Die Geschichte begann 2012. Zufällig entdeckte der Bund in einer Kalbfleischprobe eine hohe Konzentration polychlorierter Biphenyle (PCB). Ein heute weltweit verbotener Zusatzstoff für Baumaterialien und Kühlflüssigkeiten. PCB ist hochgiftig Gesundheit «PCB ist toxisch – räumen wir auf!» , kann hormonell gesteuerte Krankheiten wie Brustkrebs und Prostatakrebs auslösen und die Fortpflanzung von Mensch und Tier gefährden.

Statt in der Sondermülldeponie landete die Industriechemikalie PCB auf dem Teller. Nach monatelanger Suche auf dem betroffenen Bündner Hof war die Ursache im Februar 2014 endlich gefunden: die Stallwand, die in den siebziger Jahren mit PCB-haltiger Farbe gestrichen worden war. Die Mutterkühe frassen Farbsplitter oder rieben sich an der Wand. Über die Milch gaben sie das Gift an ihre Kälber weiter. Im Fleisch wurde der Grenzwert teils fast um das Fünffache überschritten. Wie viel kontaminiertes Kalbfleisch verkauft wurde, ist unbekannt.

Bericht elegant versteckt

Die Öffentlichkeit erfuhr nichts von alledem. Vor zwei Jahren versenkte der Bund einen Kurzbericht dazu still und leise auf seiner Website. Nur wer davon weiss, findet ihn. Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz, vermutet Absicht dahinter: «Wer nicht informiert, schreckt die Bevölkerung nicht auf und steht dann entsprechend weniger unter Druck, Massnahmen zu ergreifen.» Dabei sei es wichtig, bekannte Quellen rasch zu eliminieren. «Angesichts der fatalen Folgen einer PCB-Verunreinigung von Tieren und tierischen Produkten für Konsumentinnen und Konsumenten müssen alle Beteiligten diese Gefahr sehr ernst nehmen», fordert Stalder.

Bis heute hat der Bund aber keine weiteren Ställe kontrolliert und saniert. Entstanden ist dafür das Dokument «Nationale Strategie zu PCB in tierischen Lebensmitteln von Nutztieren». Im Sommer will das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) den Bericht veröffentlichen. Bis dahin will man sich nicht zu den Massnahmen äussern.

 

«Man darf nicht von Anfang an sagen, die Sanierungsmassnahmen seien nicht finanzierbar.»

Kurt Seiler, Chef des Interkantonalen Labors Schaffhausen

 

Doch schon jetzt gibt es Widerstand gegen das Strategiepapier. Einer der Kritiker gehörte der BLW-Arbeitsgruppe an: Kurt Seiler, Chef des Interkantonalen Labors Schaffhausen. Die Massnahmen seien «zu diffus und zu wenig konkret», sagt er. Und: «Man darf nicht von Anfang an sagen, sie seien nicht finanzierbar.»

In einer Stellungnahme, mitverfasst von Seiler, fordern der Verband der Kantonschemiker und die kantonalen Umweltschutzdirektoren eine flächendeckende Untersuchung: «In freiwilligen Pilotkantonen sollen Punktquellen im Rahmen eines Monitorings identifiziert und inventarisiert werden.» Davon ausgehend seien «risikobasierte und wirkungsorientierte Massnahmen» notwendig. Der Bund müsse sie finanziell unterstützen.

PCB-Belastung verschwindet vermutlich nicht von selbst

Grundsätzlichen Handlungsbedarf sieht auch der Bauernverband. Aufgeschreckt durch die Recherchen des Beobachters, erklärt man dort: «Die Einschätzung ist vermutlich überholt, dass die PCB-Belastung mit der Zeit von selber abnehmen und irgendeinmal ganz verschwinden wird.» Ziel müsse sein, einen Überblick über die Situation zu gewinnen, PCB-Quellen gezielt zu eruieren und zu eliminieren. Deshalb wolle der Bauernverband jetzt das Gespräch mit dem Bund suchen.

