Morgens um zehn Uhr wird aufgetischt: zwölf Brocken
Fleisch und Knochen, jedes Stück gute 40 Kilo schwer.
Scharfes Werkzeug liegt bereit. Auf Kommando machen sich junge
Berufsleute in weissen Schürzen über die Fleischberge
her: «Ausbeinen und Grobzerlegung» heisst die
Disziplin am internationalen Leistungswettbewerb der Fleischerjugend,
einem der Höhepunkte der Metzgerei-Fachausstellung (Mefa)
in der Messe Zürich. 75 Minuten schweisstreibende Knochenarbeit
am Hinterviertel eines Rinds. Bald schon liegt ein süsslich
schwerer Geruch in der Luft. Tierschützer und Vegetarier
würden sich lieber vierteilen lassen, als hierher zu
kommen.
Ihre Anwesenheit ist auch nicht vorgesehen. Die alle drei
Jahre stattfindende Messe ist ein Anlass im geschlossenen
Kreis: das Gipfeltreffen derjenigen, die sich von Berufs wegen
Fleisch und Wurst verschrieben haben. 202 Aussteller sind
diesen Mai gekommen, um den rund 11000 Besuchern ihre Produkte
und Dienstleistungen aus dem weiten Feld des Metzgereigewerbes
zu präsentieren.
«Ein anspruchsvoller Beruf»
Sonderliche Dinge wie Schäldärme, Entkeimungsmodule,
Schrumpfbeutel, Preisauszeichnungsroboter gehören ebenso
dazu wie Anlagen zum Anfrosten gepökelter Ware oder zur
Schweinebetäubung mittels Kohlendioxid. High-Tech-Maschinen
für kryogenes Kühlen buhlen neben Angeboten für
den täglichen Bedarf um Aufmerksamkeit: «Wir schleifen
ihre Schneideunterlagen arschglatt», verspricht ein
Servicefachgeschäft aus dem Aargauischen.
Das Logo der Mefa zeigt ein schweres Fleischerbeil. Das
steht sinnbildlich für das Wahrnehmungsproblem, als dessen
Opfer sich die hier Anwesenden fühlen. «Wer Metzger
hört, denkt gleich an grobe Schlächter», sagt
Balz Horber. «Das ist ein völlig falsches Bild.
Metzger ist ein hochdifferenzierter, anspruchsvoller Beruf.»
Als Direktor des Verbands Schweizer Metzgermeister, vom
militanten Tierschützer Erwin Kessler auch schon mal
als «Verband gewerbsmässiger Tiermörder»
beschimpft, ist der Betriebswirtschafter Horber gewissermassen
der höchste Metzger im Land. In dieser Funktion wird
er nicht müde, das Ansehen seiner unverstandenen Gilde
zu korrigieren. Wenn es sein muss, kann er dabei auch angriffig
werden: Vor kurzem rang sein Verband der Swisscom Mobile eine
öffentliche Entschuldigung ab, weil diese in einer Plakataktion
einen finsteren Fleischer gezeigt hatte, der Anstalten machte,
einem niedlichen Häschen den Kopf abzuschlagen.
«Tiere schlachten? Das könnte ich nie!»
Andrea Häcki ist noch leicht erhitzt und ausser Atem,
als sie dies klarstellt. Eben hat die 21-Jährige aus
Immensee an der Europameisterschaft der Fleischerjugend, die
in diesem Jahr im Rahmen der Zürcher Messe stattfindet,
die grobe Zerlegung des Rinderhinterviertels hinter sich gebracht.
Die Juroren beugen sich mit gestrengem Blick übers Werk
der amtierenden Schweizer Meisterin, prüfen mit Augen
und Fingern, ob das Fleisch ordentlich von den Knochen abgetrennt
wurde. Aus der Distanz raunt das Publikum, offenbar selber
vom Fach, anerkennend: «Suuber.»
Andrea Häcki ist die personifizierte Antithese zum
stiernackigen Metzger: offen und fröhlich in der Art,
zierlich in der Erscheinung, jung und erst noch eine Frau.
In ihrem Job gefalle ihr die Vielfalt und die Kreativität,
mit der sich Fleisch und andere Frischprodukte verarbeiten
liessen, sagt sie. Klar, es komme vor, dass andere aus ihrer
Altersklasse ob ihrer Berufswahl die Nase rümpften
«aber das ist mir wurst». Dann muss sie weiter,
die nächste Wettkampfaufgabe wartet: «Feinzerlegung.»
Tiefe Schnitte ins Fleisch
Eine Zerlegung struktureller Art erlebt seit einiger Zeit
die Schweizer Fleischbranche. Seit 1990 ist die Zahl der traditionellen
Dorf- und Quartiermetzgereien um über ein Viertel auf
noch 1500 Betriebe zurückgegangen. Das gesteigerte Kostenbewusstsein
der Konsumenten, ein gravierendes Nachwuchsproblem und das
Aufkommen von Fastfood führen dazu, dass jedes Jahr im
Schnitt 58 Detaillisten aufgeben müssen. Zudem ist der
Fleischkonsum der Schweizerinnen und Schweizer aufs vergleichsweise
bescheidene Niveau von 60 Kilo pro Kopf und Jahr gesunken.
