Beobachter: Ist Pokern riskant?
Gerhard Meyer: Ganz eindeutig. Das Pokerspiel hat ein hohes Suchtpotential. Es handelt sich um ein Glücksspiel, bei dem Sieg oder Niederlage in sehr schneller Abfolge erfolgen, insbesondere im Internet. Hinzu kommt, dass tatsächliche sowie wahrgenommene Spielkompetenz eine Rolle spielt: Da sie nicht nur auf Glück beruhen, werden Erfolgserlebnisse intensiver wahrgenommen, was wiederum die Bindung an das Spiel festigt.

Beobachter: Sind Turniere mit fixem Eintrittsbetrag, wie sie mittlerweile schweizweit in Mehrzweckhallen, Landgasthöfen und Schulhäusern stattfinden, weniger gefährlich?
Meyer: Da solche Turniere einige Stunden dauern und der Gesamteinsatz während des Spiels nicht erhöht werden kann, ist ein Suchtfaktor, nämlich die hohe Ereignisfrequenz, tatsächlich geschmälert. Dennoch können solche Turniere auf jeden Fall den Einstieg in eine Spielerkarriere bedeuten.

Beobachter: Wieso sind Sie sich da so sicher?
Meyer: Viele Spieler berichten, dass sie über Turniere den Einstieg in Cash-Games, in Pokerrunden um Geld, gefunden haben.

Beobachter: Es wird also in Zukunft mehr Spielsüchtige geben?
Meyer: Das ist auf jeden Fall zu erwarten. Es dauert erfahrungsgemäss eine Weile, bis sich solche Trends manifestieren. Fakt ist aber, dass wir bereits jetzt die ersten Pokerspieler in den Suchtberatungsstellen haben. Empirische Erhebungen fehlen allerdings, dazu ist die Welle noch zu neu.

Beobachter: Die Eidgenössische Spielbankenkommission hat kürzlich solche Pokerturniere mit begrenztem Gesamteinsatz aber erlaubt...
Meyer: Ich habe das mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Europaweit gehen die Urteilssprüche dahin, dass Poker kein Geschicklichkeits-, sondern ein Glücksspiel ist. In Deutschland verschärfen die Ministerien sogar konstant ihre Erlasse, in einigen Bundesländern dürfen inzwischen bei Turnieren keine Startgelder mehr erhoben werden.

Beobachter: Hauptargument für das Pokern ist die Spielkompetenz, die man sich angeblich aneignen kann.
Meyer: Auch wenn der Spieler nicht gegen die Bank, sondern gegen andere Spieler spielt und die eigenen Fähigkeiten zum Tragen kommen können, spielt der Zufallsfaktor eine wesentliche Rolle. Jemand, der seit sechs Monaten Tennis spielt, gewinnt unmöglich Wimbledon, jemand, der erst sechs Monate vorher mit Pokern angefangen hat, kann hingegen sehr wohl die Weltmeisterschaft gewinnen. Und die Medien arbeiten tüchtig an der Legendenbildung mit: Beim Pokern kannst du auch als Nobody reich werden.

Beobachter: Trotzdem gibt es bessere und schlechtere Spieler.
Meyer: Natürlich kann man auf lange Sicht besser sein als andere Spieler. Aber lange nicht jeder, der viel spielt, wird gut. Zudem ist gerade die Tatsache, dass Kompetenz einen gewissen Einfluss hat, gefährlich: Sie führt zu der Illusion, alles unter Kontrolle zu haben, gleichzeitig wird die Bedeutung von Zufallsprozessen unterschätzt.

Beobachter: In Bern werden diesen Sommer Pokerkurse für Kinder ab acht veranstaltet...
Meyer: Es ist unfassbar, dass sogar Kinder an dieses Spiel herangeführt werden sollen! Auch kritisch zu betrachten ist, dass Pokerturniere als Sportereignisse vermarktet werden. Sport ist sehr positiv verankert, gilt zu Recht als sozial und gesundheitsfördernd. Pokern hat mit alledem nichts zu tun. Aber für die Spiele- und Kasinoindustrie ist viel Geld damit zu verdienen.

Beobachter: Die Spiele- und Kasinoindustrie hat also grosses Interesse an den erlaubten Turnieren, an denen sie nichts verdient?
Meyer: Natürlich. Poker wird so in weite Bevölkerungsschichten hineingetragen, die Hemmschwelle, auch mal im Internet oder im Kasino zu zocken, wird massiv herabgesetzt. Ein deutliches Zeichen ist die Tatsache, dass die Industrie Millionen in etwas steckt, mit dem sie vordergründig keinen Cent verdient: in die Werbung für die Gratis-Pokersites, auf denen nur um Punkte gespielt werden kann. Das geschieht natürlich nur mit dem Ziel, den Spieler an das Spiel um Geld heranzuführen.