Die Isobrand GmbH machte es nach dem Einstieg von Christian B. (Name der Redaktion bekannt) noch 21 Monate. Bei der Intersmart AG waren es 13 Monate, und bei der Anox & Co. AG ganze 7, bis sie von Amtes wegen aufgelöst wurden. Bisher sind zwischen ein paar Dutzend und über 150 Betriebe pleitegegangen, bei denen der 28-Jährige als Eigentümer und Geschäftsführer fungierte – je nach Quelle und Zählweise.

Christian B. springt ein, wenn jemand mit einem Unternehmen in Geldschwierigkeiten steckt und es samt finanziellen Verpflichtungen möglichst schnell loswerden will. «Wir übernehmen Ihre Firma inklusive Schulden!», heisst es auf der Website firma-liquidation.ch, die auf B.s Namen registriert ist. Liquidationen seien «nicht nur sehr mühsam, sondern meist auch sehr kostspielig und mit Konsequenzen verbunden. Wir helfen Ihnen dabei, indem wir die Firma übernehmen und/oder die Firma sauber durch das Liquidationsverfahren begleiten.»

Konkurse am laufenden Band

An der «sauberen» Begleitung darf mit Fug gezweifelt werden. Christian B. ist Teil eines schweizweit agierenden, losen Netzwerks von sogenannten Firmenbestattern, deren Methoden wohl nicht allzu sauber sind. Sie richten mit ihrer Art der Entsorgung von Firmen enorme Schäden an. Denn Firmenbestatter lösen Unternehmen nicht ordentlich auf, sondern sorgen dafür, dass dies von Amtes wegen und auf Staatskosten geschieht und Gläubiger ihre Guthaben abschreiben müssen.

Das Treiben der Firmenbestatter hat mittlerweile selbst die Politik auf den Plan gerufen. Der Zürcher Regierungsrat schätzt den volkswirtschaftlichen Schaden, der schweizweit durch solche Betriebsliquidationen verursacht wird, auf einen dreistelligen Millionenbetrag – pro Jahr. Im Kanton Zürich ist deshalb der Kampf gegen sogenannte Wegwerfgesellschaften ein aktueller Regierungsschwerpunkt.

Damit das System funktionieren kann, braucht es mindestens drei Akteure: Neben dem Firmenbestatter einen Vermittler und vor allem Kunden, zum Beispiel Flachmaler oder Besitzer von Imbissbuden, die vom Geschäftlichen keine Ahnung haben.

Eine Buchhaltung auf ein paar Zetteln

Das Muster ist immer dasselbe. Ein Kleinunternehmer gründet eine AG oder eine GmbH, gerät aber wegen mangelnder kaufmännischer Kenntnisse schnell finanziell in die Bredouille und kann nur noch das Allerdringendste bezahlen. Für die Rückzahlung von Schulden beim Steueramt oder bei den Sozialversicherungen bleibt meist nichts mehr. Dass er in dieser Situation von Gesetzes wegen eigentlich Konkurs anmelden müsste, weiss der überforderte Unternehmer oft nicht. «Die Buchhaltung besteht bestenfalls aus ein paar Zetteln, die ungeordnet herumliegen», sagt ein Ermittler der Kantonspolizei Zürich, der solche Fälle untersucht.

Ist das finanzielle Schlamassel einmal angerichtet, so treten Vermittler auf den Plan. Es sind Treuhänder oder Juristen, die sich in geschäftlichen Dingen auskennen. «Die Namen sind in der Szene bekannt», sagt der Polizist. «Die meisten Kontakte kommen über Mundpropaganda oder über einschlägige Websites zustande.» Die Vermittler versprechen, die Firma gegen eine Gebühr von ein paar Tausend Franken zu übernehmen – ein Angebot, das für den Unternehmer gleich in mehrfacher Hinsicht interessant ist. Er wird nicht bloss auf einen Schlag seine marode Firma los, sondern kann auch gleich noch den Grundstein für eine neue legen. In den meisten Fällen, so haben die Ermittler festgestellt, werden aus der Firma die noch vorhandenen Vermögenswerte beiseitegeschafft und auf eine Auffanggesellschaft übertragen. Firmenwagen, Lagerbestände oder Büromaterial gehören dann einfach plötzlich einem neuen Betrieb, und der Unternehmer kann weitermachen wie bisher. 

Das ist der Moment, in dem der Vermittler Leute wie Christian B. ins Spiel bringt. Christian B. ist eine real existierende Person, und die Vorgänge, die hier beschrieben werden, hat er schon Dutzende Male durchgespielt. Christian B., der ständig Wohnsitz und Handynummer wechselt und für eine Stellungnahme unauffindbar war, ist keine Einzelfigur, wie Recherchen des Beobachters zeigen. Schweizweit sind mindestens ein Dutzend Firmenbestatter aktiv, und insgesamt haben sie in den vergangenen Jahren Hunderte Firmen so beseitigt, dass Staat und Gläubiger das Nachsehen hatten.

«Vom Geschäftlichen haben diese Firmenbestatter keine Ahnung.»

Aussage eines Ermittlers der Kantonspolizei Zürich

«Vom Geschäftlichen haben diese Leute keine Ahnung», sagt der Zürcher Kapo-Ermittler. Oftmals handelt es sich um Randständige, die vom Vermittler ein paar Hundert Franken erhalten, damit sie ihren Namen zur Verfügung stellen.

