Die «Stocker Sisters», wie sie sich als Geschäftsfrauen nennen, sind typische Teilzeitselbständige. Jede der drei Schwestern arbeitet zu 80 Prozent in ihrem angestammten Beruf. Daneben führt das muntere Trio seit knapp einem Jahr in Zürichs Altstadt einen Laden: ihre selbständige Leidenschaft neben dem sicheren Einkommen aus dem Brotjob. Die Stockers verkaufen Handwerk, eigenes und von Herstellern in der Schweiz: Schönes, Verspieltes, Nostalgisches, «doch immer mit Nutzwert». Die Selbständigkeit im Nebenamt ist bewusst gewählt: «Wir wollen zuerst testen, ob wir erfolgreich sein können», erklärt Dora Stocker (siehe nachfolgendes Portrait: «Mini-Pensum neben fixem Hauptjob»).

Meist heissts irgendwann entweder – oder

Angestellt oder selbständig – oder etwas dazwischen? Im Jahr 2008 wurden in der Schweiz 10'800 Kleinstunternehmen mit weniger als vier Beschäftigten gegründet. In den nur von Frauen gegründeten Firmen arbeiten die Hälfte als Teilzeitselbständige, in den reinen Männerunternehmen 30 Prozent.

Die Fachhochschule Nordwestschweiz befragte 326 Unternehmen, die zwischen 2003 und 2007 gegründet wurden. Das Resultat: Jeder fünfte Jungunternehmer war nebenbei im Durchschnitt noch mit einem halben Pensum fix angestellt. «Ein solches zweites Standbein haben heute deutlich mehr Jungunternehmer als noch vor zehn Jahren», sagt Rolf Meyer, Projektleiter der Befragung, «und fast 40 Prozent von ihnen sind unschlüssig, ob sie die feste Stelle aufgeben sollen.» Für Meyer eine Entwicklung, die auch Tücken birgt: «Teilzeitgründerinnen laufen Gefahr, nicht vom Fleck zu kommen. Irgendwann stehen die meisten vor der Entscheidung: entweder ganz oder gar nicht.»

Motive für den Schritt in die Selbständigkeit

Zustimmung in Prozent

(befragt wurden 326 Selbständige, die ihr Geschäft zwischen 2003 und 2007 gegründet haben)

Quelle: Saskja Rosset
Entscheidend: Genug Geld bereithaben

Bei einer Firmengründung spiele der Faktor Teil- oder Vollzeit aber keine Rolle – die Voraussetzungen seien die gleichen, betont Andreas Hanselmann, Mitinhaber der ESW Start-up AG. In 15 Jahren hat er an die tausend Jungunternehmer mit Coaching unterstützt. Entscheidend seien drei Faktoren: Know-how, Leidenschaft und eine clevere Geschäftsidee. Es gebe durchaus einen Typus «Gründerpersönlichkeit», so Hanselmanns Erfahrung. «Er oder sie ist ehrgeizig und zielstrebig, hat viel Ausdauer und steht nach Rückschlägen wieder auf.»

Für die richtige Vorbereitung auf die Unternehmensgründung gibt es kein Patentrezept. Man kann sich, wie etwa die Stocker Sisters, selber schlaumachen oder aber den Austausch mit anderen Jungunternehmern in einem Kurs oder Netzwerk suchen. Als entscheidenden Erfolgsfaktor nennt Experte Hanselmann genügend finanzielle Rückstellungen. «Ein halbes Jahr ohne Einkommen ist zu knapp bemessen. Es braucht etwa ein bis drei Jahre, bis man sich einen angemessenen Lohn auszahlen kann.» Als besonders belastend bezeichnet er den Start, wenn die Gründer noch für eine Familie zu sorgen haben.

Dennoch nennt jeder Dritte der Neuselbständigen «familiäre Gründe» als wichtige Motivation. «Viele Frauen wählen die Selbständigkeit, wenn sich ihre Position am bisherigen Arbeitsort wegen der Familiengründung verschlechtert oder wenn ein Teilzeitjob nicht ihren Qualifikationen entspricht», sagt die Basler Ständerätin Anita Fetz, die mit ihrem eigenen Unternehmen Femmedia Change Assist Beratungen für die berufliche Neuausrichtung anbietet. Sie betont, dass Frauen mit Familie von der Belastung her eine völlig andere Ausgangslage haben als Männer. Wichtig für den Erfolg sei deshalb auch die Unterstützung im persönlichen Umfeld. «Neben dem finanziellen Schutzschild braucht es auch einen psychologischen», so Fetz.

