Jeder Internetnutzer kennt die Spam- oder Werbemails, die ungefragt in der Mailbox landen. Sie wollen dazu verleiten, Schlankheitspillen, Haarwuchsmittel, Muskelaufbaupräparate, Potenzmittel oder Schmerztabletten zu bestellen – oft zu angeblich günstigen Konditionen. Dies kann jedoch ins Auge gehen. Und nicht alles, was in scheinbar seriösen Online-Apotheken angeboten wird, ist der Gesundheit oder der Schönheit förderlich. Gefälschte Präparate, falsche Dosierungen und gesundheitsschädigende Inhaltsstoffe sind bei Medikamenten, die bei ausländischen Anbietern im Internet bestellt werden, an der Tagesordnung.

Weltweit werden im Web Hunderte von wirkungslosen, gefälschten und qualitativ schlechten Arzneimitteln angeboten – oft auch Medikamente, für die ein ärztliches Rezept erforderlich wäre. «In Europa sind gefälschte Medikamente erst in den letzten zehn Jahren aufgetaucht. Zuvor war es ein Problem der Entwicklungsländer», sagt Ruth Mosimann, von Swissmedic, der schweizerischen Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Heilmittel. In der Schweiz ist es noch nie vorgekommen, dass eine Apotheke gefälschte Medikamente verkauft hat. Alle Fälschungen stammen aus dem Ausland und werden online bestellt.

Russisches Roulette im Internet

Die Hälfte aller aus dem Ausland bestellten Medikamente ist gefälscht oder von schlechter Qualität. Dies zeigen die regelmässigen Stichproben von Swissmedic in Zusammenarbeit mit den Zollbehörden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von der gleichen Menge aus. «Ob man ein gutes oder ein gesundheitsgefährdendes Präparat erhält, ist wie russisches Roulette. Man weiss nie, was im Paket enthalten ist», sagt Ruth Mosimann. Untersuchungen durch Swissmedic an verdächtigen Mustern ergaben, dass die Pillen den Wirkstoff in falscher Dosierung, falsche Wirkstoffe oder giftige Bestandteile wie Arsen oder Quecksilber enthielten – und zwar in Mengen, die die Grenzwerte um ein Mehrfaches überschritten.

Zu den Fälschungen zählt Swissmedic nicht nur Markenfälschungen, sondern auch die Mittel, bei denen ein Kunde schlicht getäuscht wird, etwa weil ein Medikament einen anderen Wirkstoff oder eine andere Dosierung enthält als angeschrieben. Todesfälle nach dem Konsum von gefälschten Medikamenten gab es in der Schweiz bisher zwar nicht. Der Spezialistin von Swissmedic sind jedoch verschiedene Fälle aus Asien bekannt, in denen zuvor gesunde junge Männer wegen Unterzuckerung ihr Leben verloren. Nachforschungen ergaben, dass sie aus Versehen einen blutzuckersenkenden Wirkstoff gegen Altersdiabetes eingenommen hatten. Der Wirkstoff war in einer Überdosis enthalten – in Tabletten, die im Internet angeboten und den jungen Männern als Potenzmittel verkauft worden waren.

Wie kann das passieren? Gemäss Ruth Mosimann ist es wohl nicht die Absicht der ausländischen Online-Medikamentenhändler, ihre Kunden umzubringen: «Aber manche Anbieter kontrollieren offenbar zu wenig und verwechseln die Wirkstoffe, möglicherweise weil sie nicht damit vertraut sind.»

Opfer schämen sich und schweigen

Auch in der Schweiz konnte man im Rahmen einer Studie von Swissmedic dokumentierte Nebenwirkungen bei Patienten finden, die illegale oder falsch dosierte Potenzmittel eingenommen hatten. Die Patienten klagten danach über Beschwerden wie Übelkeit, Kopfschmerzen und Sehstörungen bis hin zu Herzrhythmusstörungen. «Leider werden die Fälle von Erkrankungen nach der Einnahme von gefälschten Medikamenten kaum gemeldet, weil die Leute oft ein schlechtes Gewissen haben und dem Arzt nichts erzählen», so Ruth Mosimann.

Die Anbieter der falschen oder wirkungslosen Medikamente gehören meistens zu kriminellen Organisationen, die sehr gut organisiert und über mehrere Länder verteilt sind. Um den Paketen einen seriöseren Anstrich zu verleihen, werden sie oft aus Europa, etwa von England aus, in die Schweiz geschickt. Jeder Zwischenhändler verdient mit. Die Spammails, mit denen Kunden geködert werden, können von überall auf der Welt verschickt werden. Oftmals stammen sie von Studenten, die sich ein Taschengeld verdienen und nichts mit dem Versand der Pakete zu tun haben.

