Die deutsche Regierung zog die Reissleine. Die Chinesen hatten es wieder versucht. Ihr Staatskonzern SGCC wollte beim Energiekonzern 50Hertz einsteigen. Der versorgt Ostdeutschland, Berlin und Hamburg mit Strom. Die Regierung verhinderte das heikle Geschäft Ende Juli, indem sie selber Aktien des Unternehmens kaufte und so die Chinesen ausbootete.

Vor wenigen Wochen dann ein weiteres Nein zum Verkauf von Leifeld Metal Spinning, einem Hersteller von Luft- und Raumfahrtmaterialien. Grund für die Intervention: Die chinesische Interessentin ist im Nukleargeschäft tätig. Den Deal kippte Deutschland mit einem 2017 eingeführten Vetorecht für den Verkauf «kritischer Infrastrukturen» an Ausländer.
 

Der chinesische Staat wird durch den Kauf von Energiefirmen Miteigentümer zentraler Infrastrukturen im Westen.


Die Chinesen sind auf Einkaufstour in Europa. Westliche Technologien und westliches Know-how sollen den Wohlstand im eigenen Land mehren. Das Wirtschaftswachstum ist seit 2010 zwar von 10,6 auf 6,9 Prozent im vergangenen Jahr gefallen, ist aber immer noch sechsmal so hoch wie in der Schweiz. Das bringt einem Teil der 1,4 Milliarden Chinesen mehr Wohlstand, gegen 50 Millionen leben aber noch immer in bitterer Armut und müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen.

Auch der weltweit teuerste Kauf eines Unternehmens könnte sich da als lohnende Investition erweisen. 43 Milliarden Dollar zahlte der Staatskonzern ChemChina 2016 für die Basler Syngenta. Mit ihrem Saatgut Ernährung Die totale Gentechnisierung sollen in Zukunft reichere Ernten eingefahren werden. China denkt langfristig.

Der Kauf von Energiefirmen wirft andere Fragen auf. Stromleitungen und Kraftwerke können – anders als Saatgut – nicht nach China transferiert werden. Sie sind keine gewöhnliche Handelsware. Der chinesische Staat wird durch den Kauf Miteigentümer zentraler Infrastrukturen im Westen.

Chinesische Milliarden für europäische Firmen

Investitionen von chinesischen Firmen in Europa

Die Investitionsspitze im Jahr 2016 ist auf die Übernahme der Basler Syngenta durch ChemChina für 43 Milliarden Dollar zurückzuführen.

Quelle: EY – Infografik: Anne Seeger
Schweizer Stauseen für China?

Die Einkaufswut der Chinesen beunruhigt auch Schweizer Politiker. Denn anders als die Amerikaner und einige europäische Staaten kennt die Schweiz kein Vetorecht, mit dem sich solche Übernahmen verhindern liessen. Energieinfrastrukturen gehören zwar mehrheitlich der öffentlichen Hand, aber Alpiq, BKW und die Stromnetze könnten bis zu einem Anteil von 49 Prozent an kommerzielle Anleger verkauft werden.

«Alpiq hat wegen der Abwertung der AKWs ein Bilanzproblem und könnte Stauseen und Kraftwerke den Chinesen oder anderen ausländischen Anlegern verkaufen», warnt die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran.
 

«Die Bevölkerung ist von einer zuverlässig funktionierenden Strom- und Wasserversorgung abhängig. Deshalb sollte diese Infrastruktur auch ihr gehören.»

Jacqueline Badran, SP-Nationalrätin


Tatsächlich hatte Alpiq vor zwei Jahren einen Verkauf an die Chinesen als «nicht ausgeschlossen» bezeichnet, rückte später aber wieder davon ab. Mit einer parlamentarischen Initiative verlangte Badran 2016 die Unterstellung kritischer Energieunternehmen unter die «Lex Koller». Das Gesetz beschränkt bereits heute den Verkauf von Immobilien an Ausländer.

«Die Bevölkerung ist von einer zuverlässig funktionierenden Strom- und Wasserversorgung abhängig, deshalb sollte diese Infrastruktur auch ihr gehören, wie bei Boden und Immobilien», so Badran. Es sei zwingend, auch die Strom- und Wasserversorgung durch das Gesetz zu erfassen.

