Familie Zogg bezog 1995 ihr Haus oberhalb von Buchs SG mit Blick übers Rheintal. Ein Jahr später begann ihr Nachbar mit dem Bau seines Hauses. Kurz vor Aufnahme der Arbeiten meldete sich ein Ingenieurbüro bei Zoggs, um im Auftrag des Nachbarn ein Rissprotokoll aufzunehmen. «Selber wären wir nicht auf die Idee gekommen», sagt Gustav Zogg, «obwohl wir wussten, dass der Aushub hier im Felshang nur mit Abbauhammer und Sprengungen möglich ist.» Das Risiko, dass das eigene Haus Schaden nehmen könnte, war also beträchtlich.

Abgesehen von ein paar kleinen Rissen fand der Ingenieur keine bestehenden Schäden. Doch schon kurz nach Beginn der Felsabbauarbeiten hatten Zoggs ein ungutes Gefühl: Wegen der Vibrationen des Abbauhammers fiel eine Holzbeige auf ihr Auto. Die Haftpflichtversicherung des Nachbarn bezahlte den Schaden.

Bald genügte der Abbauhammer jedoch nicht mehr, und die Bauarbeiter griffen zu Sprengstoff. «Bei fast jeder Detonation hat unser Haus gezittert, und mehr als einmal fiel ein Teller in der Vitrine um», erinnert sich Irene Zogg. Zusätzlich zeigten sich im Keller und im Wohnzimmer feine Risse. «Als der Ingenieur nach Ende der Arbeiten wieder kam, um ein zweites Protokoll aufzunehmen, ging ihm nach kurzer Zeit das Filmmaterial aus.» Das Rissprotokoll umfasste schliesslich mehrere Seiten.

Für sicheres Bauen brauchts Distanz



Schwere Arbeiten an der Baugrube – wie auf Zoggs Nachbargrundstück – führen immer wieder zu Schäden an bestehenden Bauten. «Gemäss Untersuchungen aus Deutschland ist in 41 Prozent der Fälle eine offene Baugrube für Schäden an Nachbarbauten verantwortlich», sagt Jan Laue, Bauingenieur und Dozent am Institut für Geotechnik der ETH Zürich. Risse sowie Senkungen und Hebungen von Gebäudeteilen sind typische Schäden.

Heikel wird es, wenn die Baustelle knapp neben Häusern zu stehen kommt. Als Faustregel für sicheres Arbeiten gilt eine Distanz, die der doppelten Tiefe der Baugrube entspricht: Bei einer drei Meter tiefen Grube genügen also sechs Meter Distanz. Ist sie kleiner, müssen Sicherungsmassnahmen getroffen werden. Gefährdet sind Nachbargebäude vor allem dann, wenn es nicht bei einem einfachen Aushub bleibt: «Grundwasserabsenkungen, Sprengungen oder das Einrammen von Pfählen bergen ein Risiko für umliegende Bauten», sagt Konrad Moser, Ingenieur bei der Henauer Gugler AG in Zürich.

Entstehen Schäden, ist die Haftung klar: Gemäss Zivilgesetzbuch ist der Besitzer des Baugrundstücks verantwortlich, dass Nachbargebäude unversehrt bleiben. «Kommt es trotzdem zu Schäden, muss der bauende Grundstücksbesitzer dafür geradestehen», sagt Raymond Stark vom Büro für Baurechtsfragen in Erlenbach. Voraussetzung ist, dass die Schäden einen direkten Zusammenhang mit den Arbeiten am Neubau haben. Bester Beweis ist ein Rissprotokoll (siehe «So sichern Sie sich ab»). Darin werden alle vor Baubeginn sichtbaren Schäden dokumentiert. Das hat nicht nur für den Besitzer einer bestehenden Liegenschaft Vorteile, sondern auch für den Bauherrn: «Erst wenn nebenan gebaut wird, stechen einem Risse am eigenen Gebäude ins Auge. Oft handelt es sich aber um lange bestehende Schäden, die nie aufgefallen sind», sagt Konrad Moser.

Widersprüchliche Aussagen



Kommt es zu Schäden, die nachweisbar auf den Neubau zurückzuführen sind, zahlt im Normalfall die Haftpflichtversicherung des Bauherrn. Dass dem allerdings nicht immer so ist, musste Familie Zogg erfahren: Trotz dem Rissprotokoll haben sie bis heute keine Entschädigung erhalten. Stattdessen sammelten sich Gerichts- und Anwaltskosten von mehreren zehntausend Franken an. Wie das? Die Basler Versicherung, bei der Zoggs Nachbar die Bauherrenhaftpflicht abgeschlossen hatte, weigerte sich, die Schäden zu bezahlen, da sie «vorhersehbar» gewesen seien und Sprengarbeiten nicht in der Police eingeschlossen waren.

Somit war das Seilziehen eröffnet: Gustav Zogg ging vor Gericht, um den Nachbarn direkt zu belangen. Doch die Richter stellten fest, dass die Sprengarbeiten keine Auswirkungen auf Zoggs Gebäude gehabt hätten. «Wenn das stimmt, wäre also der Abbauhammer für die Risse verantwortlich», sagt Gustav Zogg, «und dann müsste die Versicherung bezahlen.» Doch das lehnt diese bis heute ab. Sie beruft sich auf die im Gerichtsurteil zitierten Aussagen eines Sprengexperten, gemäss denen die Konstruktionsweise des Hauses für die Schäden verantwortlich sei.

Doch dem Experten schenken Zoggs keinen Glauben – zu wankelmütig habe sich dieser gezeigt: Bei einem ersten Augenschein vor Ort habe er die Sprengungen als Ursache vermutet und erst vor Gericht die Konstruktion des Hauses verantwortlich gemacht. Gestützt sehen Zoggs ihre Meinung durch die ersten Untersuchungen, die die Versicherung selber in Auftrag gegeben hatte. Darin geht ein Geologe davon aus, dass bei Sprengarbeiten im betroffenen Gebiet mit hoher Wahrscheinlichkeit die Grenzwerte für Erschütterungen um ein Mehrfaches überschritten würden. Trotzdem mögen Zoggs nicht mehr weiter um ihr Recht kämpfen: «Die Kosten sind zu hoch und die Aussichten auf Erfolg unsicher.»