Update vom 31. Juli 2020:

Kläger scheitern vor Bundesgericht

Die Klage von rund 6000 Autokäufern wegen des VW-Abgasskandals ist vor dem Bundesgericht gescheitert, wie die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) mitteilt. Sie hatte gemeinsam mit den Kunden gegen den Volkswagen-Konzern und den Schweizer Importeur Amag auf Schadenersatz geklagt.

Das Bundesgericht stütze damit ein Urteil des Handelsgerichts Zürich, das es Ende 2019 abgelehnt hatte, auf die Klage einzutreten. Das Bundesgerichtsurteil ist noch nicht öffentlich, aber laut SKS-Geschäftsleiterin Sara Stalder folgt das oberste Gericht der Argumentation der Zürcher Richter.

Diese waren zur Auffassung gekommen, dass eine Sammelklage über den Auftrag der Stiftung für Konsumentenschutz hinausgehe, so dass es der SKS an «Handlungs- und Prozessfähigkeit» mangele. «Das Durchsetzen von Schadenersatzansprüchen einzelner Konsumenten» gehöre nicht zu ihren Aufgaben. Das Gericht kritisierte, dass sich die SKS «als Inkassovehikel zur Verfügung stellt». Ausserdem, dass sie nicht im eigenen, «sondern alleine im Interesse der Geschädigten» klage, und dass sie dafür kein Geld verlange, sondern selbst ein finanzielles Risiko eingehe.

Auf die inhaltliche Frage, ob die betroffenen Autokäufer einen Anspruch auf Schadenersatz haben, gingen die Richterinnen und Richter nicht ein.

Für Stalder zeigt das Urteil des Bundesgerichts, «dass Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz bei Massenschäden rechtlich ungeschützt sind – selbst bei offenkundig widerrechtlichen Machenschaften, wie sie der Volkswagen-Konzern an den Tag legte».

Das Handelsgericht hatte die SKS verpflichtet, die Gerichtsgebühr von 120'000 Franken sowie eine Entschädigung von insgesamt 168'000 Franken an VW und Amag zu zahlen. Diese Kosten leitete das Gericht aus dem Streitwert von fast 34 Millionen Franken ab.

SKS: Begründung des Gerichts nicht nachvollziehbar

Die Amag teilte damals mit, damit folge das Gericht ihrer Beurteilung. Die SKS kritisierte, sie könne die Begründung des Handelsgerichts nicht nachvollziehen. Der ausdrückliche Zweck der Stiftung sei gerade die «Wahrung der Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten». Die Begründung des Gerichts sei in keiner Weise akzeptabel.

Die SKS war bereits im Sommer 2018 mit ihrer Verbandsklage vor dem Handelsgericht gescheitert. Das Gericht war auch damals nicht darauf eingetreten. Die SKS wollte mit ihrer Klage feststellen lassen, dass VW und Amag das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb missachtet hätten. Da die Abgasmanipulationen seit Herbst 2015 bekannt sind, lag aus Sicht des Gerichts zum Zeitpunkt der Klage keine Täuschung mehr vor. Der Anwalt der SKS, Alexander Amann, kritisierte das damals scharf: «Folgt man der Argumentation des Handelsgerichts, können Unternehmen oder Personen, die widerrechtlich handeln, die Verbandsklage jederzeit ins Leere laufen lassen: Sie müssen dafür ihre illegalen Tätigkeiten einfach nur einstellen».

 

Der VW-Abgasskandal geht juristisch in eine neue Runde: Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) hat am 29. Dezember rund 6000 Schadenersatzklagen gegen Volkswagen und den Importeur Amag eingereicht. Sie übergab dem Handelsgericht Zürich rund 50 Kisten mit Aktenordern voller Unterlagen von betroffenen Privatleuten und KMUs. Anders als in den USA, wo VW wegen illegaler Abgasmanipulationen mehr als 20 Milliarden Dollar Entschädigungen zahlt, hätten sich Kunden in der Schweiz mit einem Software-Update zufrieden geben sollen.

