserdem der in Frankreich lebende Peter Matthias mit von der Partie. Alle drei sind Deutsche. Im April 2013 verliess er The Archive AG.  «Ich habe meine Sachen in der Firma erledigt und habe sie sauber verlassen», sagt er am Telefon dem Beobachter. Warum er ausgestiegen ist, verrät er nicht. Mit Philipp Wiik verstehe er sich nach wie vor gut, lässt er noch wissen. Dann legt er auf.

Quelle: Thinkstock Kollektion
Keine Ermittlungen in der Schweiz

Der Wechsel von Bassersdorf nach Weisslingen spielt allerdings keine Rolle: «Was zählt, ist der Sitz der Firma zum Zeitpunkt allfälliger straffälliger Handlungen», sagt Rolf Jäger. Er ist Leiter der für Bassersdorf zuständigen Staatsanwaltschaft. Berichte von «Vice» und «Die Welt» über eine angebliche Untersuchung in der Schweiz dementiert Jäger: «Wir haben zu der Sache weder ein Amtshilfegesuch noch Anzeigen vorliegen, es gibt von uns also keine Ermittlungen». Die Staatsanwaltschaft hat erst durch den Beobachter von den Vorwürfen erfahren.

Auch dem Bundesamt für Justiz liegt zur Zeit kein Amtshilfegesuch vor, wie Sprecher Folco Galli bestätigt.

Einzig der Eidgenössische Datenschützer ist mit dem Fall vertraut. «Die Abklärungen laufen», schreibt Sprecherin Eliane Schmid dem Beobachter. Es sei nicht auszuschliessen, dass das Datenschutzgesetz auf den Fall anwendbar sei. Denn IP-Adressen gelten unter Umständen als Personendaten.