Nebel wabert um die Stallgebäude. Es ist neun Uhr. Noch ist auf dem Geflügelhof kein Gegacker zu hören. Ätzender Ammoniakgeruch hängt in der Luft. Dann durchbricht ein rasselnder Husten die Stille. Paul von Euw steht in der Tür des Wohnhauses. «Oh, happy day!», ruft der 54-Jährige und marschiert auf den grössten Stall zu. Es ist Zeit, die Klappen zu öffnen. Von Euw ist Herr über 7600 Lege- und 6000 Junghennen und elf Angestellte. Sein Betrieb in Oberglatt beliefert die halbe Zürcher Agglomeration mit Freilandeiern: 30 Millionen Stück pro Jahr.

Der eidgenössisch diplomierte Geflügelmeister drückt auf einen Knopf an der Aussenwand des Stalls. Sechs Luken öffnen sich: gelbe Hühnerbeine, wohin man blickt, und lautes Gegacker – dann strömen ein paar hundert Hühner in den überdachten Aussenbereich des Stalls.

Einige Tiere haben die Federn am Hals verloren. «Das kommt vom Scheuern am Futtertrog», sagt von Euw. Als er dann auch die Luken öffnet, die vom Wintergarten nach draussen führen, wagen sich ein paar Hühner zaghaft auf die Wiese und beginnen, Körner zu picken.

In der Schweiz leben heute bereits 70 Prozent der Legehennen in Freilandhaltung. Das heisst, dass die Tiere bei angenehmer, trockener Witterung an die frische Luft dürfen. Ein Fünftel dieser Freilandhühner lebt auf Biohöfen. Diese Herden sind kleiner, das Futter stammt aus Bioproduktion, und die Tiere haben auch bei nasser Witterung Auslauf. Wenigstens einen Wintergarten zur Verfügung haben 13 Prozent der Schweizer Legehennen. Die restlichen 17 Prozent leben das ganze Jahr über im Stall. «Bodenhaltung» nennt man diese  Art der Eierproduktion. Sie ist immerhin um einiges tierfreundlicher als die Batteriehaltung, die in der EU noch immer der Normalfall ist.

Vollautomatisierte Produktion

Es wird Zeit, die Eier einzusammeln. Paul von Euw öffnet die Tür zum Stall – Tausende von Hühnern gucken und gackern. Die meisten sind gar nicht nach draussen gegangen. Auf drei Etagen sitzen sie dicht an dicht beisammen. Am Boden ist der Scharrraum, im ersten Stock wird gefressen und getrunken, zuoberst ist die Ruhezone. Das Futter – «aus hofeigener Produktion», wie von Euw betont – wird über Rohre automatisch in den Futtertrog transportiert. Vollautomatisch ist auch die Stallreinigung: Der Kot fällt durch Gitter auf ein Rollband und wird alle vier Tage hinausbefördert. Auch die Eier gelangen per Rollband in den Vorraum. Ein Mitarbeiter muss sie nur noch in Kartons packen. Heute hat Betriebsleiter Hans Stirnimann «Eierdienst».

Nicht nur die Abläufe auf dem Hof sind komplett durchrationalisiert. Auch der Weg von der Zucht bis zur Legehenne ist geprägt von Effizienzkriterien. Er beginnt in einer der rund sieben Zuchtanstalten, die es weltweit noch gibt. Etwa bei der deutschen Firma Lohmann Tierzucht. Sie verkauft zum Beispiel die Rasse «Lohmann Tradition», Schlupfrate: 78 bis 82 Prozent, Vitalität: 90 bis 96 Prozent, Futterverbrauch: 48 Kilogramm, Anzahl Eier: 285 bis 295. Andere Rassen heissen «Lohmann LSL» oder «Lohmann Sandy». Jedes Jahr werden rund 84 '000 dieser hochgezüchteten Tiere in die Schweiz importiert. Nach Wochen der Quarantäne und Aufzucht dienen sie als Ausgangstiere für die Produktion von Bruteiern. Daraus geht eine nächste Generation von Hühnern hervor, die noch mehr Bruteier produziert. Erst aus diesen schlüpfen dann die Legionen von Legehennen für die Höfe.

Quelle: Vera Hartmann
Geburtsort Brutkasten

Die Geburt der Küken findet hinter verschlossenen Türen statt: im streng kontrollierten Brutschrank der Brüterei. Drei Wochen lang werden die Eier zu Tausenden in Rollgestellen ausgebrütet. Dann kündigt vereinzeltes Piepsen erste Geburten an. Tags darauf sind alle Tiere geschlüpft; ziepend warten sie in den Gestellen, bis jemand sie aus dem Schrank holt.

Nächste Station ist das sogenannte Sexen: das Aussortieren der männlichen Küken. Rund 2,6 Millionen unerwünschte «Bibeli» werden hierzulande pro Jahr vergast, darunter auch die Biomännchen; einige landen als Futtertiere im Zoo, die meisten aber verenden in der Biogasproduktion – genau wie die 12 bis 15 Monate alten, «ausgelaugten» Legehennen. Man könnte Letztere zwar als Suppenhühner essen, aber Herr und Frau Schweizer kaufen lieber Poulets mit mehr Fleisch am Knochen. «Wenn jeder Haushalt pro Jahr ein Suppenhuhn kaufen würde, wäre das Problem gelöst», sagt Paul von Euw.

Ställe bieten Schutz und Futter

In Oberglatt hat sich der Nebel verzogen; ein strahlend schöner Nachmittag kündigt sich an. Den Hühnern scheint dies egal zu sein. Fast alle sind in den Stall zurückgekehrt. «Die gehen nur raus, wenn sie wollen», sagt von Euw. «Oder würden Sie bei dieser Kälte freiwillig draussen bleiben?»

Hansueli Huber, Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes, bestätigt die Beobachtung: «Ein guter Stall ist durchaus attraktiv für die Hühner. In ihm finden die Tiere Futter, Wärme, Sicherheit.» Huber betont aber, dass nicht jede Freilandhaltung wie gewünscht funktioniert. «Die Tiere gehen nur hinaus, wenn es draussen Verstecke gibt.»

Betriebsleiter Stirnimann bringt nun die Eier in den Verpackungsraum. Bis sie für den Verkauf bereit sind, durchlaufen sie noch einige Stationen. In der Durchleuchtungsstation sortiert eine Angestellte Eier mit Anomalien aus. Die guten werden automatisch nach Gewicht sortiert, von flinken Händen in die Kartons gelegt und automatisch mit dem Legedatum versehen. Stunden später gelangen die Freilandeier per Lastwagen in die Läden der Umgebung oder in die Ostereierfärberei in Bad Ragaz.

Um 16 Uhr ist es auf dem Geflügelhof Zeit, die Klappen zu schliessen. Paul von Euw pfeift zum Scherz wie ein Habicht – worauf die wenigen Hühner, die noch draussen sind, sofort zurück in den Wintergarten rasen. «Es steckt halt immer noch ein wenig Natur in ihnen», sagt der Geflügelmeister und lacht, bis ihn erneut der Rasselhusten schüttelt.

Ganz einfach: an der Farbe des Ohrläppchens. Ist das Ohr weiss, legt das Huhn weisse Eier; ist es rosa, sind die Eier braun. Ausnahmen sind höchst selten. Keinen Einfluss auf die Eierfarbe hat dagegen die Gefiederfarbe, wie oft fälschlicherweise angenommen wird.