Das Urteil des Kölner Landgerichts, das vergangenen Monat die Beschneidung von Jungen als strafbare Körperverletzung gewertet hat, sorgte international für Empörung. Der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, Pinchas Goldschmidt, stufte das Urteil gar als schwersten Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust ein. Der Präsident der deutschen Ärztekammer riet seinen Mitgliedern aufgrund der unklaren rechtlichen Lage vor wenigen Tagen sogar von rituellen Beschneidungen ab.

Die Sorge um strafrechtliche Konsequenzen ist nun auch in die Schweiz übergeschwappt. Das Kinderspital Zürich hat als Reaktion darauf per sofort ein Operationsmoratorium für nicht medizinisch indizierte Beschneidungen von Kindern verordnet, die nicht selbst Stellung dazu nehmen können. «Die Geschäftsleitung des Kinderspitals hat sich mit dem Entscheid des Landesgerichts Köln befasst und ist dabei zum Schluss gekommen, eine juristische Einschätzung für die Situation am Kinderspital einzuholen und Ethikfachleute eine Weisung zu diesem Thema erarbeiten zu lassen», erklärt Rita Gobet, Leiterin der Urologie am Kinderspital Zürich.

Auch in anderen Schweizer Spitälern sorgt das Urteil für Wirbel. «Wir werden das Thema innerhalb der Klinikleitung diskutieren und dann entscheiden», bestätigt Theddy Slongo vom Kinderspital Bern. Es gehe darum, abzuwägen, ob es sinnvoller sei, den Eingriff lege artis – also nach allen Regeln der Kunst – durchzuführen oder durch ein Verbot zu riskieren, dass solche Eingriffe im Hinterhof stattfinden. Die Eingriffe provisorisch zu verbieten, findet er dennoch übertrieben: «Ich bin gegen Schnellschüsse.» Auch der Chefarzt der Kinderchirurgie Kinderspital Luzern, Marcus Schwöbel, plant vorläufig keine Änderung: «Jeder Kinderchirurgie hat sich die Frage nach der medizinisch nicht indizierten Beschneidung schon einmal gestellt. Wir sind bisher dem Wunsch der Eltern eines Buben gefolgt, weil das Wohl des Kindes es gebietet, den Eingriff unter optimalen Bedingungen in Allgemeinnarkose schmerzfrei und komplikationslos durchzuführen.»

Der Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Kinderchirurgie hat beschlossen, vorläufig keine Empfehlung abzugeben und allfällige Entscheide den lokalen Spitälern zu überlassen.

Die Debatte wurde aufgrund des Urteils über den Eingriff an einem vierjährigen Jungen angestossen, dessen Eltern aus religiösen Gründen eine Beschneidung veranlasst haben. Zwei Tage nach der Operation kam es zu Nachblutungen, weshalb die Mutter ihren Sohn nochmals ins Krankenhaus bringen musste. Als die Staatsanwaltschaft Köln davon erfuhr, erhob sie Anklage gegen den Mediziner. Der Richter sprach den Arzt zwar frei, wertete den Eingriff allerdings als «einfache Körperverletzung». Der Eingriff sei «nicht durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt, weil sie nicht dem Wohl des Kindes entspreche», hiess es im Urteil, das dem Online-Portal der «Süddeutschen Zeitung» vorliegt. Das Landgericht gewichtete das Recht des Kindes auf Unversehrtheit in diesem Fall grösser als das Erziehungsrecht der Eltern und deren Grundrecht auf Religionsfreiheit.