«Ein Monsterprojekt»

Da ab Anfang 2018 die Verjährung weitergehender Ansprüche droht, klagte nun die SKS buchstäblich im letzten Moment. Eine sichtlich stolze Geschäftsleiterin Sara Stalder sprach vor den Medien vor einem «Monsterprojekt» mit etlichen Nachtschichten für ihren Verband und die beteiligte Anwaltskanzlei.

Stalder bedauerte, dass Gespräche mit der Amag gescheitert seien und VW in Europa inklusive der Schweiz jegliche Vergleichsverhandlung verweigert habe: «VW spielt mit dieser Strategie bewusst auf Zeit, um zu erreichen, dass die Betroffenen auf ihrem Schaden sitzen bleiben».

Die SKS begründet ihre Klage damit, dass die Käufer einst für vermeintlich umweltfreundliche Autos zu viel gezahlt hätten und dass die Wagen nun deutlich weniger wert seien als nicht betroffene Autos. Die Stiftung beziffert den Schaden auf 15 Prozent des Neuwerts, also zwischen 3'000 und 7'000 Franken pro Fahrzeug. Insgesamt dürfte es um einen Streitwert von gut 30 Millionen Franken gehen.

«Die SKS versucht, ihre Bekanntheit und Medienwirkung zu eigenen Zwecken zu missbrauchen.»


Dino Graf, Leiter Group Communication der Amag

Die Amag wies die Forderungen der SKS umgehend zurück. Es habe keine widerrechtliche Täuschung gegeben. Die Bundesanwaltschaft habe bereits früher mitgeteilt, dass sie keinen Anfangsverdacht gegen die Amag sah und sie deshalb keine Untersuchung begann.

Der Importeur, der kein Teil von Volkswagen, sondern dessen Kunde ist, bestreitet ausserdem, dass es überhaupt einen finanziellen Schaden gegeben habe. Die Aussage der SKS, die Käufer von betroffenen Fahrzeugen der Marken VW, Audi, Seat oder Skoda hätten zu viel gezahlt oder erzielten auf dem Occasionsmarkt viel weniger Erlös, sei «in keiner Weise nachvollziehbar». Branchenprofis wie Eurotax hätten keinen Wertverlust bei den betroffenen Fahrzeugen festgestellt.

Inzwischen sind laut Amag mehr als 95 Prozent der rund 180'000 betroffenen Fahrzeuge mit dem Software-Update ausgestattet. Die SKS versuche laut Kommunikationschef Dino Graf mit ihrer Klage, «ihre Bekanntheit und Medienwirkung zu eigenen Zwecken zu missbrauchen».

Rechtsschutzversicherungen unterstützen Klage

Unterstützt wird das Verfahren der SKS von zehn Schweizer Rechtsschutzversicherungen, die für ihre Kunden – rund die Hälfte der Kläger – die Prozesskosten übernehmen, sowie dem Prozessfinanzierer Nivalion AG aus Steinhausen ZG. Er erhält aus einer allfälligen Entschädigungssumme ein Erfolgshonorar, das laut Cécile Thomi, Leiterin Recht bei der SKS, deutlich unter den üblichen 35 Prozent liegen wird.

Erstmals gehen alle Schweizer Rechtsschutzversicherungen gemeinsam juristisch vor. Laut Christoph Arnet von der Coop Rechtsschutz sahen sich die Versicherungen bereits kurz nach dem Auffliegen der Abgasmanipulationen mit zahlreichen Kundenanfragen konfrontiert. Nachdem in Deutschland mehrere Klagen abgewiesen worden waren, suchten die Versicherungen nach rechtlichen Alternativen.

«Es kann nicht sein, dass die Betroffenen in der Schweiz untätig zuschauen, wie ihre Ansprüche verjähren.»


