Wer Ruhe sucht, muss dann halt mal aufs Land. Sagt SVP-Nationalrat Gregor Rutz. Er macht so Stimmung gegen Tempo 30 auf Hauptstrassen. Es ist nicht der Inhalt seines Vorstosses, der irritiert. Es ist die lapidare Gehässigkeit seines Satzes. Aber so verlaufen Verkehrsdiskussionen nun mal. Man poltert, polarisiert und punktet damit. Hauptsache, man heult wie ein Ferrari, walzt wie ein Brummi jedes Gegenargument nieder und stellt am Schluss die Gretchenfrage: Auto – ja oder nein?

Dass das noch immer funktioniert, ist schon eigenartig. Denn ehrlich: Wer von uns ist nur Velofahrer, wer bloss mit Bahn und Bus unterwegs, wer geht stets zu Fuss, wer fährt ausschliesslich Auto? 

Klar, Autos gehören zur Stadt. Aber die Stadt gehört nicht den Autos. Städte sind mehr als Strassenschluchten, sie sind Lebensraum. Wir wohnen hier, lernen hier, arbeiten hier, vergnügen uns hier, schlafen hier. Man ahnt: Bei der Frage um Tempo 30 geht es nicht um Geschwindigkeit, es geht um das Miteinander. Um Rücksichtnahme. Um Respekt.

Lärm und miese Luft

Autos haben ungezählte Vorteile, sonst gäbe es nicht so viele. Doch sie hinterlassen Lärm und miese Luft. Das weiss auch Gregor Rutz. Deshalb teilt er so leidenschaftlich aus. Für Tempo 30 spreche nur etwas: Sicherheit. Einwände dagegen gebe es viele. Der Verkehrsfluss werde «verunmöglicht», der Verkehr ergiesse sich in die ruhigen Wohnquartiere. Rutz stört sich vor allem an jenen Kräften, die «aus rein politischen Gründen» Tempo 30 generell einführen wollten und dabei – «mangels anderer gesetzlicher Grundlagen» – die Lärmschutzverordnung als Kampfinstrument verwendeten.

Diese Verordnung hat es tatsächlich in sich. Besonders ihr Artikel 17. Er besagt: Bis zum 31. März müssen Kantone und Gemeinden die Bevölkerung vor Strassenlärm schützen – oder wenigstens Sanierungsprojekte in der Schublade haben. Wenn nicht, können betroffene Hausbesitzer klagen.

Millionenkosten

Man ahnt, das geht ganz schön ins Geld. Aber die Kosten, die der Strassenlärm verursacht, sind auch nicht ohne. Wertverluste an Immobilien: 800 Millionen Franken pro Jahr; Gesundheitskosten: 600 Millionen pro Jahr. So hat es das Bundesamt für Umwelt ausgerechnet. Jeder Fünfte ist an seinem Wohnort tagsüber von Strassenlärm betroffen – 1,6 Millionen Menschen; jeder Sechste nachts – 1,4 Millionen. Allein in Zürich leben über 130'000 Leute an Orten mit zu hohem Strassenlärm. Bei 11'000 Menschen übersteigt der Lärm den Alarmwert.

Portrait Martin Vetterli
Quelle: Beobachter

«Klar, Autos gehören zur Stadt. Aber die Stadt gehört nicht den Autos.»

Martin Vetterli ist stellvertretender Chefredaktor beim Beobachter.

Nun ist die öffentliche Hand ja angehalten, mit ihren Mitteln haushälterisch umzugehen. Aber: Flüsterbeläge kosten ein Mehrfaches normaler Strassenbeläge und müssen nach kurzer Zeit ersetzt werden. Lärmschutzfenster gibt es auch nicht gratis. Und Lärmschutzwände sind teuer, brauchen Platz und passen nie ins Ortsbild.

Und Tempo 30? Kostet ein paar Verkehrstafeln und ein paar bauliche Anpassungen. Alles spricht dafür. Wenn da nicht der Umstand wäre, dass es die Autofahrer zu Langsamkeit zwingt. Nun aber besagen alle verfügbaren Untersuchungen: Die Reisezeiten werden höchstens unwesentlich länger, oft sogar kürzer. Es gibt im Schnitt drei Dezibel weniger Lärm – das hört sich an wie halb so viele Autos. Und es ergiesst sich kein Mehrverkehr in die Quartiere.

Die Lärmschutzverordnung verlangt, dass man den Lärm an der Quelle bekämpfen muss. Den Gemeinden bleiben deshalb nur zwei Wege offen: die Geschwindigkeit herabsetzen oder die Verkehrsmenge reduzieren. Ob Rutz mit seinem Kampf gegen Tempo 30 am Ende weniger Auto will? 

Woche für Woche direkt in Ihre Mailbox
«Woche für Woche direkt in Ihre Mailbox»
Martin Vetterli, stv. Chefredaktor
Der Beobachter Newsletter