BSE-Rinder, Dioxinhühner und Antibiotikaschweine haben
Spuren hinterlassen.
Im «Metzgerstübli» in der Halle 3 ist
von dieser Zurückhaltung nichts zu spüren. Über
Mittag ist das Lokal brechend voll; «der Hit
läuft gut», meldet die Küche. Der «Hit»
auf der Speisekarte: glasierte Kalbsbrust an Rotweinjus. In
ihrem Reduit, umgeben von einer Umwelt, in der ungehemmter
Fleischkonsum fast schon als politisch unkorrekt gilt, lassen
sich die Fleischprofis nicht auf falsche Gedanken bringen.
Dass hier kein einziges vegetarisches Menü auf der Speisekarte
steht, ist kaum ein Zufall.
Für Hermann Bader, aus einer Metzgersfamilie stammend
und seit 46 Jahren selber Metzger, sind Salate und Gemüse
kein Thema. Er kokettiert damit, sich seit seiner Kindheit
ausschliesslich von Fleischerzeugnissen zu ernähren,
mit Reis und Teigwaren als Beilage. Ausnahmsweise mal eine
Rösti. «Aber sonst nichts Vegetarisches. Das macht
mir keinen Spass.»
Manchmal gibts sogar Salat
Spass macht ihm Fleisch von allerbester Qualität und
mit lückenloser Herkunftskontrolle; das isst er nicht
nur, sondern er arbeitet auch damit. Mit der Ausrichtung aufs
höchste Qualitätssegment schreibt Baders Unternehmen
Traitafina in Lenzburg eine der raren Erfolgsgeschichten im
angeschlagenen Fleischmarkt. Der 62-Jährige ist einer
der Innovativen in der Branche. Längst ist er vorgestossen
in Sparten, in denen für den Metzger der Zukunft das
Potenzial liegt: Convenienceprodukte in allen Varianten, unbelastete
Sorten wie Straussenfleisch, Fisch und ausgerechnet!
Fertigsalate: «Salat ist zum Produzieren da,
nicht zum Essen.» Metzgerhumor.
Das Klischee sagt: Ein bedingungsloser Fleischesser ist
kugelrund, schwitzt schnell, geht langsam und keucht bei jeder
Bewegung. Hermann Bader ist drahtig schlank, er sieht gesund
und fit aus, sein Schritt ist beschwingt, wenn er in Anzug
und Krawatte durch die Messe zieht. Das Original eines währschaften
Metzgermeisters nach landläufiger Vorstellung muss demnach
weiter gesucht werden.
Es findet sich oben in Halle 5. Vor sich Körbe mit
Würsten und Trockenfleisch, hinter sich ein gemaltes
Alpenpanorama mit Bündner Bergdorf: Pietro Peduzzi, Metzger
mit Leib und Seele, aus Savognin. «Besonders viel Leib»,
sagt er selber, und dem ist nichts hinzuzufügen. In seinem
Familienbetrieb Natura werden Bündner Fleischspezialitäten
produziert und veredelt, mit traditionellen Methoden und Rezepten,
an denen nicht zu rütteln ist. «Ich bin halt noch
einer, der am Hergebrachten festhält», sagt Peduzzi.
Die Preise, die er mit seinen Erzeugnissen regelmässig
einheimst, bestärken ihn darin.
Kein Grund also, ihm in sein Handwerk zu pfuschen. Doch
eben dies hat im März der Nationalrat getan, als er entschied,
dass künftig auch Exportbündnerfleisch nur noch
aus einheimischem Fleisch herzustellen sei. Kommt es dazu,
würden die Produkte zu teuer, um auf dem ausländischen
Markt konkurrenzfähig zu sein.
Schon beim Gedanken an eine solche neue Vorschrift verliert
Pietro Peduzzi schlagartig seine Gemütlichkeit. Laut
und vernehmlich poltert der mächtige Mann aus den Bergen
über «diese Herrschaften in Bern», die von
solchen Dingen wirklich keine Ahnung hätten. «Als
ob es in unserem Beruf nicht schon genug Probleme gäbe.»
Da ist es wieder, das dumpfe Gefühl des Ausgegrenztseins:
alle gegen uns die unverstandenen Metzger.
«Ein feines Völklein»
Unter den Jungschlachtern ist die Stimmung derweil entspannt.
Die schwere Arbeit ist getan, jetzt beginnt der kreative Teil:
«Herrichten von drei Tagesplatten.» Wettkampfleiter
Otto Felder, ein Metzgermeister aus Wettingen, ist mit den
Leistungen zufrieden.
Dass Andrea Häcki, verglichen mit den männlichen
Konkurrenten ein feines Persönchen, so gut mithält,
erstaunt ihn in keiner Weise. «Wir Metzger sind ja auch
ein feines Völklein», sagt er. Und meint das überhaupt
nicht ironisch.