Bea Bakker steigt mit einem mulmigen Gefühl ins Auto an jenem Abend im März. Sie weiss nicht, was sie erwartet, ist auf alles gefasst. Was hat er nun wieder vor?

Zusammensitzen, vernünftig miteinander reden, das wolle er, hat der Ex gesagt. Es habe doch keinen Sinn so. Stimmt. Es hat keinen Sinn, dass sie seit über einem Jahr nur noch via Anwalt kommunizieren. Keinen Sinn, dass er zwar die Hypothek fürs Haus bezahlt, aber keinen Rappen Unterhalt. Dass er ihr mit dem Rauswurf aus dem Haus droht, den Leasingvertrag fürs Auto kündigt, seinen Urlaub mit den Kindern an unbekanntem Ort eigenmächtig verlängert. Dass die Kinder ihren Vater so selten sehen und dass bei den Übergaben künftig auch noch ein Beistand dabei sein soll. Man muss vernünftig werden, sich in die Lage der Kinder versetzen, versuchen, aus dieser Spirale herauszukommen. Daher hat sie eingewilligt ins Treffen.

Doch lässt es sich überhaupt noch vernünftig miteinander reden, nach allem, was war? Trennung ohne Tragödie: Geht das?

Bea Bakker fährt ins Nachbardorf, wo man sich verabredet hat. Neutrale Zone. Danny Bakker sitzt schon da. Seinem Friedensangebot traut sie nicht. Bevor sie sich setzt, macht sie eine klare Ansage: «Ich sage dir, wenn du wieder laut wirst und ausflippst, bin ich schneller weg, als du gucken kannst.»

Bea und Danny Bakker mit Kindern.

Quelle: Christian Schnur

Ein denkbar schlechter Einstieg in ein versöhnliches Gespräch. Und etwas, was die Zuger Trennungsberaterin Yve Köchli häufig erlebt. In ihrem Büro fliegen auch mal die Fetzen zwischen ratsuchenden Paaren. Gefühle, die lange unterdrückt wurden und unausgesprochen blieben, treten plötzlich zutage, laut und ungestüm. Tränen fliessen. Köchli ist Schiedsrichterin in einem wilden Pingpong von Anschuldigungen und Drohungen und oft die Einzige, die dabei einen kühlen Kopf bewahrt. «Manchmal muss ich auch unterbrechen, mit den beiden an die frische Luft gehen, um wieder an einem anderen Punkt neu ansetzen zu können», sagt sie.

Den Verstand einschalten

Yve Köchli hat selber eine Scheidung hinter sich. Die 47-jährige Mutter von zwei Söhnen war als Eventmanagerin in der Kommunikationsbranche tätig. Vor vier Jahren stiess sie auf eine Anzeige der Vereinigung für gemeinsame Elternschaft (Gecobi), die eine neue Ausbildung zur Trennungsberaterin anbot. «Das war genau das, was ich gebraucht hätte bei meiner eigenen Trennung: jemanden, der über alle rechtlichen Dinge Bescheid weiss und einen zugleich auf der menschlichen Ebene unterstützt.»

Seit zwei Jahren tut Köchli nun genau das und berät Paare vor, während oder nach der Trennung. Ein Hauptziel dabei: Konflikte vernünftig austragen, Rosenkriege vermeiden. «Hauptsächlich bin ich Dolmetscherin», sagt sie. Meist hapere es nämlich mit der Kommunikation: «Frauen haben die Tendenz, nicht das zu sagen, was sie effektiv meinen. Sie erwarten aber, dass der Mann sie versteht, was dann eben meistens nicht der Fall ist.» So reden Männlein und Weiblein stundenlang aneinander vorbei. Er droht, den Geldhahn zuzudrehen, sie unterläuft das Kinder-Besuchsrecht, ein Machtmittel gegen das andere.

Wie bringt man Paare, die derart zoffen, zur Vernunft? «Meist reicht es, konsequent darauf hinzuweisen, wenn die Kinder instrumentalisiert werden. Oft ist das den Betroffenen gar nicht bewusst», sagt Yve Köchli. Fast immer helfe zudem, auf die finanziellen Folgen einer Scheidung hinzuweisen. «Viele merken erst, was bleibt und was man hat, wenn man es ihnen einmal vorrechnet. Sie schauen dann mit grossen Augen auf die Flipchart.» Eigentlich laufe vieles über den gesunden Menschenverstand. «Meine Aufgabe ist es, die Emotionen aus- und den Verstand sowie die Vernunft wieder einzuschalten.»

