Der Kadaver eines Huhns steckt tief im Dreck, ein zweites Tier scheint sich kaum auf den Beinen halten zu können. Dann erscheinen im Lichtkegel der wackligen Kamera Hunderte von schwer gemästeten Hühnern. Sie stehen so dicht, dass der Blick nirgends bis zum Boden dringt.

Gedreht hat die Bilder die Westschweizer Tierschutzorganisation Pour l’Égalité Animale (PEA) auf einem Waadtländer Bauernhof. Er produziert Hühnerfleisch Tierhaltung Wie billig darf das Poulet sein? für die Migros, die Poulets, Schenkel und Flügeli werden unter der Marke Optigal verkauft. «Es ist wichtig, dass es den Tieren gut geht und die Poulets auf ihrem Bauernhof ein schönes Leben haben. Das ist unser Ziel bei Optigal», behauptet der grösste Detailhändler in der Werbung.

«Das Werbeversprechen ist krass täuschend und irreführend. Die Hühner in diesem Betrieb führen ein trauriges Leben. Die Migros macht sich über uns lustig», sagt PEA-Tierschützer Fabien Truffer. Für die Mitglieder seiner Organisation kommen Tieren und Menschen die gleichen Rechte zu. Weil sich manche der PEA-Aktivisten nicht eindeutig zum gewaltfreien Kampf bekennen, ist die Organisation umstritten. «Wir rufen nicht zu Gewalt auf, sondern kritisieren sie. Besonders jene, die den Tieren angetan wird», sagt Truffer dazu.

Leiden die Tiere auf einem Optigal-Hof? Der Beobachter machte sich zusammen mit der Westschweizer Tieraktivistin Kate Amiguet ein Bild vor Ort. Die Migros liess den Besuch ohne Zögern zu: «Wir haben nichts zu verbergen. In unseren Optigal-Betrieben produzieren wir nach den Richtlinien der besonders tierfreundlichen Stallhaltung BTS», heisst es bei Micarna, dem Fleischverarbeiter der Migros.

12'700 Hühner unter einem Dach

Der Besuch auf dem Betrieb im Waadtländer Hinterland macht klar: Wiese oder Himmel, wie es das Logo der Marke suggeriert, sehen die Mastpoulets nie. Die Halle misst 900 Quadratmeter, ab dem 21. Tag steht den Tieren ein sogenannter Aussenklimabereich mit mindestens 20 Prozent der Stallfläche zur Verfügung. Er ist überdacht, Maschendraht trennt ihn vom Freien.

In der Halle werden 12'700 Hühner gemästet. Nach 28 Tagen erreichen sie ein Gewicht von 1,2 Kilo, werden in Kisten gepackt und zum Schlachthof transportiert. Der Boden wird geräumt, eine spezielle Micarna-Equipe desinfiziert ihn. Dann werden neue Küken geliefert – der Mastzyklus beginnt von vorn.

Die Optigal-Masthühner waren beim Besuch 12 Tage alt. Weite Flächen der Halle waren frei, die Tiere zeigten kein unnatürliches Verhalten, schienen nicht zu leiden. «Wir müssen aber bedenken, dass sie in den kommenden Tagen stark an Gewicht zunehmen und entsprechend mehr Platz beanspruchen werden», sagt Aktivistin Kate Amiguet. Auf diesem Hof würden die Tiere zwar nicht schlecht gehalten oder gar gequält. «Aber sie werden zu einem Produkt reduziert, den Bedürfnissen ihrer Rasse wird kaum Beachtung geschenkt. Kaum jemand würde behaupten, dass sie ein ideales Hühnerleben führen.»

Massentierhaltung

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Quelle: Andrea Klaiber
Suggestive Werbung

Immer wieder gerät die Werbung der Fleischproduzenten in die Kritik. Als irreführend und unlauter qualifizierte die Tierrechtsorganisation Tier im Fokus eine Kampagne von Proviande. Die Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft hatte unter dem Titel «Logenplätze für unser Geflügel» die Produktion nach BTS-Richtlinien beworben. Die Bilder zeigten drei Masthühner in einem urchigen Stall aus Holz. Eines sitzt auf einem leicht erhöhten Balken. «Damit wird eine Kleingruppenhaltung in einem Hinterhof als BTS-Standard suggeriert. In Wahrheit handelt es sich um industrielle Tiernutzung, bei der pro Quadratmeter bis zu 15 Hühner erlaubt sind», sagt Tobias Sennhauser von Tier im Fokus.

Die Tierschützer beschwerten sich bei der Lauterkeitskommission. Sie beurteilt, ob eine Werbung die Konsumenten täuscht. Die Beschwerde wurde abgewiesen. «Der Durchschnittsadressat vermag grundsätzlich zu erkennen, dass die Abbildungen nicht eins zu eins den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen», begründete die Kommission. Als unlauter wurde aber die Aussage taxiert, dass Hühner in BTS-Ställen «tagsüber stets Zugang zu einem Wintergarten hätten». Das sei in den Richtlinien erst ab dem 22. Tag vorgeschrieben.

Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) kritisiert Logo und Werbung von Optigal: «Sonnenstrahlen und grüne Landschaft lassen auf ein idyllisches Hühnerleben schliessen. In Wahrheit aber sehen die Mastpoulets während ihres ganzen Lebens weder Sonne noch Wiesen», sagt Josianne Walpen von der SKS. «Mit dem Logo zeigen wir, dass unsere Masthühner in Familienbetrieben in natürlicher Umgebung aufwachsen. Die BTS-Richtlinien werden strikt eingehalten», kommentiert die Migros.

«Weit verbreitet»

Ob sich der durchschnittliche Konsument unter «besonders tierfreundlicher Stallhaltung» tatsächlich die Realität in den BTS-Ställen vorstellt, ist mehr als fraglich.

«Das BTS-Programm gibt es seit 1993. Es ist heute in der Pouletmast weit verbreitet. Die Bezeichnung widerspiegelt, was man damals als besonders tierfreundlich empfand», sagt Victor Kessler vom Bundesamt für Landwirtschaft. Im Vergleich mit dem Ausland sei die Bezeichnung auch heute noch zutreffend. «Nur schon wenn Sie einen Betrieb im umliegenden Ausland mit 100'000 Tieren in einer Halle besucht haben, werden Sie mir zustimmen.»

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Jasmine Helbling, Redaktorin
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