Für die Formalitäten braucht es jetzt nur noch einen Notar. Dieser muss ein paar ganz entscheidende Dinge in die Wege leiten: Die marode Firma erhält nicht bloss einen neuen Namen, sondern auch gleich noch einen neuen Zweck und, besonders wichtig, ein neues Domizil in einem anderen Kanton. Mit diesem simplen Trick lassen sich Spuren verwischen, denn Gläubiger der Firma X aus Z müssen erst einmal herausfinden, dass diese jetzt Firma Y heisst, statt Flachdächern plötzlich angeblich Stahlzargen herstellt und an einem ganz anderen Ort beheimatet ist.

Im Fall von Christian B. liefen diese Formalitäten während rund zwei Jahren über die Anwaltskanzlei Seitz/RA mit Sitz in St. Gallen und Zürich. Kanzleichef Theodor Seitz beglaubigte jeweils die Unterschriften und gewährte den maroden Firmen bei einem Unternehmen Domizil, das bei seiner Kanzlei angesiedelt war.

Seitz weist jegliche Verbindung mit den Firmenbestattern entschieden zurück. «Meine Kanzlei hat kein und koordiniert auch kein ‹Netzwerk›, auch kein solches von ‹Firmenbestattern›», schreibt er in einer Stellungnahme. Die Kunden akquiriere er auch nicht aktiv: «Der Auftrag kommt zustande, indem uns die Kunden anrufen, einen Termin vereinbaren und mir einen Auftrag erteilen, eine Beurkundung durchzuführen.» Ausserdem stehe er «in keinem tatsächlichen, geschäftlichen oder rechtlichen Verhältnis» zum Betreiber der Website firma-liquidation.ch. Weitere Fragen beantwortet der Anwalt und Notar mit Hinweis auf seine «Verschwiegenheitspflicht» nicht. Dafür stellt er dem Beobachter für die Stellungnahme Rechnung: 556.20 Franken, inklusive Kleinspesenpauschale und Mehrwertsteuer.

«Er spielt den Ahnungslosen»

Zurück zum Bestattergeschäft: Sind die Formalitäten beim Notar einmal erledigt, so ist der Job des Firmenbestatters denkbar einfach. Gelegentlich muss er einen Brief entgegennehmen oder beim Konkurs- oder Betreibungsamt vorsprechen. Christian B. tut oft nicht einmal das: «Meistens erscheint er gar nicht, wenn wir ihn zu einem Gespräch aufbieten», erzählt der Leiter eines Konkursamts, der in den vergangenen Jahren öfter mit dem 28-Jährigen zu tun hatte. «Wenn er dann einmal hier ist, spielt er den Ahnungslosen und weiss nichts über die Firma, bei der er offiziell Geschäftsführer ist. Und eine Buchhaltung kann er sowieso nie vorweisen.»

In den meisten Fällen braucht es bloss noch einen letzten kleinen Schritt. Christian B., nominell Geschäftsführer der zu bestattenden Firma, tritt von dieser Funktion zurück. Das Unternehmen hat dann kein handelndes Organ mehr und muss von Amtes wegen und auf Staatskosten liquidiert werden. Eine andere Möglichkeit ist, dass der sogenannte Domizilgeber – also die Firma, die dem zu bestattenden Unternehmen eine Adresse zur Verfügung stellt – dieses Domizil kündigt. Eine Firma ohne offiziellen Firmensitz muss ebenfalls von Amtes wegen aufgelöst werden.

In beiden Fällen haben die Gläubiger das Nachsehen. Weil kein Konkurs eröffnet wird, können sie keine Ansprüche geltend machen. «In der letzten Zeit stellen wir fest, dass diese sogenannten Organisationsmangelliquidationen zunehmen», erklärt Corinne Bouvard von der Zürcher Staatsanwaltschaft. «Dadurch ist es aus rechtlichen Gründen praktisch unmöglich, die Firmenbestatter zivilrechtlich zur Verantwortung zu ziehen oder sie wegen Misswirtschaft zu belangen.» Und selbst wenn einmal ein Konkurs eröffnet wird, so wird dieses Verfahren in den allermeisten Fällen mangels Aktiven gleich wieder eingestellt. Schliesslich hat der frühere Firmenbesitzer dafür gesorgt, dass keine Werte mehr vorhanden sind.

Zürich will den Sumpf austrocknen

Die Behörden standen dem Treiben der Firmenbestatter lange Zeit weitgehend ahnungslos gegenüber. Auf das Netzwerk der Firmenbestatter stiess man erst vor rund zwei Jahren, zufällig während einer anderen Ermittlung. Mittlerweile hat man jedoch im Kanton Zürich ein Standardverfahren entwickelt, mit dem man den Firmenbestatter-Sumpf quasi von unten her auszutrocknen versucht. Unternehmer, die sich mithilfe eines Firmenbestatters ihres Geschäfts entledigen, werden strafrechtlich wegen Misswirtschaft angeklagt. Bereits habe man in rund 30 Fällen Strafbefehle ausgestellt und die Unternehmer rechtskräftig zu bedingten Geldstrafen verurteilt, sagt Bouvard. Gegen Firmenbestatter und Vermittler laufen Ermittlungen wegen Misswirtschaft, Unterlassung der Buchführung, Begünstigung und Betrug.

Christian B. scheint das nicht gross zu kümmern. Allein seit Jahresbeginn hat er eine Firma neu übernommen und ist aus zehn als Geschäftsführer ausgetreten, womit diese von Amtes wegen und auf Staatskosten liquidiert werden müssen. Auf die Ermittler wartet noch viel Arbeit.

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