Die Initiative wurde von den Energiekommissionen angenommen. Ende August hat das Bundesamt für Justiz den Auftrag erhalten, eine Regelung auszuarbeiten. Ob sie eine Mehrheit finden wird, entscheidet sich aber erst in zwei, drei Jahren. Wirtschaftsliberale und die Energiebranche dürften sich gegen den Ausbau der «Lex Koller» stemmen.

«Die Chinesen würden es verstehen»

Kurt Haerri kennt das China-Geschäft wie kaum ein anderer Schweizer. Er ist im Vorstand der Wirtschaftskammer Schweiz-China und leitet das Neuanlagen-Geschäft von Schindler in China. Der Luzerner Konzern, der Aufzüge und Rolltreppen baut, hat sich bereits 1980 als erstes westliches Industrieunternehmen auf ein Joint Venture mit den Chinesen eingelassen.

«Vor 38 Jahren war noch alles kommunistisch und verstaatlicht. Die Öffnung vollzog sich dann in kleinen Schritten», erzählt Haerri. «Die Maschinen- und Elektroindustrie, aber auch die Foodbranche sind heute stark liberalisiert. Energie- und Telekomfirmen gehören dagegen nach wie vor direkt dem Staat.» Eine Beteiligung oder Übernahme durch westliche Firmen sei hier undenkbar. «Warum also soll das umgekehrt uneingeschränkt möglich sein? Auch die Chinesen würden es verstehen, wenn die Schweiz solche Bereiche stärker schützt.»
 

«Die Investoren aus China sind am Know-how interessiert, nicht am Umbau in eine chinesische Firma.»

Min Wang, Unternehmerin


Die chinesischen Firmenkäufe im Westen ritzen aber viel grundsätzlicher an Grundprinzipien unserer liberalen Wirtschaft. «Ein staatlicher Mitbewerber muss nicht für Gewinne oder für einen steigenden Aktienkurs sorgen, sondern ist an einem kaum versiegenden Geldhahn. Für private Konkurrenten ist das eine stossende Wettbewerbsverzerrung», sagt Haerri.

Dank einem 2014 geschlossenen Freihandelsabkommen mit China hat die Schweiz heute einen einfacheren Zugang zum gigantischen chinesischen Markt. «Das ist ein Vorteil», findet Haerri. «Den darf man trotz den Problemen nicht mit einer übertriebenen Abschottungspolitik aufs Spiel setzen.» Mit einer Politik, wie sie derzeit etwa die USA mit Schutzzöllen auf chinesische Produkte verfolgen. Der Ausstieg der Amerikaner aus Uno-Vereinbarungen wie dem Klimaabkommen ebnet China zudem den Weg zu noch mehr globaler Bedeutung.

Der Schweizer Handel mit China blüht

Infografik: Handelsvolumen zwischen Schweiz und China

So hat sich das Handelsvolumen zwischen der Schweiz und China seit dem Jahr 2000 entwickelt. (in Millionen Franken)

Quelle: BFS – Infografik: Anne Seeger
Undurchsichtige Übernahmen

«Der Handelskrieg zwischen den USA und China wird nur Verlierer bringen», so die Zürcherin Martina Fuchs. Die frühere Wirtschaftsjournalistin des staatlichen chinesischen Fernsehens kritisiert vor allem Mentalität «Die Chinesen sind uns sehr ähnlich» die mangelnde Transparenz bei Übernahmen: «Die HNA-Gruppe, die die Schweizer Flugdienstleister Swissport und Gategroup gekauft hat, ist zum Beispiel hoch verschuldet. Und ihre Besitzstrukturen waren undurchsichtig. So gehts natürlich nicht».

Das aufstrebende China verunsichert den Westen mit seinem Übernahmehunger. 2049, zum 100-Jahr-Jubiläum der Volksrepublik, will China technologisch und wissenschaftlich Weltspitze sein – vor den USA. Das verkündete Staats- und Parteichef Xi Jinping am 19. Parteikongress letzten Oktober. Neben traditionellen Fünfjahresplänen schmiedet die kommunistische Führung auch Szenarien über 30 Jahre hinweg. Irritierend für den westlichen Beobachter, der die Planwirtschaft nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als erledigt sah.

