Beobachter: Seit Jahrzehnten tut sich die Schweiz mit Rüstungsgeschäften schwer. Wo liegt das Problem?
Corina Eichenberger: Das liegt daran, dass die Rüstungsbeschaffung eine komplexe Materie ist. Es geht meist um komplizierte Systeme, die wir kaufen wollen. Dazu braucht es Know-how. Das ist aber nicht immer überall vorhanden. Zum andern wurden beim Bundesamt für Rüstung, Armasuisse, in den letzten Jahren Kosten eingespart. Die Armasuisse hat heute grosse Schwierigkeiten, weil sie nicht mehr genug Personal hat. Die Fachleute können sich nicht mehr bis ins Detail mit komplizierten Systemen befassen. Hinzu kommt, dass bei den anderen Gremien, die in Rüstungsgeschäfte involviert sind, das technische Know-how sowieso weitgehend fehlt. Es ist doch einfach so: Es gibt einen Experten hier und einen Experten dort, und die zwei widersprechen sich gern.

Beobachter: Der Kleinlastwagen Duro muss für eine halbe Milliarde überholt werden, beim Informatiksystem FIS Heer wurden 125 Millionen in den Sand gesetzt, die Beschaffung der Boden-Luft-Abwehr wurde gestoppt. Ist die Armasuisse überfordert?
Eichenberger: Nein, die Armasuisse ist nicht überfordert. Die Verantwortlichen geben sich Mühe, da arbeiten viele gute Leute. Aber sie haben zu wenig Personal, um alle laufenden Projekte zu begleiten. Ausserdem gibt es auf der politischen Ebene mit den Wahlen alle vier Jahre Wechsel. Da geht auch Wissen verloren. Und schliesslich kommt es auch im Bundesrat zu Veränderungen. Plötzlich herrscht eine andere Auffassung darüber, wie Projekte geführt und kontrolliert werden. Das sind alles Schwachstellen unseres Systems, sie sind mit Risiken verbunden. Grosse und komplexe Projekte werden plötzlich wieder in Frage gestellt, während man sich wenige Jahre zuvor einig war.

Beobachter: Grosse Beschaffungsprojekte dauern schnell mal zehn Jahre. Wie Sie die Probleme schildern, wird es fast unmöglich, grosse Rüstungsprojekte professionell über die Bühne zu bringen.
Eichenberger: Es darf nicht sein, dass unser Staat nicht mehr fähig ist, grosse Rüstungsprojekte zu realisieren. Sonst stehen wir irgendwann bei grossen Informatikprojekten oder andern sicherheitspolitischen Projekten ohne Lösung da. Das wäre sehr schädlich. Wir müssen versuchen, die Abläufe zu straffen, die Projektleitungen zu verbessern und die Projektverfahren zu verkürzen.

Beobachter: Bei Rüstungsgeschäften spielen viele mit. Die Armasuisse, das Parlament, die Armee, die Sicherheitspolitische Kommission, der Bundesrat. Wer hat eigentlich das Sagen?
Eichenberger: Das Armasuisse bereitet aufgrund der Planung der Armee die Beschaffungsprojekte vor. Die Armee beurteilt, welche Objekte neu beschafft oder nachgerüstet werden müssen. Anschliessend muss wiederum die Armasuisse die technischen Daten aufarbeiten. Dann kommt ein Beschaffungsprojekt auf die politische Ebene. Letztlich liegt der Entscheid über ein Produkt oder ein Beschaffungsprojekt beim Chef des VBS, anschliessend beim Gesamtbundesrat. Erst dann kommt ein solches Projekt ins Parlament. Und hier stehen das Verteidigungsdepartement und die Sicherheitspolitik insofern im Fokus, als man die Projekte jeweils sehr kritisch betrachtet und versucht, Zweifel und Verunsicherung zu streuen.

