Der Sommer 2018 war einer der trockensten und heissesten der letzten Jahrzehnte. Solche Perioden werden wegen des immer wärmeren Klimas häufiger. Kürzlich mahnte der Weltklimarat: Wenn nicht bis 2030 die Hälfte der heutigen Treibhausgasemissionen vermieden wird, drohen grosse Schäden. Hitzewellen, Dürren, höhere Meerespegel und als Folge Flüchtlingsströme und Krieg.

Bei übermässiger Hitze nimmt die Todesrate von älteren Frauen deutlich zu, belegen Studien. Genau darauf stützen sich die Klimaseniorinnen, ein Zusammenschluss von Schweizer Frauen im Pensionsalter. 2016 haben sie ein Gesuch eingereicht, das vom Bund zusätzliche Massnahmen zum Klimaschutz fordert – die ihr Leben und ihre Gesundheit schützen sollen. Das habe der Bund bisher unterlassen. Damit verstosse er gegen die Verfassung, das durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantierte Grundrecht auf Leben und Gesundheit sowie das Vorsorgeprinzip.

Keine menschenrechtskonforme Klimapolitik 

«Es geht um das Recht auf Leben an sich, hier hat der Staat eine Schutzpflicht», sagt Cordelia Bähr, eine der Rechtsanwältinnen der Klimaseniorinnen. Der deutsche Umweltjurist Felix Ekardt stützt die Klage. «Es gibt einen grundrechtlichen Anspruch, dass die Treibhausgasemissionen innert weniger Jahre auf null sinken müssen.» Die Prognosen zeigten, dass alles andere zu einer für Menschen gefährlichen Erwärmung Klimawandel Adieu, Schafskälte? führe. Er kenne keinen Staat, der so gesehen eine menschenrechtskonforme Klimapolitik betreibe, sagt Ekardt.

Eine grundrechtsbasierte Klage gegen den Bund wegen ungenügender Umweltgesetzgebung gab es in der Schweiz noch nie. Die Klage sei «sehr interessant und gut begründet», sagt Anne-Christine Favre, Professorin für öffentliches Recht an der Uni Lausanne.

Das Umweltdepartement ist auf das ursprüngliche Rechtsbegehren der Seniorinnen nicht eingetreten. Es sei nicht legitimiert. Die Klägerinnen hätten zum Ziel, «die CO2-Emissionen nicht bloss in der Umgebung, sondern weltweit zu vermindern». Das ziele auf den Schutz der Allgemeinheit, nach der Menschenrechtskonvention könne aber nur «das konkrete staatliche Verhalten in Bezug auf eine individuelle Person» juristisch überprüft werden.

Die Klimaseniorinnen zogen die Klage im Frühling 2017 weiter ans Bundesverwaltungsgericht, bald wird das Urteil erwartet. Bei Bedarf wollen die Seniorinnen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg gehen. Die Idee zur Klage stammt ursprünglich von Greenpeace. Die Umweltorganisation unterstützt die Seniorinnen, die aber unabhängig sind.
 

«Ob Grundrechte verletzt werden, ist keine politische, sondern eine rechtliche Frage.»

Cordelia Bähr, Anwältin


Verschiedene Kritiker unterstellten, es gehe einzig um Aufmerksamkeit für ein Anliegen, das juristisch chancenlos sei. Juristin Anne-Christine Favre sieht das anders: «Es gibt Bundesgerichtsurteile, wonach das Handeln der Behörden im Umweltbereich, sofern es eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt und Grundrechte verletzt, vor Gericht gebracht werden kann.» Wenn die Klage gutgeheissen würde, müsste die Schweiz strengere klimapolitische Massnahmen ergreifen. Das hätte auch international eine Signalwirkung, glaubt Anwältin Cordelia Bähr.

Kritiker monieren, in der direktdemokratischen Schweiz könne man sich ja per Volksvorstoss für eine bessere Klimapolitik einsetzen, statt Gerichte anzurufen. «Ob Grundrechte verletzt werden, ist keine politische, sondern eine rechtliche Frage», entgegnet Bähr. Es gehe auch darum, juristische Klarheit zu schaffen. «Der Klimawandel darf für die Betroffenen kein rechtsfreier Raum sein.» 

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Dani Benz, Ressortleiter
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