China arbeitet fleissig an seinen hochgesteckten Zielen. Mit ersten Erfolgen. Der Handyhersteller Huawei etwa wird in westlichen Medien für das beste Smartphone 2017 gelobt – vor Apple und Samsung.

China hat gelernt. Das erinnert an die japanische Autoindustrie, die in den achtziger Jahren dank staatlicher Technologieförderung vom Billigproduzenten zum Taktgeber auf dem Weltmarkt aufstieg.

Aussenhandel: China ist die Nr. 3 für die Schweiz

Aussenhandel der Schweiz im Jahr 2017

Aussenhandel der Schweiz in Milliarden Franken (2017).

Quelle: BFS – Infografik: Anne Seeger
Druck als beste Voraussetzung für Innovation

China steckt enorme Ressourcen in die Aus- und Weiterbildung. «Die bringen jedes Jahr acht Millionen Uniabsolventen auf den Markt», sagt Kurt Haerri. Können diese auch innovativ werden im durchhierarchisierten Wirtschafts- und auf Kontrolle angelegten Politsystem?

«Der Mangel an freiem Denken und damit einhergehende Schwächen werden wirtschaftlich noch durch einen gigantischen Markt kompensiert. Die Chinesen können sich viele Fehler erlauben. Sie sind aber zur Innovation verdammt. Sie werden mit westlichen Flugzeugen, Autos und Wohnungen keinen westlichen Lebensstandard erreichen – die Erde würde vorher kollabieren», sagt Haerri. Dieser Druck sei die beste Voraussetzung für Innovation.

Noch basiert Chinas Wachstum auf billiger Massenfertigung westlicher Technologien – und abgekupferter Produkte. In der Maschinenindustrie zum Beispiel gibt es Hunderte Kopisten von erfolgreichen Produkten. Was tun? «Entweder stellen Sie Juristen ein, die oft erfolglos klagen. Oder Sie investieren in Ingenieure, die dafür sorgen, dass Sie weiterhin kopiert werden – weil Sie die besseren Produkte haben.»

Im Visier von China: Industrie und Hightech

Industrie und Hightech im Visier
Quelle: EY – Infografik: Anne Seeger
«Nicht dominieren»

Eine geopolitische Bedrohung sieht Haerri im aufstrebenden China nicht. «Die Chinesen wollen nicht andere Länder dominieren. Sie haben riesige Herausforderungen im eigenen Land zu bewältigen, etwa weitere Teile der Bevölkerung auf ein Mittelstandsniveau zu bringen.»

Anders das Fazit des Berliner Mercator-Instituts für China-Studien. «Die europäischen Staaten tendieren zunehmend dazu, sich mit einer Politik des ‹präventiven Gehorsams› an die chinesische Seite anzupassen», heisst es in einem Report vom Februar. Die Chinesen förderten Netzwerke zwischen europäischen Politikern, Medien, Firmen, Think-Tanks und Universitäten, um diese für chinesische Interessen zu manipulieren. So wolle der «zutiefst illiberale Überwachungsstaat» seine Reputation im eigenen Land stärken und sein Entwicklungsmodell ins Ausland exportieren – als Alternative zu liberalen Demokratien.

Wenn es darum geht, Verbündete zu finden, ist die chinesische Regierung nicht zimperlich. Sie spielt europäische Staaten auch gegeneinander aus. Statt mit der EU über Handelsbeziehungen zu verhandeln, zog es China Ende 2017 vor, Regierungschefs von ost- und mitteleuropäischen Ländern in Budapest zu treffen, beim autokratischen Europakritiker Viktor Orbán. Drei Milliarden Dollar versprach China für Infrastrukturprojekte auf dem Balkan und in Osteuropa. Bereits 2016 kauften die Chinesen den verschuldeten Griechen die Mehrheit am strategisch wichtigen Hafen von Piräus ab Online-Handel «Da kommt etwas Gewaltiges auf uns zu» .

