Die drei Hunde sind plötzlich krank. Alexandra Refer* fährt ihre Lieblinge zum Tierarzt. Doch der kann nichts mehr tun. Es war Gift. Der Täter wird unbekannt bleiben, doch Refer ist felsenfest überzeugt: Es war ihr Exmann. In diesem Moment entscheidet sie, ihr Zuhause in Deutschland zu verlassen und unterzutauchen. «Ich konnte nicht mehr», sagt die heute 47-Jährige. Die Erinnerung lässt ihre Stimme stocken.

Schon mehrmals hatte sie überlegt, die Koffer zu packen, in den Monaten seit der Trennung. Ihr Exmann habe zu trinken begonnen, das gemeinsame Vermögen habe sich langsam in Luft aufgelöst: «Und dann wollte er Unterhaltszahlungen von mir.»

Als Refer dann mit ihrem Wagen verunfallt, stellt die Polizei fest, dass sich jemand daran zu schaffen gemacht hat. Sie erzählt von Anrufen mitten in der Nacht und von Mails, in denen Dinge stehen wie: «Komm nur zum Gerichtstermin, aber besser nicht allein.» Sie erscheint mit Polizeischutz zur Verhandlung.

Der Traum von der eigenen Hundeschule

«Ich wollte in der Nähe meines erwachsenen Sohnes und meiner kranken Mutter bleiben und war in dem Haus daheim», begründet Refer heute, warum sie damals trotz allem lange blieb. «Ausserdem hatte ich kein regelmässiges Einkommen, mit dem ich hätte losziehen können.» Doch dann waren die Hunde tot – für die Hundetrainerin ein Schock. Sie, die mit Hunden aufgewachsen war, die sich als Kind im Zwinger ihres Schäferhunds versteckt hatte, der sie von der Schule abholte und beschützte, wenn sie daheim Ärger hatte.

Im Frühling 2011 zieht Alexandra Refer in die Schweiz. Sie hofft auf einen Neuanfang. Ein Bekannter nimmt sie auf und bietet ihr einen Teilzeitjob an. Sie ist dankbar für die Beschäftigung und etwas Struktur, beginnt im Büro einer Maschinenbaufirma zu arbeiten. Dort trifft sie auch Treuhänder Patrick Manter wieder, den sie bei früherer Gelegenheit kennengelernt hatte. Langfristig möchte sie wieder mit Tieren arbeiten und zu diesem Zweck eine Firma gründen. «Ich hatte schon immer eine besondere Beziehung zu Tieren, speziell zu Hunden, und möchte mein Wissen an Hundehalter weitergeben.»

FAD soll die GmbH heissen. «Eine Abkürzung für ‹Flucht aus Deutschland›», erklärt Refer. «Das stand für die damalige Situation. Ich fand das sehr passend.»

Aus Angst die Firma nicht selbst gegründet

Ihr Exmann soll aber keinesfalls erfahren, wo sie sich aufhält. Deshalb vereinbart sie mit Manter, dass er ihre Firma über seine eigene gründen soll. Zudem soll er als Treuhänder walten und vorläufig als Geschäftsführer auftreten. So wird es im Handelsregister vermerkt.

Refer gibt Manter das Geld für die Gründung. Rund 30'000 Franken, sagt sie. Für das Konto erstellt Manter ihr später eine Vollmacht. Refer lässt sich darauf die Überstunden auszahlen, die sie bei der Maschinenbaufirma leistet. Sie nutzt das Geld, um Telefonrechnungen und Mieten zu begleichen – und spart für ihren Traum vom Leben als selbständige Hundetrainerin. Laut Refer sind die Abmachungen schriftlich festgehalten, doch auf dem Vertragsexemplar, das die Deutsche besitzt, fehlt die Unterschrift des Treuhänders. Das Original hätten sie in den Tresor in Manters Büro gelegt, wo Refer auch Bargeld, Schmuck sowie ein Schreiben für den Fall ihres Todes deponiert hat. Sie glaubt alles gut aufgehoben.

