Frage von Susanne M.: «Meine Hausärztin hat bei mir eine Altersdepression festgestellt. Ich fühle mich aber nicht depressiv, sondern einfach nur energie- und kraftlos.»

Es tut mir leid zu lesen, dass Sie leiden – und dann erst noch doppelt. Einerseits haben Sie ein gesundheitliches Leiden, Sie fühlen sich energie- und kraftlos. Anderseits sind Sie sich unsicher, ob die Diagnose Ihrer Hausärztin – «Altersdepression» – stimmt und somit wohl auch, ob die von ihr vorgeschlagene Behandlung auch zur Gesundung führen wird. Gerade diese Verunsicherung belastet sicher zusätzlich sehr.

Bevor ich etwas allgemeiner auf das Thema Altersdepression eingehe, möchte ich zuerst Ihre Hauptfrage beantworten: «Kann man an einer Altersdepression leiden, wenn man sich gar nicht depressiv fühlt?»

Ja, das ist möglich. Menschen mit einer Altersdepression erleben ihre Stimmung teilweise als leer, teilweise als wechselhaft mit Phasen guter Stimmung. Andere erleben sie vor allem als «körperliche» Erkrankung und sagen oft, dass ihre Stimmung ohne die körperlichen Beschwerden normal wäre. Mit einer Grippe sind wir ja auch nicht gut gelaunt. 

Die Betroffenen berichten, dass ihr Körper sich zunehmend mit einer Vielzahl von Beschwerden meldet. Die linke Nierengegend zwickt, der rechte Fuss vibriert, die Muskeln oder Gelenke schmerzen, der «Schnauf» fehlt schon nach einer halben Treppe, ein leichter Tinnitus pfeift in beiden Ohren, die Augen brennen, und auf etliche Nahrungsmittel reagieren sie plötzlich empfindlich. 

Viele Körperorgane oder -systeme scheinen Fehlermeldungen auszusenden, die Hausärztin findet aber «nichts». Das Nervensystem scheint nicht mehr im Lot zu sein. In fernöstlichen Kulturen gilt die Depression übrigens nicht als eine Krankheit der Stimmung und des Denkens wie bei uns, sondern als «Krankheit der 33 Körpersymptome». 

Der Auslöser ist oft ganz banal

Warum aber treten Depressionen gehäuft und in ihrer Art spezifisch im Alter auf? 

Das Alter ist für viele mit schwierigen und schmerzhaften Herausforderungen verbunden. Es gilt, fremdbestimmte Veränderungen zu akzeptieren, Verluste zu betrauern, man kann sich weniger auf sich und den eigenen Körper verlassen. 

Auch wenn Betroffene diese Herausforderungen meistern, stellen sie Risikosituationen für Altersdepressionen dar. Denn plötzlich – bei einer erneuten kleineren Anpassung – meldet sich die Depression, und die Betroffenen bleiben wie darin verhaftet. 

Sie schreiben in Ihrem Brief ja, dass vor drei Jahren Ihr Ehemann verstorben ist. Dass Sie getrauert und nun wieder gut Fuss gefasst haben. Der Wechsel in die kleinere, weniger sonnige Wohnung fordert Sie dagegen sehr. Darauf reagiert das Umfeld oft nicht nur verständnisvoll, denn die depressive Reaktion will in ihrem Ausmass so gar nicht zum Auslöser passen – und das ist für Aussenstehende nicht nachvollziehbar. 

Das ist aber gerade das Typische. Die Depression ist eine nicht normale Reaktion auf ein in der Regel normales kleineres 
oder grösseres Lebensereignis. Und sie ist für Betroffene nicht steuerbar. 

Was Sie jetzt tun können

Ratschläge möchte ich Ihnen vor allem in der Situation mit Ihrer Hausärztin anbieten. Sie brauchen ein verlässliches, unterstützendes Team an Ihrer Seite.

  1. Nehmen Sie eine Vertrauensperson mit zum nächsten Gespräch mit der Hausärztin. Vier Ohren hören besser als zwei. Sie haben aber vor allem auch eine Rückendeckung, um Ihr Anliegen vorzubringen.
  2. Bitten Sie Ihre Hausärztin, Ihnen ausführlich zu erklären, warum sie an eine Altersdepression denkt und welche körperlichen Erkrankungen, die mit Energielosigkeit einhergehen, sie ausgeschlossen hat. 
  3. Falls Sie immer noch unsicher sind: Holen Sie eine Zweitmeinung ein. Bei allen wichtigen Entscheidungen suchen wir heute an mehreren Orten Infos. Warum sollte das ausgerechnet bei der Gesundheit anders sein? 
  4. Wenn wirklich eine Altersdepression vorliegt: Welche Behandlung schlägt die Hausärztin vor? Antidepressiva können hilfreich sein. Viel zu selten eingesetzt werden aber leider Gesprächstherapien. Gerade im Umgang mit ins Stocken geratenen Lebensübergängen sind diese sehr hilfreich. Auch eine Psychiatrie-Spitex kann Ihnen am Anfang helfen, trotz der fehlenden Energie täglich einen Spaziergang zu machen und so wieder etwas Kraft aufzubauen.