Die Wurzeln der nachbarlichen Tanne stehlen den eigenen Tomatendie Nährstoffe, der Kirschbaum versperrt die Aussicht aufSee und Berge, die wuchtige Hecke schiebt sich wie eine Wand zwischenSitzplatz und Sonne. Wenn die Natur ennet dem Gartenzaun zum Feindwird, ist der liebe Nachbar schuld.
Doch vor dem Griff zur Säge, Schere oder zum Anwaltsverzeichnislohnt es sich, einen regnerischen Nachmittag dem Studium der Gesetzezu widmen. Die Vorschriften über Bäume und Sträucherbefinden sich im Zivilgesetzbuch (ZGB) und in den kantonalen Einführungsgesetzendazu. Wer's juristisch gelehrt mag, greife zu Alfred LindenmannsStandardwerk «Bäume und Sträucher im Nachbarrecht».Es definiert das Nachbarrecht so: «Nachbarn im rechtlichenSinne sind Grundeigentümer, deren Grundstücke im Bereichgegenseitiger erheblicher Einwirkungen stehen können.»Da sind wir am richtigen Ort.

Vorsicht mit der Säge
Kleinere Ärgernisse lassen sich mit dem Kapprecht (Artikel687 ZGB) relativ leicht aus dem Garten schaffen. Das Kapprechtbesagt: «Uberragende Äste und eindringende Wurzelnkann der Nachbar, wenn sie sein Eigentum schädigen und aufseine Beschwerde hin nicht binnen angemessener Frist beseitigtwerden, kappen und für sich behalten.»
Bevor nach abgelaufener Frist die Säge hervorgeholt wird,gilt es aber, folgende Einschränkungen zu beachten: Die Nachbarinmuss in der Benutzung ihres Grundstücks beeinträchtigtwerden, damit das Gesetz greift; ein bisschen Schatten reichtnicht aus. Die Kantone können das Kapprecht zudem fürfruchttragende Bäume und Sträucher ausschliessen. Zudemsind alle Gewächse, die auf der Grenze selbst stehen, ausgenommen.
Wer von seinem Kapprecht Gebrauch macht, darf zwar das Holz behalten,hat aber keinen Anspruch auf Entschädigung. Will man dieGärtnerkosten sparen und auch selber nicht Hand anlegen,so kann man vor Gericht gegen den Pflanzenbesitzer klagen. Dochwohlgemerkt - auch dabei gibt's einen Haken: Anwältinnensind noch teurer als Gärtner.
Damit die freund- nicht zu feindnachbarlichen Beziehungen verkommen,haben die meisten Kantone in ihren Einführungsgesetzen Grenzabständeund für gewisse Bepflanzungen Maximalhöhen festgesetzt.
Die Gesetze unterscheiden in der Regel zwischen hochstämmigenBäumen (Waldbäume, Pappeln, Ulmen, Nuss- und Kastanienbäume),nicht hochstämmigen Bäumen (kleine Zierbäume),Obstbäumen, Hekken und Sträuchern. Wer sich nicht sicherist, in welche Kategorie sein exotisches Gewächs denn nunfällt, fragt am besten einen Gärtner.
Denn alles, wasden vorgeschriebenen Abstand nicht einhält, muss auf Begehrendes lieben Nachbarn zurückversetzt oder gefällt werden. Noch schlimmer: Zieht die Nachbarin weg, die solche Freude hatteam Vogelgezwitscher in den Bäumen und dafür grosszügigüber den nicht eingehaltenen Abstand hinwegsah, kann derneue Nachbar eine sofortige Fällaktion verlangen.

Naturschutz hilft
Es sei denn, wir befänden uns in einem Kanton, der die Verjährungkennt. Ist dies nicht der Fall, kann höchstens der Natur-und Heimatschutz noch helfen: Geschützte Bäume dürfenstehenbleiben. «Ohne Pflanzen wäre unsere Erde kahlund unfreundlich wie die Wüste Sahara, und jegliches Lebenwürde innert kurzem aufhören», hält ExperteLindenmann in seiner Einleitung scharfsinnig fest. Doch die Gesetzgebersehen das nicht immer so.
Herr Bohnenblust lebt in einer Reihenhaussiedlung und steht mitseinem Nachbarn seit einiger Zeit auf Kriegsfuss. Zwischen denzwei Grundstücken wächst eine Wildlorbeerhecke. DennBohnenblust mag es nicht, dass ihm der Nachbar in den Teller schaut,wenn er im Garten sein Essen geniesst. Leider genügt dazudie nach Tessiner Gesetz vorgeschriebene Maximalhöhe von1,25 Meter Wildlorbeer nicht, und der Nachbar ist zu keinem Kompromissbereit.

Mauern stören nicht
Mauern stören nicht Bohnenblust kämpft sich nochmalsdurch den Paragraphendschungel - und siehe da: Wenn er die lebendigeHecke durch eine Mauer ersetzt, darf diese 2,5 Meter hoch sein.Bohnenblust versteht zwar die Welt nicht mehr, aber er hat nunzumindest einen letzten Trumpf in der Tasche: Wenn der Nachbarnicht pariert, wird er eingemauert.
Mauern haben noch einen weiteren Vorteil: Sie tragen weder Blätternoch Nadeln, weder Samen noch Früchte. Für solche Ärgernisse,juristisch Immissionen genannt, ist Artikel 684 ZGB zuständig.Darauf kann man sich allerdings nur in schwerwiegenden Fällenberufen, und der Beizug eines Anwalts ist fast unumgänglich.
Leider greifen einige Nachbarn noch immer zur Selbstjustiz. Büssenmüssen die Pflanzen. Ein Beispiel: Herr und Frau Spitzwegerich,die sich sonst immer peinlichst genau an alle nachbarrechtlichenVorschriften halten, pflanzten 1990 einen Ginkgo biloba in ihrenGarten. Die vorgeschriebenen acht Meter Grenzabstand waren unmöglicheinzuhalten, es sei denn, sie hätten den Baum direkt in ihreStube gepflanzt. Nachbarin Schlehdorn, seit Jahren mit Spitzwegerichsin Konflikt, reagierte erst sechs Jahre später, dafür- wie immer - gleich mit einem Brief ihres Anwalts.
Spitzwegerichswiesen diesen darauf hin, dass Schlehdorns Garten vor Gesetzesübertretungennur so wuchere. Zudem sei das Anliegen verjährt. Ruhe kehrteein.

Ginko muss sterben
Doch dann, ein Jahr später, entdeckte Frau Spitzwegerich,dass der Ginkgo plötzlich braune Blätter hatte und derRasen rund um den Baum verbrannt aussah wie nach einer Behandlungmit Pestiziden. Spitzwegerichs nahmen eine Bodenprobe und schicktensie mit den braunen Blättern an die Eidgenössische Forschungsanstaltfür Obst-, Wein- und Gartenbau nach Wädenswil. Der Befund:eindeutige Pestizidrückstände; der Ginkgo war einemGiftangriff zum Opfer gefallen.
Wie soll man vorgehen, um einem möglichst konfliktfreienSommer entgegensehen zu können? Diskutieren Sie mit IhremNachbarn. Fruchten die Gespräche nichts, empfiehlt es sich,das Anliegen schriftlich zu formulieren und eine Frist zu setzen.Vor dem Beizug eines Anwalts kann man den Friedensrichter anrufen.Dem Ginkgo nützt das allerdings nichts mehr.