Beobachter: Es geht jeweils auch um sehr viel Geld.
Eichenberger: Das ist so, es geht um viel Geld. Dazu kommen unterschiedliche politische Ansichten, aber auch Konkurrenten mischen jeweils mit. Jeder Anbieter will sein Produkt verkaufen.

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Rüstungsfirmen, Lobbyorganisationen und Parlamentarier pflegen enge Kontakte zur Armee und damit auch zur Armasuisse, dem Bundesamt für Rüstung. Verschiedene Lobbys werden von der Rüstungsindustrie mit sogenannten Gönnerbeiträgen in unbekannter Höhe unterstützt.

Beobachter: Sie präsidieren die wichtige Sicherheitspolitische Kommission. Haben Sie genügend Informationen, wenn es um Projekte geht, die Hunderte Millionen kosten?
Eichenberger: In der Sicherheitspolitischen Kommission werden wir grundsätzlich gut informiert. Es gibt aber Bereiche, die tangieren sogenannte Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Firmen. Hier kennen die Armasuisse und der Bundesrat die Details, aber sicher nicht das Parlament. Da kann man nicht in allen Einzelheiten informieren, weil die Geheimhaltungsinteressen einfach höher sind. Das ist nicht nur in der Schweiz so. Wenn man auch diese Bereiche offenlegen würde, bestünde die Gefahr, dass Firmen mit guten Produkten plötzlich nicht mehr in der Schweiz offerieren – um ihre Geschäftsgeheimnisse zu schützen.

Beobachter: Grosse Beschaffungsprojekte, die scheitern, haben etwas gemeinsam: Es geht um viel Geld, und gleichzeitig fehlt es an Transparenz.
Eichenberger: Zum Teil mag das tatsächlich zusammenhängen. Im politischen Prozess werden manchmal Fragen polemisch diskutiert, die eigentlich gar nicht so wichtig sind. Aber aufgrund der Geheimhaltungsinteressen können wir nicht weiter darauf eingehen. Aber das gehört zu unserer Demokratie. Da werden wir aus gewissen politischen Kreisen gern kritisiert und hinterfragt. Dabei geht leider auch immer ein gewisses Niveau an Sachlichkeit verloren.

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Beobachter: Es ist doch so: Bei den Rüstungsgeschäften ärgert sich jeder über den anderen. Die Politik über die Armasuisse, die Armee über den Bundesrat... Sind Grossprojekte der Armee überhaupt noch politisch steuerbar?
Eichenberger: Ja, daran müssen wir alles setzen. Wir sind in der Sicherheitspolitischen Kommission daran, die Prozesse zu straffen, zu verkürzen. Beschaffungsprojekte dürfen nicht mehr so lange dauern wie bisher. Wir müssen die Verfahren klären, verbessern, beschleunigen.

Beobachter: Den politischen Meinungsbildungsprozess können Sie allerdings nicht umgehen.
Eichenberger: Nein, aber wir müssen die Verfahren trotzdem kürzen. Wir müssen einen Weg finden, um transparent zu informieren und trotzdem die Geschäftsgeheimnisse zu wahren. Ich könnte mir vorstellen, vertrauliche Informationen beispielsweise zumindest der Finanzdelegation oder der Geschäftsprüfungsdelegation offenzulegen.

Beobachter: Bei grossen Projekten werden Sie trotzdem wegen mangelnder Transparenz kritisiert werden.
Eichenberger: Ja, aber das ergibt sich aus dem System selbst. Das wird immer so sein. Aber ich finde es nicht gut, wenn politische Kreise dauernd Zweifel vorbringen und damit den Staat in den Morast fahren. Denn durch die stetige Kritik resultiert letztlich eine totale Handlungsunfähigkeit. Das darf nicht sein.

Zur Person

Corina Eichenberger ist Aargauer FDP- Nationalrätin und Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission. Zugleich ist sie auch Co-Präsidentin des Arbeitskreises Sicherheit und Wehrtechnik sowie Präsidentin der Gesellschaft Schweiz-Israel.