Dann gerät die Maschinenbaufirma in Schwierigkeiten, kommt in Nachlassstundung. Refer, inzwischen administrative Leiterin, und Treuhänder Manter tun sich zusammen, um sie zu retten. Das ländliche Familienunternehmen hat nur noch eine Handvoll Mitarbeitende, aber Refer glaubt an sie. Die Bilanz wird saniert, der bisherige Verwaltungsratspräsident, Arthur Egler, bietet ihr und Manter je 33 Prozent der neuen Inhaberaktien an. 34 Prozent will er selbst halten. Die beiden schlagen ein. Schliesslich zieht sich Egler aus finanziellen Gründen zurück. Da hätten sie und der Treuhänder beschlossen, diese Tranche zusätzlich zu übernehmen, sagt Refer. «Sobald Arthur wieder bei Kasse wäre, wollten wir ihm die Aktien abgeben.»

«Eine freundschaftliche Beziehung»

Vorerst aber sind sie und Manter mit je 50 Prozent beteiligt. Das zumindest glaubt Refer. Sie lässt Manter ihre Anteile über die FAD zeichnen, bezahlt die 50'000 Franken vom FAD-Konto. Manter erledigt die Zahlung. Er und Refer nehmen neben Egler Einsitz im Verwaltungsrat. Egler wird später ausscheiden. Doch noch passt alles. Refer: «Ich hatte keine Sekunde ein ungutes Gefühl. Wir kannten uns alle drei gut. Patrick lud mich mehrmals zum Abendessen zu sich ein. Wir hatten eine freundschaftliche Beziehung.»

Der Sommer 2013 bringt die Wende – erst zum Positiven. Alexandra Refer einigt sich mit ihrem Exmann. Er unterschreibt einen gerichtlichen Vergleich inklusive Kontaktverbot. Der Frau fällt ein Stein vom Herzen. Die freigesetzte Energie will sie sofort nutzen und sich vermehrt ihrer Idee widmen, mit Tieren zu arbeiten. Sie greift zum Telefon und informiert Manter, dass sie die FAD auf sich überschrieben haben möchte. Die Reaktion stösst die Deutsche vor den Kopf: «Er warf mir vor, ich wolle ihm den Krieg erklären.» Die Stimmung zwischen den Geschäftspartnern und vermeintlichen Freunden kühlt rapide ab.

Zur gleichen Zeit beobachtet Refer, wie externe Personen in der Maschinenbaufirma auftauchen und sich Notizen machen. Laut Refer will Manter damals seine 50-Prozent-Beteiligung verkaufen. Sie schlägt ihm vor, seinen Anteil einem der Angestellten anzubieten, einem jungen Polymechaniker, den sie sehr schätzt. Doch Manter scheint andere Pläne zu haben.

Sie packt notgedrungen ihre Sachen in der Firma und reicht Klage gegen Veruntreuung ein.

Quelle: Kornel Stadler

Dann geht es Schlag auf Schlag, erinnert sich Refer: Manter habe sie aufgefordert, aus dem Verwaltungsrat auszutreten. Sie weigert sich, er reagiert mit einer Verwaltungsratssitzung, in der er Refers Arbeitsverhältnis kündigt, mit seinem Stichentscheid als Präsident. Die beiden Männer, die zuvor in der Produktionsstätte aufgetaucht waren, werden als neue Direktoren eingesetzt. «Als Nächstes wollte er, dass ich ihm meine 50-Prozent-Beteiligung an der Maschinenbaufirma verkaufe; zu einem Preis, der weit unter dem inneren Wert lag», sagt Refer. Nur dann werde er ihr die FAD überschreiben.

Sie weigert sich erneut, und er reagiert umgehend: mit einer Generalversammlung, an der Refer nicht anwesend ist. «Er wählte mich als Verwaltungsrätin ab. Er bezeichnete die Aktien der Maschinenbaufirma, die die FAD hielt, als die seinen – weil er ja offiziell Inhaber der FAD war.»

Aus Manters Sicht ist das alles in Ordnung. Die FAD habe nie mehr als einen Drittel der Maschinenbauaktien besessen, wird er später in der Einvernahme aussagen. Und Refer sei nie finanziell an der FAD beteiligt gewesen.

