Die kleine solothurnische Gemeinde Härkingen ist gross in Sachen «An-Mo»: Hier liegt das Zentrum für chinesische Medizin. «Als wir vor etwas mehr als vier Jahren anfingen, wusste kaum jemand in der Schweiz, was sich hinter dem Begriff An-Mo verbirgt», sagt Peter Bläsi, der zusammen mit seiner chinesischen Frau Wang Pei das Zentrum leitet. Noch immer muss er Aufklärungsarbeit leisten, obwohl bereits eine intensive Zusammenarbeit mit Schulmedizinern stattfindet. «Wir wurden schon für Anbieter chinesischer Spezialitäten gehalten», lacht Peter Bläsi. «Das sind wir zwar, allerdings weniger im Gourmet- als im Therapiebereich.»

Jeder Handgriff sitzt perfekt

An-Mo kann wie die Akupunktur bei den verschiedensten Beschwerden eingesetzt werden. «Trotzdem behandeln unsere fünf An-Mo-Spezialisten vorwiegend Patientinnen und Patienten mit Störungen des Bewegungsapparats also Rücken- und Gelenkbeschwerden», sagt Bläsi. «Allerdings werden uns immer öfter auch Personen mit andern chronischen Erkrankungen überwiesen. Das zeigt das wachsende Vertrauen der Ärzte in unsere Arbeit und in diese Therapie.»

An-Mo heisst «drücken-streichen» und diese Begriffe beschreiben den eigentlichen Kern dieser Therapieform. An-Mo, oder auch Tui-Na («schieben-greifen»), basiert wie die Akupunktur auf der Philosophie der chinesischen Medizin. Das Geheimnis der Wirksamkeit von An-Mo liegt darin, dass Meridiane und Akupunkturpunkte stimuliert werden allerdings nicht wie in der Akupunktur mit Nadeln, sondern mit manuellen Techniken und speziellen Handgriffen. Für Uneingeweihte sehen diese Methoden aus, als wäre An-Mo eine Synthese aus westlicher Manualtherapie und östlicher Philosophie. Doch der Schein trügt: An-Mo basiert auf einer beinahe 5000-jährigen Tradition.

Eine An-Mo-Behandlung beginnt mit einer ausführlichen Befragung: Wann treten die Beschwerden auf? Wie lang dauern sie? Lassen sich Schmerzen genau lokalisieren oder sind sie über den ganzen Körper verteilt? Was löst die Beschwerden aus? Je mehr der Therapeut weiss, umso genauer kann er die Krankheit bekämpfen. Die Patienten müssen sich für die Therapie nicht ausziehen ausser wenn An-Mo mit einer anderen Technik wie etwa Moxa oder Schröpfen kombiniert wird.

Die Behandlungstechniken unterscheiden sich je nach Art der Krankheit und Stärke der Schmerzen. In einem der Behandlungsräume des An-Mo-Zentrums in Härkingen steht beispielsweise eine Therapieliege, mit deren Hilfe der An-Mo-Spezialist seine Patienten mit den Füssen behandeln kann. In den meisten Fällen wenden die Therapeuten jedoch die Hände und Ellbogen an. Da wird dann eifrig geknetet und gekreist, gedrückt und geschoben, gewalkt und mobilisiert.

Blinde Spezialisten mit Feingefühl

Die An-Mo-Körpertherapie wirkt ähnlich wie die Akupunktur, mit dem Unterschied, dass die Hautoberfläche nicht verletzt wird. Durch die manuelle Reizung der Akupunkte kann An-Mo einen starken Einfluss auf die Körperfunktionen haben: Schmerzen lassen dank einer Normalisierung der Muskelspannung nach, und die Zirkulation des Bluts sowie die Eingeweidefunktionen verbessern sich. Sogar auf das Immunsystem des Körpers übt die Behandlung einen positiven Einfluss aus. Dadurch verstärken sich die Abwehrkräfte des Patienten gegenüber Saisonkrankheiten oder gar Allergien.

Im Zentrum für chinesische Medizin praktizieren sowohl westliche als auch chinesische An-Mo-Therapeuten. Die Chinesen verständigen sich mit Hilfe eines Übersetzers mit ihren Patienten. Einige der Spezialisten sind blind oder sehbehindert und wurden in Härkingen zum Teil speziell ausgebildet. «Sehbehinderte verfügen über eine ausgeprägte Feinfühligkeit der Hände und können sich häufig ohne Unterlagen an Details erinnern. Deshalb sind gerade sie für diese Form der Körpertherapie besonders geeignet», sagt Peter Bläsi. Er steht aus diesem Grund mit dem Leiter der Eingliederungsstelle für Sehbehinderte in intensivem Kontakt. Angestrebtes Ziel: ein Projekt, das Sehbehinderten einen Einstieg in medizinisch-therapeutische Berufe ermöglichen soll.