Alexander Amann, Rechtsanwalt

Gemeinsam mit der Liechtensteiner Kanzlei Schwärzler Rechtsanwälte haben SKS und die Versicherungen das Klageprojekt entwickelt. Schwärzler-Rechtsanwalt Alexander Amann erinnerte vor den Medien daran, dass sich VW in den USA bereits Mitte 2016 mit Behörden und Geschädigten in Vergleichen geeignet hatte.

In Europa und der Schweiz sei die Verhandlungsbereitschaft völlig anders. «Das liegt nicht etwa an der angeblich unterschiedlichen Rechtslage», so Amann. Auch in der Schweiz seien die Verwendung einer Abschalteinrichtung und täuschende Werbung gesetzwidrig. «Unterschiedlich sind die Rechtssysteme vor allem im Zugang zum Gericht.»

Denn es gebe kein gesetzliches Verfahren für einen kollektiven Rechtsschutz. Also für Fälle mit vielen Geschädigten, bei denen das Prozessrisiko für den Einzelnen zu hoch ist. «Deswegen werden getäuschte Kunden in den USA entschädigt, in der Schweiz aber nicht.»

Das Klageprojekt, zu dem auch eine im September 2017 eingereichte Verbandsklage der SKS gehört, soll diesen Mangel ausgleichen. Denn es könne nicht sein, so Amann, «dass die Betroffenen in der Schweiz untätig zuschauen, wie ihre Ansprüche verjähren».

Unterschiede zur US-Sammelklage

Die SKS-Klage unterscheide sich klar von einer US-Sammelklage: Man könne keine übertriebenen Zahlungen verlangen, und jeder Geschädigte müsse einzeln seine Forderung abtreten, sei also nicht automatisch Teilnehmer einer Klage. Und es gibt ein erhebliches Kostenrisiko, falls die Klage scheitert.

Der organisatorische und rechtliche Aufwand war laut dem Anwalt enorm gewesen; das Gericht bekam eine Klageschrift von fast 600 Seiten und 100'000 Seiten Beweisdokumente. Wegen des Aufwands handele es sich beim Klageprojekt «in keiner Weise um einen vollwertigen Ersatz» für eine gesetzliche Regelung solcher Verfahren. Hier sei der Gesetzgeber weiter gefordert.

«Wir wollen eine Sammelklage in der Schweiz.»


Sara Stalder, SKS-Geschäftsleiterin

Auch Sara Stalder verlangt, ein Gruppenklageverfahren gesetzlich zu verankern. Die Erfahrungen, die man mit der aktuellen Klage gewinne, dienten der SKS auch dazu, eine für die Schweiz praxistaugliche Lösung zu entwickeln: «Wir wollen eine Sammelklage in der Schweiz.»

Laut Arnet von der Coop Rechtsschutz spricht für das jetzige Klageprojekt, dass mit der Bündelung von tausenden Ansprüchen in einer einzigen Klage das Recht einheitlich angewendet wird, was bei Einzelklagen nicht gewährleistet gewesen wäre. Dies habe Parallelen zu einer Sammelklage, «für welche das Schweizerische Recht leider keine gesetzliche Grundlage vorsieht».

Ausserdem, so Arnet weiter, überzeuge die Tatsache, dass die Klage in der Schweiz und nicht in Deutschland eingereicht werde. Ein wichtiger Bestandteil des Klageprojekts sei die Verbandsklage der SKS, mit der ein Verstoss gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb festgestellt werden soll. Ein solches Urteil könnten Rechtsschutzversicherungen eventuell auch für andere Fälle nutzen.

Zusätzlich zur SKS-Klage haben sich rund 2000 weitere Schweizer Geschädigte auf Initiative der Westschweizer Konsumentenorganisation FRC einer europäischen Klage in Deutschland angeschlossen.


Der Autor beteiligt sich als Geschädigter an der SKS-Klage.

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Matthias Pflume, Leiter Extras
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