Wie Firmengründer ihren Erfolg einschätzen

Zustimmung in Prozent

(befragt wurden 326 Selbständige, die ihr Geschäft zwischen 2003 und 2007 gegründet haben)

Quelle: Saskja Rosset

Quelle: Forschungsbericht «Die neuen Selbständigen 2009», FH Nordwestschweiz; Infografik: beobachter/dr

Man läuft Gefahr, sich selbst auszubeuten

Teilselbständige geben ihre feste Anstellung meist auf, wenn im eigenen Unternehmen der Umsatz anzusteigen beginnt. So etwa Beatrice Graf, die Taschen herstellt: Die Zürcherin wagte ein Jahr nach der Entscheidung den Sprung in die volle Selbständigkeit (siehe nachfolgendes Portrait: «Alles auf eine Karte gesetzt»). Damit hat sie das geschafft, wovon die meisten Neu-Firmeninhaber träumen.

Welches sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren, damit man so weit kommt? Rolf Meyer, Leiter des Instituts für Unternehmensführung an der Fachhochschule Nordwestschweiz, zählt auf: Innovationsfähigkeit, genügend Kapital, ein guter Businessplan – und das Geschlecht. Gesamthaft existieren nur rund die Hälfte der neu gegründeten Kleinunternehmen nach fünf Jahren noch, bei den Frauenunternehmen überleben aber immerhin zwei Drittel.

Für Elisabeth Bornand vom Netzwerk Einfrau-Unternehmen kein Zufall: «Frauen wählen oft die Strategie der kleinen Schritte. So bleiben die Risiken überschaubar, und man kann flexibler reagieren, wenn Probleme auftauchen.» Die Kehrseite: Rund 30 Prozent der Unternehmerinnen verdienen nach eigenen Aussagen «viel weniger» als zuvor als Angestellte, und der Lohn, den sie sich im Durchschnitt selber auszahlen, liegt um einen Drittel tiefer als jener der Männer. «Frauen werten Motivation und Unabhängigkeit oft höher als Gewinn und Prestige», bemerkt Expertin Anita Fetz dazu. Gleichzeitig warnt sie: «Wenn man nach einem Jahr nicht von der Selbständigkeit leben kann, läuft man Gefahr, sich selbst auszubeuten.»

Als ihre grösste Sorge bezeichnen in der Untersuchung der Fachhochschule Nordwestschweiz fast die Hälfte der Neu-Selbständigen, in der Aufbauphase nicht genügend Kapital zu erhalten. «Viele wiesen darauf hin, dass sie mit den kreditgewährenden Banken Schwierigkeiten hatten», sagt Studienleiter Rolf Meyer. In der Wirtschaftskrise komme dazu, dass der Wunsch nach Unabhängigkeit steige, gleichzeitig aber die Erfolgsaussichten geringer seien.

Ganz zurück kommt nicht in Frage

Diese Erfahrung macht auch Ruedi Winkler, der im Februar 2009 den Verein «Go! Ziel selbständig» gründete, der Mikrokredite vergibt. Seither stellten über 320 Personen ein Gesuch. «Kleinunternehmen mit Kreditbedarf unter 50'000 Franken sind für Banken kommerziell nicht attraktiv, da kann das Projekt noch so gut sein», sagt Winkler. Er betont, dass ein zweites Standbein als Angestellter eine gute Zwischenlösung sein könne, die auch bei der Kreditvergabe manchmal angesprochen werde. «Nicht zuletzt deshalb, weil Selbständige keine Arbeitslosenversicherung haben», sagt der frühere Chef des Zürcher Arbeitsamtes.

