Diese Milch kommt nicht im Tetrapak daher. Sondern im Glas. Die robuste Literflasche ist zu einer Ikone geworden. Sie steht für die Solidarität der Westschweizer Konsumenten mit den darbenden Bauern.

Fr. 1.90 kostet der Liter «faire Milch». Auf dem Preisschild sehen die Kunden, wie sich das zusammensetzt: 35 Rappen gehen an den Laden, 55 an die Käserei, die die Milch pasteurisiert. Einen Franken erhält der Bauer. Ein Preis, von dem andere Bauern träumen. Knapp doppelt so viel, wie die Grossverteiler ihren Milchlieferanten im Schnitt zahlen. Wenn alle Bauern so viel für ihre Milch erhielten, wäre die Krise der Schweizer Landwirtschaft zum grossen Teil gelöst.

Die Produzenten bestimmen selbst den Preis

Der glückliche Bauer heisst Jonathan Nicolet. Im Yverdoner Lebensmittelgeschäft «La Ferme» verkauft er seine Milch seit rund zehn Jahren. Er hat etwas ausserhalb, in Lignerolle, mit seinem Vater einen mittelgrossen Hof. 70 Kühe weiden auf ihren Wiesen.

Der Laden «La Ferme» in der Altstadt Yverdons gehört Roy Gérard, er hat ihn vor 20 Jahren eröffnet. Gérard ist selber Bauer. In seinem Geschäft will er regionale Produkte zu Preisen anbieten, von denen alle profitieren. Er, die Bauern und die Kunden. «Zu uns kommen Konsumenten, die das klassische Verkaufssystem verlassen. Die gute Qualität suchen, regionale Produkte schätzen und sicher sein wollen, dass sie einen fairen Preis bezahlen.» Ein fairer Preis heisst für Gérard: ein Preis, von dem die Bauern leben können. 

Bei ihm bestimmen die Produzenten selbst, was ihr Produkt kosten soll. Preislich könne er dennoch gut mit den Grossverteilern mithalten. «Ich gebe kaum Geld für Werbung aus. Und die Transportwege sind kurz. Darum kann ich auch tiefere Margen verlangen.»

«Die Grossverteiler sind nicht bereit, die Preise zu erhöhen oder ihre Margen zu senken.»

 

Jonathan Nicolet, Milchbauer

Für Bauer Jonathan Nicolet wird das Ganze immer mehr zum guten Geschäft. Zu Beginn verkaufte er pro Woche rund 50 Flaschen. Bis die Nachfrage über Nacht explodierte. Im Februar hatte das welsche Fernsehen über Bauern berichtet, die sich das Leben nehmen. Mit ein Grund dafür sollen die tiefen Milchpreise sein.

Ein Kunde der «Ferme» sah die Sendung. Er rief auf Facebook zum Kauf von Nicolets Milch auf. «Es gibt Alternativen zu den miserablen Preisen der Grossverteiler», schrieb er und nannte die «Ferme» in Yverdon mit ihrem Franken pro Liter für den Bauern. «Das mag wie ein kleiner Unterschied wirken, aber wenn wir nichts tun, wird sich nie etwas ändern.»

Sein Aufruf verbreitete sich quer durch die Westschweiz, wurde mehr als 1500-mal geteilt. Eine lokale Zeitung berichtete über das Verkaufsmodell. Und in der «Ferme» explodierte die Nachfrage. Inzwischen verkauft Nicolet pro Woche 250 Liter, Tendenz weiter steigend.

Konsumenten bevorzugen regionale Produkte

Vor dem Regal stehen zwei junge Männer und heben eine Flasche Milch in den Korb. Die beiden studieren in Neuenburg und kommen regelmässig hierher für ihren Einkauf. Es sei ihnen wichtig, dass die Bauern vom bezahlten Preis überleben können. Dafür nehmen sie den etwas längeren Weg gern in Kauf.

Welches Potenzial regionale Produkte für die Landwirtschaft haben, zeigt eine Ende März erschienene Studie der Universität St. Gallen. Sie belegt, dass ein Grossteil der Konsumenten regionale Produkte bevorzugt und auch bereit ist, dafür einen entsprechend höheren Preis zu bezahlen. «Regionalprodukte sind für viele Erzeuger eine Chance, sich aus dem staatlichen ‹Subventionsmeer› zu lösen und eigene Vermarktungskompetenzen aufzubauen und zu nutzen», schreiben die Autoren.

Jonathan Nicolet hat die Regionalität zum Geschäft gemacht. Der grösste Teil seiner Milch, rund 600'000 Kilo pro Jahr, fliesst in die Produktion des regionalen Greyerzer Käses. Damit verdient er weniger als mit der Trinkmilch, aber immer noch deutlich mehr als den Durchschnittspreis für verkäste Milch.

Die Arbeit wird deshalb nicht weniger. In der Regel hat Nicolet im Monat zwei freie Tage und eine Woche Ferien pro Jahr, sagt er. «Dennoch, uns geht es als Milchbauern gut.» Viele seiner Kollegen können das nicht behaupten. Für ihn ist klar, wer die Mitschuld dafür trägt. «Die Grossverteiler sind nicht bereit, die Preise zu erhöhen oder ihre Margen zu senken.»

«Ich bin überzeugt, dass der Konsument grundsätzlich bereit wäre, mehr für die Milch zu bezahlen.»

 

Martin Rufer, Bauernverband

Und was meint der Bauernverband dazu? Wird der direkte Verkauf zum Rettungsanker für den Bauernstand? «Die Direktvermarktung ist grundsätzlich eine Variante, die für einzelne Betriebe durchaus sinnvoll sein kann», sagt Martin Rufer, Leiter Produktion, Märkte und Ökologie.

«Ich bin aber auch überzeugt, dass wir auch bei der Vermarktung über die ‹normalen› Absatzkanäle, das heisst über den Detailhandel, die Preise für die Landwirte verbessern müssen. Ich bin überzeugt, dass die Konsumentinnen und Konsumenten grundsätzlich bereit wären, mehr für die Milch zu bezahlen – wenn sie die Zusicherung hätten, dass der Mehrpreis der Landwirtschaft zukommt.»