Bei Danny Bakker macht es eines Tages einfach klick. Er hat sich immer eine kleine, intakte Familie gewünscht. Und jetzt? Er lebt in einer WG mit einem Kumpel. Seine beiden Töchterchen, die er über alles liebt, sieht er kaum mehr – oder jedenfalls viel zu selten. Weil er als Restaurantbesitzer einfach zu viel arbeitet. Und weil Bea zu wenig flexibel ist. Schon als sie noch zusammen sind, hat er immer das Gefühl, ein Aussenseiter zu sein in der eigenen Familie. Für sie kommen immer zuerst die Kinder und dann lange, lange nichts mehr. Jetzt droht er definitiv von der Bildfläche zu verschwinden. Sie gehen sich aus dem Weg, die Kinder sind verwirrt. Einmal, als sie ihn von weitem am Dorffest sahen, trauten sie sich nicht mal richtig, zu ihm hinzugehen.

Nun fechten die Anwälte um Unterhalt und Besuchsrecht, ein Richter wird entscheiden müssen, wer wem wie viel schuldet. Die Sache mit dem Auto, die SMS, in denen er ihr drohte, die Hypothek zu kündigen, die Alimente, die zu zahlen er sich weigert – aus Wut, Frust und Verzweiflung.

Nein, so kann es nicht weitergehen. Man hat diese Kinder aus Liebe gezeugt. Es muss sich etwas ändern. Deshalb will Danny Bakker endlich mit ihr reden, vernünftig, von Angesicht zu Angesicht und ohne böse Worte. Als Bea ihn zurechtweist, noch bevor sie sich überhaupt setzt, muss er erst einmal leer schlucken.

Nicht auf jede Provokation reagieren

 

«Bei vielen scheitern gute Gespräche an der Unfähigkeit, dem anderen zuzuhören», stellt Trennungsberaterin Yve Köchli fest. «Jeder verkrampft sich so auf seine eigenen Argumente, dass er gar nicht mehr auf das Gegenüber eingehen kann.»

Situationen, die auch Daniel Marthaler und Valerie Röllin vor, während und nach ihrer Scheidung erlebten. «Man darf nicht auf jede Provokation sofort reagieren. Gewisse Dinge lässt man besser erst einmal sacken», sagt Daniel Marthaler. Auch Valerie Röllin musste lernen, das Temperament zu zügeln. «Man sollte immer zuerst einmal tief durchatmen, bevor man antwortet, sei es im Gespräch oder per SMS», sagt sie.

Die Ehe der beiden scheiterte vor sieben Jahren. Eine schwierige Trennung für beide. Für sie, weil sie diejenige war, die ging – und damit diejenige, die die Familie spaltete. Für ihn, weil er das schon einmal erlebt hatte. «Ich wollte unbedingt das gemeinsame Sorgerecht und die geteilte Obhut über unsere Kinder», so Daniel Marthaler. «Ich habe schon meine Tochter aus erster Ehe nicht aufwachsen sehen.»

Zuerst lief es eigentlich ganz gut. Streiten wollten beide nicht. Sie wickelten alles mit einem gemeinsamen Anwalt ab, um die Konvention korrekt auszuarbeiten. Sie einigten sich auf ein 50:50-Modell: Die Kinder lebten eine halbe Woche bei ihr, eine halbe Woche bei ihm.

Daniel Marthaler mit Nancy.

Quelle: Christian Schnur

Die Unterhaltskosten teilten sie sich je nach Einkommen, sie erhöhte ihr Arbeitspensum auf 80 Prozent. Wichtige Entscheidungen, die die Kinder betrafen, fällte man zusammen. Knatsch gab es zuerst nur wegen der Auszahlung für das Haus, das sie gebaut hatten. Doch auch dafür gab es am Ende eine Lösung.

Die harten Diskussionen gingen erst nach der Scheidung los. Und es ging eigentlich immer ums Geld. «Die Alimente reichten hinten und vorn nicht. Er hat keine Ahnung, was Kinder wirklich kosten, wenn sie älter werden und man den Alltag bestreiten muss», sagt sie. «Sie glaubte, ich lebe auf grossem Fuss, weil ich den Kindern Tennisunterricht bezahlte und mit ihnen in die Ferien fuhr. Dabei habe ich mir alles vom Mund abgespart», sagt er. Irgendwann ging auch die Sache mit dem Wechselmodell nicht mehr richtig auf: Der Sohn beklagte sich zunehmend über das ständige Hin und Her und wollte bei der Mutter wohnen, die Tochter stritt immer häufiger mit der Mutter und wollte lieber ganz zum Vater ziehen. So musste für alles eine neue Lösung her.

