Der Winter in Lima ist grau, grau, grau. Nebel und Feuchtigkeit sind ideale Voraussetzungen für die Grippe. Im Januar erwarte ich mein drittes Kind. Als kürzlich bekannt wurde, dass eine zuvor kerngesunde Schwangere, eine Lehrerin, an der Schweinegrippe gestorben ist, riet mir meine Frauenärztin dringend, Peru so schnell wie möglich zu verlassen. Schwangere sind besonders gefährdet – das macht mir Angst. Es kam ja wegen des Virus weltweit schon zu einigen Frühgeburten, schweren Komplikationen und Todesfällen. Sorgen mache ich mir auch um meine beiden kleinen Kinder: Jakob ist eins und Hannah zweieinhalb. Ich hoffe, dass bald ein Impfstoff zur Verfügung steht und ich mich impfen lassen kann.

Mitte April tauchten die ersten Fälle von Schweinegrippe in Mexiko auf. Kurz darauf geriet das Virus in Peru in die Schlagzeilen und blieb dort omnipräsent. Jeden Tag erscheint auf dem Titelblatt der grössten Tageszeitung eine Übersicht über die neuen Krankheits- und Todesfälle. Zudem hat es fast täglich eine Hintergrundseite zum Thema in der Zeitung mit Verhaltensregeln und Tipps, wie man die Schweinegrippe von einer gewöhnlichen Grippe unterscheiden kann: schnell steigendes Fieber, starke Muskelschmerzen, wenig Nasensekret und viel Husten. Es wurde immer wieder dazu aufgefordert, sich zu schützen: Menschenmengen meiden, häufig Hände waschen und Türklinken desinfizieren. Falls man einen Grippefall in der Familie hat, sollte dieser isoliert und immer nur von der gleichen Person mit Maske gepflegt werden. Im Verdachtsfall sollte man sich umgehend mit den Behörden in Verbindung setzen.

Schulen und Kindergärten geschlossen

Auslöser der Schweinegrippe in Peru waren die Maturreisen einiger Privatschulen nach Puerto Rico. Dort steckten sich zahlreiche Schüler und Schülerinnen an und brachten die Erreger nach Peru. Mehrere Schulen und Kindergärten wurden geschlossen. Der Vorkindergarten meiner Tochter Hannah forderte uns Eltern mehrfach schriftlich auf, die Kinder bei den kleinsten Anzeichen einer Grippe oder Erkältung zu Hause zu behalten. Eingehalten wurde das aber nicht, es waren genauso viele Kinder mit Husten und laufender Nase da wie zuvor. Die älteren Geschwister eines Kindes sind dann tatsächlich an der Schweinegrippe erkrankt, das betroffene Kind musste zu Hause bleiben, seine Klasse wurde für ein paar Tage geschlossen.

Jeder in Peru kennt jemanden, der von der Schweinegrippe betroffen ist. Die Angehörigen einer Freundin von mir zum Beispiel haben die Grippe alle schon durchgemacht – und waren überrascht, wie harmlos sie bei ihnen verlief. Dennoch ist die Angst allgegenwärtig, weil die Todesfälle zunehmen und niemand wirklich weiss, warum auch gesunde Erwachsene plötzlich daran sterben.

Sehr dramatisch muss die Lage in Argentinien sein, man geht von Zehntausenden von Erkrankten aus, und das öffentliche Leben wurde zeitweise lahmgelegt. Eine schwangere Freundin ist bei ihrer Familie in Buenos Aires zu Besuch und hat quasi Hausarrest, da die Gefahr einer Ansteckung draussen zu hoch sei. Manchmal wünschte ich, dass wir uns endlich ansteckten und die Krankheit hinter uns brächten, damit wir nicht immer Angst haben müssten.

Als in Lima die Nachricht verbreitet wurde, dass der Nachweisstoff für die Schweinegrippe ausgegangen war, wurde mir wirklich mulmig, und ich dachte, dass es sinnvoll wäre, den Sommer in der Schweiz zu verbringen. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass wir nun hier sind. Um meinen Mann, der für eine internationale Firma arbeitet und noch in Peru ist, mache ich mir natürlich Sorgen. Hoffentlich steckt er sich nicht noch an, bevor auch er hierherkommt. Auch um meine Freundinnen sorge ich mich, viele von ihnen sind ebenfalls schwanger und haben kleine Kinder.

Hier in der Schweiz erlebte ich das Thema Schweinegrippe zunächst ganz anders, viel mehr im Hintergrund. Auch wenn es einige Leute vorzogen, uns die ersten Tage nach der Ankunft lieber nicht zu treffen, aus Angst, dass wir vielleicht die Grippe hätten. Mittlerweile ist das Thema auch hier präsenter. Und mich beeindruckt, dass hier alles so wohlorganisiert ist; es gibt Pandemieszenarien, und der Staat bereitet sich systematisch vor – so weit möglich. In Peru ist es viel chaotischer. Natürlich ist die Ausgangslage auch viel heikler: Etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut, viele unter prekären Umständen; sie können sich keine gründliche Gesundheitsvorsorge leisten, haben zum Teil nicht einmal Zugang zu Ärzten oder Spitälern. Aber genauso wie hier gibt es auch in Südamerika Stimmen, die kritisieren, dass so viel über die Schweinegrippe berichtet wird, und meinen, das sei alles nur ein Medienhype. Peru habe viel drängendere Probleme, wie eben zum Beispiel die Armutsbekämpfung.

Manchmal denke ich auch, dass es vielleicht hysterisch war, Hals über Kopf hierherzukommen. Und verschont werden wir ja auch hier nicht, wir haben vielleicht einfach noch etwas Aufschub bis zum Herbst. Aber mein Vertrauen in das Schweizer Gesundheitssystem ist hoch.