Kann ein Zwölfjähriger so gefährlich sein, dass er in einer Klinik rund um die Uhr von privaten Sicherheitsleuten bewacht werden muss? Ist eine solche Massnahme geeignet und verhältnismässig, wie es das Gesetz verlangt? Oder hat die zuständige Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) jedes Augenmass verloren?

Solche Fragen wirft ein Fall auf, den die Mutter eines Buben an die Medien getragen hat. Die gebürtige Weissrussin aus Wettswil ZH erzählte, nach vielen missglückten pädagogischen Versuchen habe die Kesb Bezirk Affoltern ihren «sehr lebendigen» Jungen in die kinderpsychiatrische Klinik Brüschhalde in Männedorf eingewiesen. Dort habe allein der Personenschutz bis zu 50'000 Franken pro Monat gekostet. Dazu kamen die von der Krankenkasse bezahlten Kosten für die Klinik, zusammen rund 85'000 Franken.

«Längstens sechs Wochen»

Ein Betrag, der aufschreckt. Die angegriffene Kesb sagte anfänglich nichts zum Fall. Sie ist ans Amtsgeheimnis gebunden. Nachdem aber der «Blick» die Geschichte aufgegriffen und tagelang bewirtschaftet hatte, informierte die Behörde zumindest allgemein. Die Kesb habe aufgrund eines externen psychiatrischen Gutachtens eine fürsorgerische Unterbringung angeordnet. Die Mutter habe dagegen keine Beschwerde erhoben, und der Junge sei in der Klinik ausschliesslich mit Personenschutz aufgenommen worden – eine Alternative habe es nicht gegeben. Und: Das Sondersetting habe «während längstens sechs Wochen» bestanden.

Die Kesb-Präsidentin Alexandra Zürcher betont, das sei ein absoluter Ausnahmefall. «Es gibt bis zu fünf Fälle pro Jahr, in denen eine Sicherheitsfirma unterstützend aufgeboten werden muss», sagt Marc Stutz, Sprecher der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, zu der die Männedorfer Kinderstation gehört. «Diese Einsätze dauern jeweils nur einige Tage, nicht Wochen.» In anderen grösseren Kantonen ist kein ähnlicher Fall bekannt.

«Ein Extremfall»

Klar ist: Kinder und Jugendliche, die in Heimen oder Kliniken leben, sind nie billig. «Aber monatliche Kosten von 85'000 Franken sind ein Extremfall», sagt André Woodtli, Leiter des Zürcher Amts für Jugend und Berufsberatung. Der Aufenthalt in einem Heim mit Wohngruppen und interner Schule koste im Schnitt rund 500 Franken pro Tag. In einer geschlossenen Einrichtung mit entsprechenden Sicherheitsmassnahmen und intensiverer Betreuung könne es doppelt so viel sein. Diese Kosten trägt hauptsächlich die öffentliche Hand; die Eltern leisten Beiträge nach kantonal unterschiedlichen Vorgaben. Ein Heimkind kostet also schnell 15'000 Franken pro Monat. Laut einer neuen Schätzung der Organisation Pflege- und Adoptivkinder Schweiz leben derzeit etwa 13'000 Kinder und Jugendliche in Heimen – freiwillig oder auf Anordnung der Behörden.

Psychiatrische Kliniken sind noch teurer, denn es kommen Therapien dazu. Gut die Hälfte der Kosten trägt der Kanton, den Rest in der Regel die Kranken- oder Invalidenversicherung. Die Tagespauschalen belaufen sich auf etwa 700 bis 1100 Franken. Bei einer geschlossenen Klinik mit hohen Sicherheitsstandards und 24- Stunden-Betreuung kann der Tagesansatz laut André Woodtli bis auf 1500 Franken klettern.

Berichterstattung

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Der Zwölfjährige ist inzwischen in der jugendforensischen Abteilung der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel untergebracht. Dort werden primär jugendliche Straftäter mit psychischen Störungen behandelt. Die Sicherheit ist durch bauliche und personelle Massnahmen gewährleistet, Einzel-Personenschutz gibts nicht. Billig ist auch das nicht: pro Tag 1450 Franken. Vor allem der personelle Aufwand schlage zu Buche, sagt Marc Graf von der UPK. Für die Behandlung und Betreuung der zehn Jugendlichen brauche es 20 Vollzeitstellen in vier Schichten auf 24 Stunden. «Das sind sehr schwierige Fälle. Wer glaubt, man könne diese Jugendlichen ein paar Wochen auf einer Alp absetzen und danach ist alles wieder gut, hat schlicht keine Ahnung», sagt Graf.

Auch sogenannt normale Kinder sind für die Allgemeinheit nicht gratis. Das Zürcher Jugendamt hats berechnet: Bis zum Alter 22 sind es im Normalfall 400'000 Franken – und bis zu siebenmal mehr, wenn es Probleme gibt.