Frau Karabelnik, soll ich als Laie Geld in Kunst anlegen?
Marianne Karabelnik: Wer in Kunst investiert, erwartet eine Rendite. Aber die Freude an einem Werk, das man zehn Jahre lang anschaut, ist ein so hoher Gewinn, wie man ihn nirgendwo sonst findet. Allein vom Geld her betrachtet, ist das Thema so komplex, dass es kaum eine schlüssige Antwort gibt.


Das heisst nein.
Es hängt davon ab, in welcher Kategorie wir denken. Nehmen wir an, auf dem Kunstmarkt sei ein rares Werk von Alberto Giacometti für 130 Millionen Dollar erhältlich und ich habe genug Geld. Mit grosser Wahrscheinlichkeit kann ich in zehn, zwanzig Jahren eine solide Rendite erwarten.


Warum wissen Sie das?
Einen van Gogh gibt es nur ein einziges Mal. Ich kaufe auch die Aura der Nicht-Reproduzierbarkeit, die Aura der Rarität.


Wie und wo finde ich günstige Kunst, die mich anspricht?
Vielleicht an einer Kunstmesse oder an einem Galerien-Wochenende. Oder über Empfehlungen. Wer in die Kunstszene eintritt, begegnet anderen Sammlern, anderen Leuten. Die sagen: Kennst du die Arbeiten von jenem oder jener? Die sind so toll. Schau sie dir an!

Zur Person

Marianne Karabelnik

Marianne Karabelnik ist Kunsthistorikerin und Autorin auf dem Gebiet der Klassischen Moderne und der Gegenwartskunst. Zu ihren jüngsten Publikationen gehört «Das Kunstversprechen – Lebensgeschichte eines Bildes», erschienen 2018 im Verlag Elster, Zürich.

Quelle: Schmott Studios

Und man hört: Das ist der neue Shootingstar!
Ja. Oder man hört: Was, den kennst du nicht? Man ist vom Umfeld, in dem man sich bewegt, beeinflusst. Aber wie überall im Leben muss man sich seinen eigenen Weg suchen. Je grösser die Hysterie ist, desto besser läuft die Vermarktung. Die Preise können hochgehen – oder auch fallen. Es drehen so viele an diesem Rad.


Wer?
Kunsthändler, Galeristen, Kuratorinnen, wichtige Sammler «Heilige Stunde» Ein Bild Hodlers gilt plötzlich als gefälscht und andere mehr. Alle Beteiligten dieser Industrie, die Einfluss haben.

«Der Künstler will sein Werk in einem Museum sehen. Das ist die Krönung.»

Das heisst, wenn Werke im Museum gezeigt werden, erhöht sich ihr Wert?
Das ist möglich. Jedenfalls wird darauf spekuliert.


Ein Galerist gibt eine wichtige Arbeit lieber einem Museum als einem Fonds.
Das ist klar. Denn der Künstler will sein Werk in einem Museum sehen. Das ist die Krönung.


Die öffentliche Hand spielt also ebenfalls mit.
Nein. Ein Museum kann es sich heute gar nicht mehr leisten, aus seinem Etat teure Werke zu kaufen. Dafür gibt es zugewandte Orte, Mäzene oder junge Kunstfreunde. Die sammeln Geld, kaufen ein Werk und schenken es dem Museum.


So bestimmen ein paar reiche Sammler, was die Mehrheit im Museum zu sehen bekommt?
Nicht zwingend. Wenn ein Museum sagt, diese Arbeit wollen wir nicht, dann wird kaum Geld dafür gesammelt werden. Aber grundsätzlich sind Museen auf Zuwendungen, Schenkungen oder Legate angewiesen.


Wann haben Sie begonnen zu sammeln?
Ich habe nie gesammelt, ich habe nur ab und zu eine Arbeit gekauft. Für die Wünsche meiner Augen fehlte mir das nötige Kleingeld.

«Viele gute Künstler schaffen den Durchbruch nicht. Sie müssen einer anderen Arbeit nachgehen.»

Kunst zu kaufen, ist leicht. Kunst zu verkaufen, ist schwer.
In der Mehrzahl der Fälle trifft dies sicher zu. Aber es gibt Ausnahmen. Dazu ein Beispiel: Ich kaufte das Werk einer damals unbekannten Künstlerin und hörte über zwanzig Jahre nichts mehr von ihr. Bis Barack Obama ein paar Werke von ihr im Weissen Haus aufhängte.


