Frage von Lucia G.: Ich bin 32 und mit meinem Sexualleben unzufrieden. Im Lauf der Jahre bin ich immer mehr auf den Geschmack gekommen und möchte von meinem Partner am liebsten wild gepackt werden. Leider läuft es umgekehrt. Er möchte fast nur noch kuscheln. Ob er wohl überarbeitet ist?

Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSP:

Ihre Vermutung könnte richtig sein. Wenn Ihr Partner am Arbeitsplatz überfordert ist, kann dies tatsächlich zu einer Schwächung der so genannten Potenz führen. Überforderung ist aber für den ganzen Organismus und auch für das Seelenleben ungesund. Ihr Mann müsste also Wege finden, den Stress zu reduzieren, indem er eine äussere oder eine innere Veränderung anstrebt.

Coaching könnte ihm dabei eine Hilfe sein. Als weitere Anregung empfehle ich, Arbeit und Freizeit mit einem regelmässigen Ritual klarer zu trennen, um das Abschalten zu erleichtern. Sie könnten zum Beginn des Wochenendes gemeinsam schwimmen, spazieren, joggen oder ins Fitnesscenter gehen. Das bringt ein intensiveres Körpergefühl und weckt damit auch Sinnlichkeit und Sexualität.

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Konsequenz der Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft

Vielleicht gehen Sie aber auch grundsätzlich von einem falschen Männerbild aus. Untersuchungen und Umfragen zeigen, dass der berühmte Ausspruch «Männer wollen immer nur das eine» längst nicht mehr stimmt. Eine Mehrheit der Männer wünscht sich mehr Zärtlichkeit in der Beziehung. Das Bedürfnis nach mehr Verkehr kommt erst an zweiter Stelle. Man könnte natürlich auch hier argumentieren, dass die Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft derart hohe Anforderungen stellt, dass Berufstätige in der Partnerschaft nur noch ausruhen und sich pflegen wollen. Das wäre dann so eine Art vorübergehende Rückkehr ins Säuglingsalter.

Nur noch schlafen, Nahrungsaufnahme und wärmenden Körperkontakt suchen: Psychologen nennen das Regression. Wenn sie nicht chronisch wird, kann sie tatsächlich helfen, das seelische Gleichgewicht wiederherzustellen. Es ist aber zu begrüssen, dass sich das Männerbild grundsätzlich ändert. Männlichkeit wurde lange Zeit viel zu einseitig über Macht, Gewalt und Stärke definiert. «Grosse Jungen weinen nicht» lernte man schon früh. Also kuscheln Männer auch nicht und brauchen keine Geborgenheit. Diese Annahme ist ebenso falsch wie das Vorurteil, für Frauen sei Zärtlichkeit wichtiger als Sex. Bei beiden Geschlechtern gehören Geschlechtsorgane und Herz, Lust und Liebe gleichermassen zu einer erotischen Begegnung, wobei durchaus mal das eine oder andere im Vordergrund steht.

Mut zur Geborgenheit

Es geht beim Menschen eben nicht nur animalisch um sexuelle Triebbefriedigung; die Sehnsucht nach Geborgenheit und Nähe gehört genauso zu unseren Grundbedürfnissen. Nicht nur Kinder brauchen körperliche Zuwendung, und nicht umsonst ist unsere Haut sensibel und wenig behaart: Sie ist für Körperkontakte ganz besonders geeignet. 

Noch brauchen Männer in der Regel allerdings Mut, um zu ihren Bedürfnissen nach Nähe, Geborgenheit und Kuscheln zu stehen. Obwohl Herbert Grönemeyer es schon vor Jahren in einem seiner Lieder gesungen hatte: «Männer weinen heimlich, Männer brauchen Zärtlichkeit, Männer sind so verletzlich.»