Büro E 5» steht auf dem Zettel. Ich klopfe an eine knallgelbe Tür im Unispital Zürich. «Ja, bitte!», ruft Tanja Krones. Die Medizinethikerin soll mir helfen, meine Patientenverfügung zu erneuern.

Ich bin 50, verheiratet, Mutter einer zwölfjährigen Tochter. Ich bin gesund, möchte aber für den Notfall vorsorgen. Eine Patientenverfügung Patientenverfügung Missverständnis in höchster Not habe ich zwar, doch sie ist wohl nicht mehr auf dem neusten Stand.

Ich krame mein Portemonnaie aus der Handtasche, suche zwischen Kreditkarten und Ausweisen. Das Papier ist alt und zerknittert, ein vorgefertigtes Formular . Ich musste nur noch meine Personalien einfüllen, Kreuze hinzufügen und unterschreiben. 

Meine bisherige Patientenverfügung ist «Blödsinn»

Tanja Krones setzt die Lesebrille auf, überfliegt den Inhalt. «Das ist Blödsinn», sagt sie. «Im Ernstfall nützt Ihnen das nicht viel.» Ich bin verdutzt. Bis jetzt war ich ein bisschen stolz darauf, überhaupt eine Patientenverfügung zu haben.

Vor über 20 Jahren lag meine Mutter mit 49 nach einer Hirnblutung im Wachkoma. Erst nach drei Monaten konnte sie sterben, als die Ärzte nach Rücksprache mit uns Angehörigen die künstliche Ernährung Patientenverfügung Alle Maschinen stopp? eingestellt hatten. Allen war klar, dass meine Mutter mit einer so schweren Hirnschädigung nicht hätte weiterleben wollen.

Ihren Willen hatte sie in einer Patientenverfügung festgehalten. Doch es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Ärzte bereit waren, in ihrem Sinn zu handeln. Ich schildere Tanja Krones meine Horrorvorstellung, dass meine Mutter heute schwer pflegebedürftig in einem Heim liegen würde, für alle eine immense emotionale Belastung. Das hatte mich damals veranlasst, selber eine Patientenverfügung auszufüllen.

Drei Situationen, für die man Vorkehrungen treffen sollte

Erstens: Der unmittelbare Notfall, etwa wenn ich auf der Strasse zusammenbreche.
 

Zweitens: Eine länger dauernde Urteilsunfähigkeit wegen schwerer Krankheit oder nach einem Unfall.
 

Drittens: Eine bleibende Urteilsunfähigkeit wegen chronischer Krankheit.

Tipps von Medizinethikerin Tanja Krones 

Krones zählt drei Situationen auf, für die ich Vorkehrungen treffen muss. Dann stellt sie mir ein paar Fragen. «Wie gern leben Sie?» Ich denke an meine Tochter und meinen Mann und antworte, ohne zu zögern, dass ich sehr gern lebe. 

Die nächste Frage bringt mich aus dem Konzept. «Was wäre, wenn Sie nachts einschlafen und am Morgen nicht mehr aufwachen?» Ich spüre, wie es um meinen Mund herum zu zucken beginnt. Plötzlich kämpfe ich mit den Tränen. Die Vorstellung, meine Tochter nicht aufwachsen zu sehen und nicht für sie da zu sein, macht mich traurig. Gleichzeitig drängt sich ein anderer Gedanke in den Vordergrund: Im Schlaf zu sterben wäre vermutlich ein schöner Tod. Schnell und schmerzlos, ohne lange Leidenszeit.

«Dürfte die Medizin bei einem plötzlichen Zusammenbruch überhaupt tätig werden? Würden Sie eine Wiederbelebung befürworten?», will Krones weiter wissen. Ich habe mich gefangen. «Ja», antworte ich, «aber nur bei einer guten Prognose.» Frage um Frage führt mich die Ärztin an die wesentlichen Überlegungen heran.

Medizinethikerin Tanja Krones
Quelle: Nicolas Zonvi

«Was wäre, wenn Sie am Abend einschlafen und nicht mehr aufwachen?»

Medizinethikerin Tanja Krones.

Zum Schluss zeigt mir Tanja Krones eine Art Visitenkarte, die ärztliche Notfallanordnung. Sie gehört ins Portemonnaie, damit Sanitäter sie schnell finden. Die Karte fasst kurz zusammen, was im Notfall gelten soll: Herz-Lungen-Wiederbelebung ja oder nein; für oder gegen eine uneingeschränkte Notfall- und Intensivbehandlung. Wir vereinbaren einen zweiten Termin, zu dem ich eine Person des Vertrauens mitbringen soll.

Drei Wochen später sitze ich mit meinem Mann im Büro mit der gelben Tür. Ich habe mir nochmals durch den Kopf gehen lassen, was Tanja Krones gesagt hat. Ich vertraue nun darauf, dass es nach einem plötzlichen Ereignis mit Urteilsunfähigkeit immer wieder eine Gelegenheit gäbe, die Notbremse zu ziehen; eine Therapie nicht fortzuführen, sondern zu sterben. Der Gedanke beruhigt mich. Krones füllt die neue Patientenverfügung mit mir und meinem Mann aus – auch er muss den Inhalt verstanden haben. Ich verlasse mich darauf, dass er im Notfall in meinem Sinn handelt.

Die Gespenster aus der Vergangenheit lebendig gemacht

Die Treffen mit der Ethikerin haben bei mir einiges ausgelöst. Vor dem Einschlafen sind die Bilder von meiner Mutter wieder aufgetaucht. Wie sie dalag, ein hilfloses Häufchen Mensch in einem riesigen Spitalbett. Viele Jahre danach habe ich von fachkundiger Seite bestätigt bekommen, dass eine einigermassen sichere Prognose nach einer schweren Hirnblutung manchmal erst nach Monaten möglich ist. Die Gespenster aus der Vergangenheit sind nochmals lebendig geworden. Aber die Chancen stehen gut, dass sie von jetzt an ruhen.

 

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