Viele gefälschte Arzneimittel werden in China oder Indien produziert. Einige Anbieter haben sich auf Antibiotika, Medikamente gegen Malaria oder besonders teure Krebsmittel spezialisiert, bei denen eine Ampulle mehrere tausend Franken kostet. Andere Täterschaften wollen mit grossen Mengen viel Geld machen, etwa mit Schmerzmitteln, die rezeptfrei in Apotheken erhältlich sind.

Schlankheit und besserer Sex

Sehr lukrativ ist das Geschäft mit gefälschten sogenannten Lifestyle-Medikamenten wie Potenz- oder Schlankheitsmitteln. Sie werden besonders häufig imitiert und aggressiv per Mail angeboten. Die Anbieter wissen, dass speziell bei Potenzmitteln die Hemmschwelle für eine Online-Bestellung tief liegt, weil man die Mittel auf diese Art anonym, diskret und ohne Arztbesuch und Rezept erhält.

Ruth Mosimann kennt sehr skrupellose Beispiele aus dem Bereich der traditionellen chinesischen Medizin: «Besonders dreist finde ich es, wenn ein Arzneimittel angeblich 100 Prozent natürliche und pflanzliche Bestandteile enthält und in Realität eine Überdosis nicht deklarierter chemischer Substanzen beinhaltet.» Oft seien die Verpackungen dieser Arzneimittel edel gestaltet und mit Hologrammen, Silberpapier und laminiertem Karton versehen. Enorm verbreitet ist das chinesische Schlankheitsmittel LiDa Dai Dai Hua, das den Zollbehörden und Swissmedic bereits seit vielen Jahren bekannt ist. Vor zwei Jahren wurde der darin enthaltene Wirkstoff Sibutramin in der EU und in der Schweiz verboten. Denn der Stoff hemmt nicht nur den Appetit, sondern kann gravierende Nebenwirkungen wie etwa Psychosen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen. Trotzdem produzieren die Anbieter die Präparate ungehindert weiter und versenden sie – dem Anschein nach von England aus – in alle Welt. Derzeit enthält das Arzneimittel sogar doppelt so viel Sibutramin als vorher.

Gefährlich ist das auch deshalb, weil so noch schneller eine gesundheitsschädigende Überdosis droht. Ruth Mosimann: «In der irrigen Annahme, besonders schnell abzunehmen, nimmt eine Frau schnell einmal mehr Tabletten, als auf der Packung empfohlen werden.»

Lassen Sie sich nicht täuschen

Der Versandhandel mit Arzneimitteln ist in der Schweiz prinzipiell verboten. Ausnahme: Eine Privatperson darf für sich selbst Arzneimittel in der Menge eines Monatsbedarfs importieren.

Rezeptpflichtige Medikamente wie Schlaf-, Beruhigungs- oder starke Schmerzmittel darf man nur einführen, wenn der Sendung ein Rezept eines Schweizer Arztes beiliegt.

Ein Laie kann die Fälschung vom Original nicht unterscheiden. Die Heilmittelbehörde Swissmedic empfiehlt, von jeglichem Medikamentenkauf im Internet die Hände zu lassen. Wegen des glänzenden Überzugs auf den Filmtabletten sehen Fälschungen manchmal sogar besser und echter als das Original.

Auf Folgendes sollten Sie unbedingt achten, wenn Sie trotzdem Medikamente im Internet bestellen wollen:

  • Lassen Sie sich von professionell gemachten Websites, vertrauenerweckenden Fotos von Mitarbeitern oder Support-Hotlines nicht täuschen. Viele ausländische Anbieter täuschen vor, eine Schweizer Internetapotheke zu sein. Prüfen Sie, wie der Inhaber des Domain-Namens heisst und welche Postadresse angegeben ist, zum Beispiel auf der Seite www.whois.com.

  • Der Kauf der Medikamente läuft meist über die Kreditkarte. Manche unseriöse Anbieter schicken ihren Kunden ohne Bestellung nach einer bestimmten Zeit nochmals dieselbe Menge Medikamente und lassen den Betrag abbuchen.

  • Falls Arzneimittelimporte einen Monatsbedarf übersteigen oder das Medikament in der Schweiz nicht zugelassen ist, wird die Sendung von der Post festgehalten. Swissmedic eröffnet nach der Blockierung der Ware am Zoll ein Verwaltungsverfahren. Die Kosten von rund 300 Franken muss der Besteller in der Schweiz tragen. Die beschlagnahmten Mittel werden vernichtet.

  • Kaufen Sie aus Sicherheitsgründen nur in der Schweiz zugelassene Medikamente: www.swissmedic.ch

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