Von der einstigen Einigkeit nach der Trennung blieb wenig übrig. «Ich war nahe dran, mir einen Anwalt zu nehmen», sagt Röllin. «Ich dachte, jetzt kommts doch noch zum Rosenkrieg», erzählt Marthaler. Wie schafft man es, da herauszufinden? Röllin und Marthaler suchten Rat bei der Familienberatungsstelle.

Valerie Röllin mit Remy.

Quelle: Christian Schnur

Dort brachte man ihn dazu, auszusprechen, was sonst nur in der Luft lag. Und sie hielt man davon ab, einfach aus dem Gespräch zu laufen, wenn sie es nicht mehr aushielt. «Mir hat es sehr geholfen, dass da eine neutrale Drittperson war. Man hält die Emotionen automatisch etwas zurück und lernt, auch das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen», sagt Valerie Röllin.

Vor wenigen Monaten unterzeichneten sie und Daniel Marthaler eine neue Regelung: Künftig zahlt er keine Kinderalimente mehr, sondern sie ihren Anteil an ihn. Er bestreitet dafür alle Ausgaben. Der Sohn lebt bei ihr, die Tochter bei ihm. «Das Wichtigste ist, auch wenn man streitet, immer erst an die Kinder zu denken», sagt sie.

Man muss es gemeinsam schaffen

Sicher ist: Es gibt kein Patentrezept dafür, wie man die Konflikte und Verletzungen, die man als Paar erlebte, trennen kann von allem, was die Kinder betrifft. Den einen Schalter, mit dem man den Verstand ein- und die Gefühle ausschalten kann, hat auch Trennungsberaterin Yve Köchli noch nicht gefunden. «Wenn man aber die Kinder mehr liebt als man den Expartner hasst, kann man es gemeinsam schaffen», ist sie überzeugt. Manchmal kommt es sogar vor, dass sich Paare bei ihr wiederfinden, statt auseinanderzugehen. «Sie sprechen plötzlich Dinge aus, über die sie nie gesprochen haben, und lernen einander neu kennen», erzählt Köchli.

«Ich will keinen Streit mehr, ich werde nicht laut, bitte setz dich», sagt Danny Bakker bei jenem Treffen mit Bea. Innerlich bebend vor Aufregung, äusserlich ruhig. Sie spürt, dass er es ernst meint. Die Angst verfliegt. Drei Stunden lang reden sie endlich über alles Geschehene, ihre Gefühle, ihre gescheiterte Beziehung und darüber, wie unsinnig es ist, sich zu bekriegen.

Drei Stunden, die alles verändern. Der Termin beim Gericht, dem beide entgegengefiebert haben, ist plötzlich nicht mehr wichtig. Was dort später entschieden würde, wer recht erhielte und wer nicht, interessiert nicht mehr. Sie haben einen Weg gefunden. Sogar gemeinsame Sonntagsausflüge liegen wieder drin. Nicht als Paar, aber als Eltern. Und auch wenn Bea Bakker dem Frieden noch nicht immer ganz traut, ist sie doch zuversichtlich. «Wir sind auf einem guten Weg, wir schaffen das – mit Ehrlichkeit, Respekt und Rücksicht auf die Bedürfnisse der Kinder.»

Anlaufstellen gegen die Eskalation

Eine Trennung oder eine Scheidung fordert die ganze Familie heraus. In den meisten Fällen kommt es zwar nicht zu einer Kampfscheidung. Doch auch für Paare, die sich einvernehmlich trennen, ist es oft schwierig, als Eltern weiterhin ein Team zu bleiben. Folgende Institutionen und Angebote können Expaare dabei unterstützen:

  • In vielen Kantonen gibt es Jugend- und Familienberatungsstellen, die unter anderem auch beim Ausarbeiten einer Scheidungskonvention helfen.

  • Das Marie-Meierhofer-Institut für das Kind Zürich bietet Beratungen an, wie man auf die Bedürfnisse der Kinder im Scheidungsprozess eingeht.

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