«Es ist uns ein Anliegen, dass alles Notwendige unternommen wird, um die Sicherheit unserer Lebensmittel zu gewährleisten», sagt Sprecherin Sandra Helfenstein. Doch nicht um jeden Preis, macht der Bauernverband klar: «Vor weiteren Untersuchungen muss definiert werden, wer Sanierungen bezahlt und wie man das Überleben betroffener Betriebe sichern kann.» Die Bauern treffe keine Schuld, PCB-haltige Materialien seien früher ja legal gewesen. Die Sanierungskosten müssten deshalb die Hersteller oder die öffentliche Hand übernehmen, aber bestimmt nicht die Bauern.

Das Gift, das man vergessen möchte

PCB verursacht Krebs. Der Stoff ist seit Jahrzehnten verboten. Aber immer noch weit verbreitet. Die Behörden schauen zu.

zur Titelgeschichte vom März 2018

Bund gibt Schwarzen Peter weiter

Der Bündner Hof dürfte kein Einzelfall sein. Es gelangt wohl weiterhin Fleisch in den Verkauf, das mit PCB verseucht ist. Trotzdem will niemand etwas dagegen tun, solange eine Frage nicht beantwortet ist: Wer zahlt die Sanierung der kontaminierten Ställe? Diese Frage ist seit vier Jahren der Grund, warum nichts passiert. 

Laut Experten kostet eine Sanierung inklusive Gebäudecheck je nach Aufwand mehrere 10'000 Franken – pro Bauernhof. Beim Bündner Fall war es deutlich mehr: Knapp 270'000 Franken, schreibt das Bündner Amt für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit. Der Kanton übernahm einen Grossteil der Kosten. Es habe sich um ein aufwendiges Pilotprojekt gehandelt, und man habe Erkenntnisse für künftige Fälle gewinnen wollen.

Die Kantone wollen nicht zahlen, die Bauern können nicht, weil ihnen das Geld fehlt. Da bleibt eigentlich nur noch der Bund. Aber das Bundesamt für Landwirtschaft will sich im Moment nicht äussern. Es hält bloss fest, dass die Besitzer für ihre Häuser verantwortlich seien. Damit spielt das Amt den Ball an die Bauern zurück. Für Bauherren gelte seit 2016 die Pflicht, bei Umbau oder Abriss eines vor 1990 erbauten Gebäudes ein Bauschadstoffscreening durchzuführen, so Sprecher Jürg Jordi. «Diese Pflicht gilt auch für landwirtschaftliche Gebäude.»

200 Tonnen PCB in Schweizer Gebäuden

Von allein wird sich das Problem aber nicht lösen. 2004 hat sich der Bund in der Stockholm-Konvention dazu verpflichtet, bis 2028 sämtliche PCB-haltigen Materialien zu eliminieren. Doch gemäss Angaben der ETH schlummern noch immer mehr als 200 Tonnen PCB in Gebäuden – niemand weiss, wo genau. Das erhöht das Risiko chronischer Belastung.

Nicht nur Stallwände können Lebensmittel verseuchen, PCB-Quellen sind auch Dächer. Das legt ein Fall aus den Niederlanden nahe. 2012 entdeckten holländische Forscher per Zufall PCB in Eiern. Das Gift stammte vom Dach eines Hühnerstalls, der in den siebziger Jahren gebaut worden war. Es war mit dem Regen in den Auslaufhof gespült worden.

Der wohl grösste PCB-Fall wurde 1999 in Belgien aufgedeckt. Falsch entsorgte PCB-Kühlflüssigkeit gelangte unbemerkt in Tierfutter. Mit desaströsen Folgen: Mehr als 500 Geflügel- und Fleischbetriebe mussten geschlossen, 400'000 Tonnen Nahrungsmittel entsorgt werden.

Forscher der ETH und der Empa, die den Bündner Fall aufgearbeitet haben, warnten schon letztes Jahr: «Viele Ställe könnten mit PCB-haltigen Materialien kontaminiert sein.» Ohne Kontrolle landen wohl auch künftig PCB-verseuchte Lebensmittel auf unseren Tellern. Wie viel, weiss niemand.

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Matthias Pflume, Leiter Extras
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