Beobachter: Traditionelle Rituale liegen wieder im Trend, gerade bei den Jungen. Warum?
Sibylle Forrer: Junge Leute befinden sich in einer Phase des Umbruchs, sie suchen nach Punkten, die ihnen Halt geben. Das war wahrscheinlich schon immer so. Heute aber kommt die grosse Vielfalt an Wegen hinzu, praktisch jedes Lebensmodell ist möglich – was ja auch gut ist. Aber das kann zu einer gewissen Orientierungslosigkeit führen. In den letzten Jahren war zu beobachten, dass Junge tatsächlich vermehrt auf Rituale zurückgreifen, teils auf ganz traditionelle. Bei Hochzeiten wünschen sie sich das Ehegelübde, wie es immer gesprochen wurde; es wird in Weiss geheiratet, der Vater führt die Braut zum Altar.

Beobachter: Warum legen wir bei Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen Wert auf Rituale?
Forrer: Das sind Übergangsrituale, mit denen einschneidende Veränderungen im Leben gefeiert werden. Wir wollen ihnen eine besondere Bedeutung geben, mit einer Feier, die sich vom Alltag abhebt. Zu solchen Momenten zählt, wenn ein Kind geboren wird oder ein Mensch stirbt. Oder wenn wir uns vom Singleleben verabschieden und eine Ehe schliessen, obwohl es üblich ist, schon vorher zusammenzuleben. Der Eintritt ins Erwachsenenalter ist ebenfalls etwas Einschneidendes, das praktisch in allen Kulturen gefeiert wird. Selbst in der ehemaligen DDR, einem areligiösen Staat, wurde die «Jugendweihe» begangen.

Beobachter: Funktionieren Rituale also auch ausserhalb der Kirche?
Forrer: Sicher, die erwähnten Übergänge zu feiern entspricht einem urmenschlichen Bedürfnis. Wer nicht in einem kirchlichen Kontext beheimatet ist oder kein Interesse daran hat, sich mit Glaubensfragen auseinanderzusetzen, sucht andere Formen des Feierns. Ich bin überzeugt, dass das funktioniert und seinen Platz hat. Wenn sich zwei verbinden und neben der staatlichen Eheschliessung in einem anderen Rahmen feiern wollen, ist das gar nicht an die Institution Kirche gebunden. Sich das Jawort zu geben geht auch ohne die religiöse Ebene. Und es muss nicht in der Kirche geschehen – man kann sich zum Beispiel einen Ort unter freiem Himmel wählen.

Beobachter: Könnten Sie sich vorstellen, Ihre Kirche für nichtreligiöse Feierlichkeiten zu öffnen?
Forrer: Im Grundsatz kann ich mir das vorstellen, wenngleich vielleicht nicht jede Form von Feierlichkeit hineinpasst. Eine Kirche sollte mehr sein als ein Eventlokal. Für viele sind sie Kraftorte, andere erfreuen sich an der schönen Kunst darin. Warum hier die Pforten nicht öffnen? Oft haben aber beliebte oder schön gelegene Gemeindekirchen dafür kaum Kapazitäten frei. Bis zu drei Trauungen an einem Samstag sind auch bei uns keine Seltenheit.

Beobachter: Das erstaunt bei der hohen Zahl von Kirchenaustritten.
Forrer: Gerade wenn geheiratet wird oder ein Kind getauft werden soll, treten Leute nicht selten wieder in die Kirche ein. Sie merken dann, dass eine religiöse Ebene doch wieder wichtig ist. Es sind oft jene, die sich auch später aktiv in der Kirchgemeinde engagieren.

Beobachter: Hat man Sie schon mal gebeten, ein nichtreligiöses Ritual abzuhalten?
Forrer: Nein, das ergäbe auch keinen Sinn, zumindest nicht, wenn mich jemand als Pfarrerin aufsucht. In diesem Fall würde ich an nichtkirchliche Ritualbegleitung verweisen.

Beobachter: Sie sehen das nicht als Konkurrenz?
Forrer: Überhaupt nicht. Ich finde es gut, dass man die Wahl hat. Es heisst nicht mehr: Du kannst eine Feier nur abhalten, wenn du Mitglied der Kirche bist. Interessant sind ja die Parallelen: In der reformierten Trauung wie in der nichtreligiösen Feier scheint die Beziehungsgeschichte des Paares auf, es möchte bekunden, warum es sich das Eheversprechen gibt. Bei der religiösen Feier kommt der Segen von Gott dazu.