Sie bricht zusammen

Refer packt in der Maschinenbaufirma notgedrungen ihre Sachen, kündigt den Treuhandvertrag, der laut Einvernahmeaussagen von Patrick Manter gar nie existierte, und reicht Klage ein: wegen Veruntreuung und ungetreuer Geschäftsbesorgung, Urkundenfälschung und Unterdrückung von Urkunden. Die Staatsanwaltschaft wird aktiv, die Polizei durchsucht Manters Büro und seine Wohnung. Dabei tauchen auch Mails auf, in denen der Treuhänder gemäss Einvernahmeprotokoll schreibt: «Refer ist kaltgestellt und abgewählt.» An anderer Stelle notiert er: «strafrechtliches Risiko????».

Refer geht jedes Dokument durch, das sie bekommen kann: Sie vergleicht Kontenblätter, Bilanzen, druckt alle E-Mails aus und sucht nach Unstimmigkeiten. Sie ist überzeugt: «Es gibt sie zuhauf.» Als ihr das Ausmass des Falls und die Konsequenzen bewusst werden, bricht sie zusammen.

Nach der Kündigung erhält sie von der Maschinenbaufirma nur noch teilweise Lohn und weder Lohnabrechnungen noch Krankentaggeld, sagt sie. Bei der Taggeldversicherung erwirkt sie schliesslich, dass ihr Geld direkt ausgezahlt wird. Bei der Arbeitslosenkasse muss sie beweisen, dass sie angestellt war. Sie lebt vom Geld, dass sie sich Monate zuvor vom Konto der FAD überwiesen hat, als sie «das Gefühl bekam, hier stimmt etwas nicht». Ihre Kontovollmacht wird später gesperrt.

Refer ist raus aus der Maschinenbaufirma, ebenso der Ex-Hauptaktionär Arthur Egler. Manter überlässt den beiden neuen Chefs das Zepter. Sie erfährt davon, weil ihr jemand das Protokoll der Sitzung in den Briefkasten steckt. Ihre Vermutung: Er verkauft ihnen auch die Anteile – inklusive jener, die sie ihr Eigen nennt.

«Er wollte die Firma aushöhlen»

Mehrere Monate später geht die Firma erneut in Konkurs. Refer schüttelt den Kopf: «Die Auftragsbestände waren gut, als ich aufhörte.» Sie ist überzeugt: «Das alles war von langer Hand geplant. Manter wollte die Firma aushöhlen.» Die Abklärungen laufen, der Fall wird die Justiz noch eine Weile beschäftigen. Manter will keine Stellung nehmen zum laufenden Verfahren. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Beobachter-Recherchen zeigen: Die Maschinenbaufirma war nicht die erste Firma, in der Manter aktiv war und die in Konkurs ging. Er amtierte auch als einziger Verwaltungsrat einer Modefirma, die Kunden für Kleider bezahlen liess, aber nicht lieferte. Der Geschäftsführer tauchte ab, die Firma ging in Konkurs. Die Geschädigten fühlen sich betrogen. Er habe vom Tun des Geschäftsführers nichts gewusst, sagt Manter damals. Sein Name taucht weiter auf in Zusammenhang mit einem Unternehmen, das für Investitionen in Tropenholz wirbt und hohe Renditen verspricht. Ein Geschäft, das Fachleute äusserst kritisch betrachten.

Alexandra Refer hat sich zurückgezogen. Sie ist froh um ihre Hunde. «Wären sie in den letzten Monaten nicht gewesen, ich weiss nicht, was ich getan hätte», sagt die 47-Jährige. Inzwischen schöpft sie neue Hoffnung. Sie steckt das Arbeitslosengeld in den Aufbau ihrer beruflichen Zukunft. Sie will endlich mit Tieren arbeiten. Und hofft, dass sie die FAD irgendwann doch noch als ihre Firma eintragen lassen kann – und so das eingezahlte Stammkapital ihr gehört. Und sie hofft, zumindest einen Teil der 50'000 Franken wiederzusehen, die sie in die Maschinenbaufirma investiert hat. «Ich könnte das Geld gut gebrauchen.»

*alle Namen geändert