Darauf gingen die Preise durch die Decke.
Nicht nur die. Auch die Anerkennung der Künstlerin in der Kunstwelt. Doch schaffen viele gute Künstler den Durchbruch nicht. Um zu überleben, müssen sie daneben einer anderen Arbeit nachgehen. 80 Prozent der Abgänger der Kunsthochschulen haben null Chance. 5 Prozent können möglicherweise von Kunst leben. Eine internationale Karriere gelingt aber nur den wenigsten. Es ist knallhart.


Leute mit wenig Geld kaufen sich Drucke oder Zeichnungen. Deren Wert steigt am wenigsten, er sinkt meistens.
Wenn Sie den reinen Geldwert ansprechen, stimme ich zu.


Wer schafft die Bedeutung? Der Präsident der USA?
Beim Werk von Carrie Mae Weems spielte auch der Zeitgeist eine Rolle. Sie ist eine schwarze Künstlerin. Das bekam Bedeutung. Dass ihre Arbeiten ins Weisse Haus kamen, war ein Statement.


Traditionellerweise sortierte die Kunstkritik Werke aus.
Die es je länger, je weniger gibt, ja. Im besten Fall ziehen alle Akteure am selben Strick. Da gibt es einen Künstler, der findet eine Galerie, die Galerie macht eine Ausstellung, ein Kritiker schreibt positiv darüber, es werden ein paar Werke verkauft, und es kommt ein Kurator, der das Werk im Museum zeigt. Die öffentliche Anerkennung, die über den Markt hinausgeht, ist für einen Künstler unendlich wichtig. Mit wachsendem Erfolg schielt er auch auf eine international vernetzte Galerie, die ihm wirkungsvoller erscheint. Wir gehen im Tunnel alle dem Licht entgegen, und am Ende spricht das Geld.


Konkret heisst das: Leute mit wenig Geld sind nicht dabei. Wer einen Druck kauft, wird ihn kaum je wieder los.
Ja, eher nicht. Es kommt kein Galerist, der sagt, ich nehme alle Arbeiten zurück.

«In Kunst zu investieren ist, als würde ich in Immobilienfonds investieren. Am ­Ende besitze ich keine Immobilie, aber ich profitiere vom Mehrwert.»

Bei Sachanlagen Sachanlagen So werden Liebhaberobjekte zu Investments ist Kunst nach Immobilien, Gold und Silber die viertgrösste Klasse. Jährlich werden für 67 Milliarden Dollar Kunstwerke gehandelt. Wer verdient so viel Geld mit Kunst?
Die Kunstindustrie ist riesig, aber am meisten Geld verdienen die Firmen mit den reichsten Kunden. Und der Sammler, der massgebliche Werke verkauft, die bezeichnenderweise auch in der Kunstwelt «Blue Chip» genannt werden.


Wie viel bleibt dem Auktionshaus, wenn es ein Werk versteigert?
Ungefähr ein Drittel des Preises, möglicherweise sogar ein wenig mehr. Bei sehr hohen Preisen ist der prozentuale Anteil tiefer. Wir kennen nur die Auktionsresultate. Was Galerien und Kunsthändler im Einzelnen umsetzen, wissen wir nicht.


Es gibt Fonds, in die Kleinanleger investieren können, um sich als Kleinanleger an Kunstwerken zu beteiligen.
Das ist, als würde ich zu einer Bank gehen, und dort wird mir geraten, in einen Immobilienfonds zu investieren. Am Ende besitze ich keine Immobilie, aber ich profitiere vom Mehrwert. Dasselbe gilt für den Kunstfonds: Ich bin temporär Mitbesitzerin eines Kunstwerks.


Ein Haus kann man vermieten. Ein Kunstwerk wirft nichts ab.
So ist es. Es kostet nur: Lagerung, Versicherung und Verwaltungskosten des Fonds. Ein allfälliger Gewinn wird mir aber dann zukommen, wenn die Betreiber des Fonds die richtigen Werke an- und verkauft haben.


Ich bekam einen 65-fränkigen Picasso-Druck geschenkt. Was tue ich damit?
An die Wand hängen und Freude daran haben. Oder Sie schenken ihn weiter.

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