Der Schuldenimperialismus

Es sind Mosaiksteine in einem 2013 von Xi Jinping verkündeten Masterplan: die Erschliessung von China, Asien, Europa und Afrika über ein neues Handels- und Infrastrukturnetz. Die «Neue Seidenstrasse» – auch «Belt and Road» genannt – soll zwei Drittel der Weltbevölkerung und einen Drittel der Weltwirtschaft zusammenbringen – und der chinesischen Wirtschaft den Weg nach Europa ebnen.

In Afrika, Asien und Osteuropa wird der Masterplan nach dem gleichen Prinzip umgesetzt: dem Schuldenimperialismus. Die Chinesen bieten den Ländern entlang der neuen Handelsrouten günstige Kredite an, im Gegenzug müssen die Bauarbeiten an chinesische Firmen vergeben werden. China sichert sich zudem Fischerei- und Schürfrechte, vor allem in Afrika. Die oft bereits verschuldeten Länder geraten in eine ewige Abhängigkeit. Die Bodenschätze benötigt China, um eigenen Bedarf zu decken.

Uni unter der Laterne

Wie rasant sich die Lebenswelt für Chinesen verändert, erlebt die Unternehmerin Min Wang: «Als ich vor 30 Jahren in China studierte, lebten wir zu viert in einem Zimmer. Arbeiten schrieb ich unter einer Strassenlaterne, weil wir im Haus keinen Strom für Licht hatten.» Wenn sie heute den gleichen Ort besucht, steht sie vor einem hell erleuchteten Hochhaus. «Und darunter ist eine riesige Shoppingmall.»
 

«Für viele ist China eine Blackbox. Wir sollten sie jetzt öffnen.»

Min Wang, Unternehmerin


Seit 20 Jahren lebt Wang in der Schweiz, absolvierte nach dem Studium ein Praktikum auf einer Bank, heiratete. Vor zwei Jahren machte sie sich selbständig. «Ich möchte die faszinierende Entwicklung Chinas Schweizern zugänglich machen.» Ihr Unternehmen Route2China vermittelt Praktikumsplätze in China. «Das Land wird zweifellos enorm an Bedeutung gewinnen. Vielleicht stehen wir vor einem eigentlichen Paradigmenwechsel von West nach Ost. Doch für viele ist China eine Blackbox. Wir sollten sie jetzt öffnen.»

Wang glaubt nicht, dass die Chinesen mit dem Kauf von Schweizer Firmen auch die Unternehmenskultur umkrempeln. «Die Investoren sind am Know-how interessiert, nicht am Umbau in eine chinesische Firma.»

Das würde auch kaum funktionieren. In chinesischen Firmen sind Hierarchien zentral Vorgesetzte «Viele Chefs scheitern an ihrem Ego» . «Das Wort des Chefs zählt. Seine Ansicht wird nicht in Frage gestellt. Mitarbeiter werden viel weniger in Entscheidungsprozesse eingebunden, die Kommunikation ist oft intransparent. Das würde mit Schweizer Angestellten kaum funktionieren», ist Wang überzeugt. Chinesische Verwaltungsräte würden sich darum meist aufs Vorgeben von ambitionierten Zielen beschränken, aber nicht in das operative Geschäft eingreifen.

Optimistische Chinesen, bequeme Schweizer

Wang sieht einen interessanten Unterschied in der Grundbefindlichkeit von Chinesen und Schweizern. «Chinesen sind optimistischer Positive Psychologie Nur Mut zum Glück , sind überzeugt, mit harter Arbeit ein besseres Leben führen zu können. Schweizer sind dagegen eher bequemer, da sie schon gute Lebensqualität geniessen.»

Kurt Haerri von Schindler ergänzt: «Unser Mittelstand leidet chronisch unter Verlustängsten. In China glaubt man an eine blühende Zukunft. Und das strahlt mittlerweile auf ganz Asien aus. Auch das wird für den Westen zur Herausforderung.»

VR-Mandate von Chinesen in Schweizer Firmen

VR-Mandate von Chinesen in Schweizer Firmen

Immer mehr Chinesen übernehmen Verwaltungsratsmandate in Schweizer Firmen. Zum Vergleich: Im Handelsregister sind aktuell 428'445 Mandate eingetragen.

Quelle: CRIF/Teledata – Infografik: Anne Seeger
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