Beobachter: Wer in der Kirche feiert, sucht mehr als den romantischen Rahmen für Fotos?
Forrer: Definitiv. Meiner Erfahrung nach kommt man nicht nur, weil es ein schönes Setting ist und der Pfarrer im Talar feierlich aussieht. Es spielen andere Dinge eine Rolle. Der Segen ist eine bewusste Entscheidung. In einer Zeit, in der jede zweite Ehe geschieden wird, wünschen sich Paare zusätzlichen Beistand.

Beobachter: Kirchliche Rituale kommen einem aber schnell einmal verstaubt vor.
Forrer: Das höre ich häufig von jenen, die seit ewigen Zeiten keinen Gottesdienst mehr besucht haben. Viele Rituale sind selbstverständlich beheimatet in der christlichen Tradition und werden oft gerade deswegen nachgefragt. Dennoch haben wir grosse Freiheit, zeitgemässe Feiern abzuhalten. Alles geschieht in Absprache mit dem Paar oder den Trauernden, sie wählen die Musik, die Lesungstexte. Bei Beerdigungen wünschen sich viele keinen heruntergelesenen Lebenslauf mehr. Vielmehr soll die verstorbene Person noch einmal spürbar werden, auch mit ihren Ecken und Kanten. Auch hier sehe ich Parallelen zu Ritualfeiern ausserhalb der Kirche.

Beobachter: Warum braucht die Kirche neue Rituale?
Forrer:
Weil sie gesellschaftliche Entwicklungen aufnehmen und Entsprechendes anbieten sollte, etwa dann, wenn sich Lebenswege trennen. Scheidungsrituale sind sehr gefragt. Oder nehmen Sie Segnungsfeiern für Homosexuelle. Sie waren in der reformierten Kirche zu einem Zeitpunkt möglich, als die eingetragene Partnerschaft noch gar kein Thema war.

Zur Person:

Sibylle Forrer, 35, ist reformierte Pfarrerin in Oberrieden ZH. Sie spricht regelmässig das «Wort zum Sonntag» auf SRF 1. Für Diskussionsstoff sorgte Forrer wegen ihrer liberalen Haltung zur gleichgeschlechtlichen Liebe.

Quelle: Lindsay Upson/Corbis/Dukas, Merly Knörle/SRF

Ritualbegleiter als Alternative: Darauf sollten Sie achten

Sie suchen eine etwas andere Feier? Zeremoniar Daniel Stricker aus Tobel TG über Trauungen, Reden – und Honorare:

Suche: Eine erste Übersicht bietet das Portal www.zeremonienleiter.ch. Hier finden sich Angebote für Trauungen, Hochzeitsjubiläen, Partnerschaftssegnungen, freie Taufen, Namensgebungsfeiern oder Naturbestattungen. Wichtige Punkte beim Stöbern: Ist die Website professionell gestaltet und auf dem neusten Stand? Ist die Sprache präzis oder ausufernd, kitschig, welterklärerisch?

Auswahl: Wenn ein Anbieter oder eine Anbieterin sympathisch und kompetent erscheint, rufen Sie am besten an und lassen sich das Angebot erklären. «Da merkt man schnell, ob jemand für seine Arbeit brennt und man das Heu auf der gleichen Bühne hat», sagt Zeremoniar Daniel Stricker. Fragen Sie auch Freunde und Bekannte, wen sie empfehlen würden. Wer in dieser Nische hauptberuflich bestehen kann, hat zufriedene Kunden, die gern Empfehlungen abgeben.

Anforderungen: Zeremonienleiter sollten gute Zuhörer und gute Autoren sein. Sie verwenden nicht einfach Vorgefertigtes, sondern gestalten Feiern nach den Vorstellungen der Kunden. Die Geschichte, die Interessen und Leidenschaften des Brautpaars, der Eltern oder des Verstorbenen sollten im Zentrum stehen. Oft wünschen sich Kunden, dass etwa bei einer religionsneutralen Abdankung neben dem Ritualbegleiter ein kirchlicher Vertreter ein paar Worte spricht. Solchen Wünschen sollte entsprochen werden.

Hintergrund: Viele Ritualbegleiter haben einen theologischen Werdegang. Für Daniel Stricker ist das aber kein ausschlaggebendes Kriterium. Für gute Reden und Reflexionen sei vielmehr literarische Bildung hilfreich, was geistliche Schriften meist einschliesse.

Kosten: Zeremonienleiter sind frei in ihrer Preisgestaltung. Nebenberufler verlangen 500 bis 1000 Franken, Profis kosten zwischen 1400 und 2400 Franken. Vorsicht: Einige Ritualbegleiter veranschlagen ein Fixum und rechnen dann noch Kilometerkosten und Ähnliches dazu, was das Ganze intransparent macht. Zuverlässiger sind Pauschalen als Offerte: So gibt es keine bösen Überraschungen.