Die Lobbyisten der Rüstungskonzerne haben ganze Arbeit geleistet: Wie Mitte Juni bekannt wurde, will der Bundesrat die Regeln für Kriegsmaterialexporte lockern. Auch in Länder mit internen bewaffneten Konflikten sollen Schweizer Rüstungskonzerne künftig exportieren dürfen.

2008 waren die Regeln für Waffenexporte wegen einer drohenden Volksinitiative der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA noch verschärft worden. Vor vier Jahren weichte das Parlament die restriktive Praxis auf. Unter anderem wurde die Beweislast umgekehrt: Die Schweizer Regierung musste fortan den Beweis erbringen, dass die zu liefernden Waffen mit hoher Wahrscheinlichkeit für Menschenrechts-Verletzungen verwendet würden, um eine entsprechende Ausfuhr zu untersagen. 

Und nun steht eine erneute Lockerung bevor. Das Wirtschaftsdepartement arbeitet derzeit im Auftrag des Bundesrats eine entsprechende Verordnungsänderung aus. Aber darf ein neutrales Land aus wirtschaftlichem Interesse Waffen in Kriegsgebiete liefern? Experte Laurent Goetschel findet die Argumentation des Bundesrates zweifelhaft.

Beobachter: Der Bundesrat betont, man würde keine Waffen in Bürgerkriegsländer wie Jemen oder Syrien liefern. Aber in welche Länder wären denn Exporte neu erlaubt?
Laurent Goetschel: Grundsätzlich in alle – also auch nach Syrien und in den Jemen, auch wenn der Bundesrat sagt, er würde dies nicht tun. Weitere Beispiele sind Myanmar, Libyen, Südsudan und Somalia.

Beobachter: Darf man das als neutrales Land?
Goetschel: Streng genommen ist die Neutralität nur gegenüber zwischenstaatlichen Konflikten definiert. Die Schweiz hat aber in der Vergangenheit davon abgesehen, Waffen an Regierungen zu liefern, die sich in bewaffneten internen Konflikten befanden. Diskussionen entstanden jedoch mehrfach im Zusammenhang mit Gütern, die auch militärische Verwendung finden konnten, sogenannte «Dual-Use-Güter». 


Beobachter: Was sind «Dual-Use-Güter»?
Goetschel: Mit Dual-Use sind Güter gemeint, die sowohl zivil wie auch militärisch Verwendung finden können. Typisch sind hierfür gewisse technologische Güter, z. B. Kommunikation, Überwachung, oder auch chemische Substanzen, die unter anderem zur Herstellung entsprechender Waffen verwendet werden können. Der Umgang damit ist im Güterkontrollgesetz (GKG) geregelt. Darunter fallen auch sogenannte «besondere militärische Güter» wie beispielsweise das Schweizer Trainingsflugzeug PC7, das ebenfalls mit Trägervorrichtungen für Waffen versehen werden kann. Hierzu gab es vor mehreren Jahren heftige politische Debatten, weil solche Flugzeuge im Bürgerkrieg im Sudan auftauchten und in Mexiko gegen die Zivilbevölkerung in Chiapas eingesetzt wurden. 

Beobachter: Verletzt man die Neutralität auch dann, wenn man beide Seiten eines Konflikts mit Waffen beliefert? 
Goetschel: Die Neutralität untersagt die Bevorzugung einer Kriegspartei. Theoretisch dürften beide Seiten eines Konfliktes mit Waffen beliefert werden. Dies wäre aber nicht im Sinn und Geist der Neutralität. In der Vergangenheit hat die Schweiz Kriegsparteien nur unter Zwang mit Waffen beliefert, zum Beispiel Deutschland im Zweiten Weltkrieg.

Beobachter: Die Rüstungsindustrie sorgt sich um ihre Arbeitsplätze. Ist das nur ein Vorwand, um das Exportverbot aufzuweichen?

Goetschel: Der weitaus grösste Anteil der Schweizer Rüstungsexporte geht nicht in Konfliktgebiete. Daher ist dieses Argument wenig überzeugend. 

Beobachter: Lässt sich der Bundesrat von der Rüstungslobby instrumentalisieren?
Goetschel: Im Verhältnis zu ihrer wirtschaftlichen Bedeutung gehört die Rüstungslobby sicher zu den politisch einflussreicheren Gruppen. 


Beobachter: Was ist mit Ländern, die zwar keine Kriege führen, aber wo Waffen trotzdem missbräuchlich eingesetzt werden? Wo zieht man die Grenze und was sind rote Linien, die man nicht überschreitet? 
Goetschel: Das ist eine politische Frage. Wenn man Waffen exportiert, muss man grundsätzlich immer davon ausgehen, dass diese eines Tages verwendet werden. Neben der Regierung, die Genehmigungen erteilt, sollten auch Unternehmen ihren Ruf berücksichtigen. Für ein halbstaatliches Unternehmen wie die Ruag gilt dies in doppeltem Sinne.

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Laurent Goetschel ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Basel und Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung swisspeace.

Beobachter: Nach welchen Kriterien entscheidet man, ob ein Land für Waffenlieferungen unproblematisch ist?
Goetschel: Es ist eine Abwägung wirtschaftlicher und politischer Interessen. Es geht aber auch um das Ansehen der Schweiz. 
    
Beobachter: Kommt es auch darauf an, wer die Konfliktparteien sind? Sprich: Gibt es einen Zweck, der die Mittel heiligt?
Goetschel: Die Vorgaben der Neutralität sind nicht an die Identität der Konfliktparteien gebunden. Es sind politische und Reputationsfragen, die den Ausschlag geben.

Beobachter: Sie erwähnen wirtschaftliche Interessen, politische Fragen und die Reputation. Aber was ist mit Moral? 
Goetschel: Aussenpolitik ist Interessenspolitik. Wenn ein Land beschliesst, dass die Verteidigung der Moral Bestandteil seiner Interessen ist, sollte diese in die jeweiligen aussenpolitischen Entscheidungen miteinbezogen werden. Die Schweiz bezeichnet sich als ein Land, das der Verteidigung der Menschenrechte, der Förderung der Demokratie und der friedlichen Beilegung von Konflikten eine besondere Bedeutung beimessen will. Das ist in der Bundesverfassung und in weiteren offiziellen Grundlagen nachzulesen. Da kann man sich zurecht fragen, ob die Lockerung der Bestimmungen für den Export von Waffen diesen Zielen zuträglich ist.  

Beobachter: Was ist mit den wirtschaftlichen Interessen?
Goetschel: Ihre Wahrung ist auch ein aussenpolitisches Ziel der Schweiz. Somit kommt es zwangsläufig zu einer Güterabwägung. Jedoch trägt die Rüstungsindustrie erwiesenermassen sehr wenig zum wirtschaftlichen Wohlergehen der Schweiz bei. Daher steht die Argumentation des Bundesrates zur Rechtfertigung der Lockerung der Waffenexportbestimmungen auch in einer politischen Gesamtschau auf sehr schwachen Füssen. 

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