Als etwa Katharina Müller, die sich vor drei Jahren als Bauchtänzerin teilselbständig gemacht hat, 2009 ihre fixe Teilzeitstelle verlor, war sie froh, dass dieses zweite Standbein abgesichert war (siehe nachfolgendes Portrait unten: «Fifty-fifty auf zwei Standbeinen»). Deshalb will sie auch unbedingt bei dieser 50:50-Lösung bleiben. Der Schritt ganz zurück in «normales» Angestelltendasein kommt für sie jedoch nicht in Frage, zumindest nicht freiwillig.

Damit ist Bauchtänzerin Müller in bester Gesellschaft: Für eine interessante Stelle mit angemessenem Lohn würde nur jeder Zehnte das eigene Unternehmen wieder aufgeben – zu gross ist insgesamt die Zufriedenheit der Neuselbständigen, trotz oft geringerem Einkommen und einer durchschnittlichen Arbeitswoche von 53 Stunden.

Fifty-fifty auf zwei Standbeinen

Katharina Müller, 40, Bauchtänzerin (rund 50 Prozent), sucht daneben momentan eine neue 50-Prozent-Feststelle

Vor drei Jahren machte sich Katharina Müller mit ihrem Hobby Bauchtanz teilselbständig. Unter dem Namen «Bellyqueeny» führt sie heute Kurse durch und tritt als orientalische Tänzerin im Winterthurer Restaurant Fata Morgana sowie an Geschäfts- und Privatanlässen auf.

«Als ich begann, war für mich klar, dass ich in meiner damaligen Stelle als PR-Fachfrau ein halbes Pensum behalte, um mich finanziell abzusichern», sagt Müller. Die Wirtschaftskrise machte ihr vorerst einen Strich durch die Rechnung: Vor einem Jahr verlor sie die Stelle. «Das zwang mich, eine Entscheidung zu fällen, in welche Richtung es weitergehen soll.» Sie wollte weiter tanzen: «Das Tanzen hat in meinem Leben Priorität.» Dafür sei die 40-Jährige auch bereit, sich finanziell einzuschränken und nun wohl auch auf eine eigene Familie zu verzichten.

Als Selbständige verdient Müller heute nach Abzug der Raummiete 2000 Franken monatlich. «Dafür arbeite ich viel, denn ich mache ja alles Drumherum wie Marketing und Akquisition selber.» Zurzeit plant sie einen virtuellen Bauchtanzkurs und Tanzauftritte in Japan, die von einem Freund organisiert werden. Und sie ist auf der Suche nach einer 50-Prozent-Stelle: «Ich brauche ein zweites Standbein», betont sie. Denn das nehme finanziellen Druck weg und lasse ihr die Freiheit, Auftritte selber auszuwählen.

Mini-Pensum neben fixem Hauptjob

Dora Stocker, 49 (links), Mitinhaberin eines Ladens für Handwerksprodukte; Pensum: rund 30 Prozent, daneben Prüfungsorganisatorin (80 Prozent)

Quelle: Saskja Rosset

Im vergangenen Sommer eröffnete Dora Stocker zusammen mit ihren beiden Schwestern Elisabeth und Beatrice einen eigenen Laden. Schwerpunkt: Produkte aus Wolle. «Die Idee entstand aus unseren Hobbys», erzählt sie. Nach erfolgreichen Tests an Weihnachtsmärkten liess sie den Firmennamen «Zaubernuss» schützen. Übers Internet fanden die Schwestern das Ladenlokal an einer Toplage in Zürich. «Geholfen hat dabei sicher, dass wir alle ein festes Einkommen haben.» Denn die drei behielten je ein 80-Prozent-Pensum im angestammten Beruf: die jüngeren Zwillinge in einem Modehaus im Verkauf, Dora als Prüfungsorganisatorin an einer Hochschule. Den Laden, der normale Öffnungszeiten hat, betreuen sie in ihrer Freizeit. «Der einzige Nachteil bei drei Geschäftsgründerinnen ist wohl, dass wir fast zu vorsichtig vorgehen», sagt Dora Stocker.

Nur erspartes Geld wurde ins Projekt investiert – rund 50'000 Franken. Um das geschäftliche vom privaten Einkommen zu trennen, wählten sie die Rechtsform GmbH. Das Know-how für den Aufbau des Geschäfts hätten sie sich selbst beschafft – aus Beobachter-Ratgeberbüchern, so Stocker. Heute, nach neun Monaten, deckt der Ertrag der «Zaubernuss» Miete und Einkäufe, Lohn gibt es noch keinen. «Wir arbeiten zwar
an sechs Tagen pro Woche und oft auch abends, doch ein solcher Laden war immer unser Traum.» Als Buchhalterin des jungen Unternehmens betont Dora Stocker aber auch: «In maximal drei Jahren muss der Laden so viel abwerfen, dass wir die Arbeitszeit reduzieren können.»

Alles auf eine Karte gesetzt

Beatrice Graf, 49, Taschenmacherin; Pensum: 100 Prozent

Quelle: Saskja Rosset

«Es läuft stetig besser», sagt Beatrice Graf. Vor anderthalb Jahren begann sich die gelernte medizinisch-technische Assistentin schrittweise selbständig zu machen. Unter dem Label «boule rouge» verkauft sie Taschen. Anfänglich produzierte Graf diese in der Familienwohnung, wo sie mit Partner und elfjährigem Sohn lebt. Daneben arbeitete sie zu 40 Prozent, dann noch zu 20 Prozent im Beruf.

Geträumt habe sie schon lange von etwas Eigenem – und auch schon immer «handwerklich gepröbelt», erzählt sie. Den Businessplan, mit dem sie startete, stellte sie in mühseliger Kleinarbeit mit Unterlagen aus dem Internet selber zusammen. Ein halbes Jahr nach der Entscheidung, zumindest teilweise ihre eigene Chefin zu sein, entschloss sie sich dann noch, den Start-up-Kurs der EB Zürich zu besuchen. «Damit wollte ich mich absichern, dass ich auf dem richtigen Weg bin», erklärt sie.

Über eine Kursteilnehmerin fand sie ein Atelier im Zürcher Seefeld. Im letzten August wagte sie, ein Jahr nach dem Beginn, den Sprung in die hundertprozentige Selbständigkeit – und ist heute voll ausgelastet. Ihre Taschen werden in Bern und bald in Genf verkauft. Beatrice Graf betont: «Nach drei Jahren will ich von der Selbständigkeit gut leben können.» Bis jetzt reiche der Gewinn für die Ateliermiete, das Material und den Lebensunterhalt auf dem Existenzminimum. «Es geht, weil ich mich am Familienhaushalt nur nach Einkommen beteilige und kein Auto habe.»

Tipps: Erste Schritte in die Selbständigkeit

  • Geschäftsidee: Eignung, Kundschaft, Konkurrenz abklären.

  • Finanzbedarf: Dazu gehören Startausgaben, Reserven für mindestens sechs Monate, regelmässige Kosten für Miete und Marketing, Herstellungskosten. Auskunft zu Vereinen, die Kredite vergeben, gibt das RAV.

  • Firmenname: Prüfen, ob es ihn noch nicht gibt (www.zefix.ch) und ihn je nach Produkt schützen lassen (Formular: www.stiftung-kmu.ch).

  • Businessplan: Er muss Zielsetzung, Risiko- und Produkteanalyse, Rechtsform, detailliertes Budget und erste konkrete Schritte enthalten.

  • Rechtsform: Als Einzelperson kann man eine Einzelfirma oder GmbH gründen. Der grösste Unterschied liegt bei der Haftung. Für die GmbH braucht man ein Einlagekapital von 20'000 Franken, und man muss sie im Handelsregister eintragen.

  • Soziale Absicherung: Für Selbständige sind nur AHV und Krankenkasse obligatorisch. Eine Taggeldversicherung für Krankheit und Unfall muss man selber abschliessen. Freiwillige Beiträge in die zweite Säule sind möglich.

  • Vorbereitung mit Kursen: Weiterbildungsbörse www.w-a-b.ch, Stichwörter «Unternehmensgründung», «Startup»

Weitere Infos

www.gruenden.ch: Schritt-für-Schritt-Anleitung, Checklisten

www.kmu.admin.ch: Virtueller Gründungsschalter mit Anmeldeformularen

www.startzentrum.ch: Gründungszentrum, das Know-how und Räumlichkeiten zur Verfügung stellt

«Die neuen Selbständigen 2009»: Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz